Berching
Lesungen an sechs ungewöhnlichen Orten

Berchinger Literaturnacht erzielt mit mehr als 400 Interessierten einen neuen Zuhörerrekord

21.10.2019 | Stand 02.12.2020, 12:48 Uhr
  −Foto: Palm

Berching (pmd) Ein riesiger Erfolg geworden ist die 17. Literaturnacht in Berching.

Mehr als 400 Personen, so viele wie nie zuvor, waren der Einladung von Initiatorin Gerlinde Delacroix, Vize-Bürgermeisterin (CSU) und Lehrerin an der Mittelschule, gefolgt.

Delacroix begrüßte sie mit einem Glas Sekt oder Orangensaft in der Aula der Grund- und Mittelschule zu den harmonischen Klängen der Gruppe Folk&World-Company. Werner Kränzlein, der im vergangenen Jahr wegen Tonaufnahmen zur Literaturnacht gekommen war, übernahm die Eröffnung. Er bedankte sich unter anderem bei Delacroix, die die Literaturnacht zu einem Erfolgsmodell gemacht habe.

Aus dem ersten Buch des Abends, "Am Boden des Himmels" von Joana Osmann, las Kränzlein. Sanft und magisch erzählt Osman in ihrem Debütroman davon, dass ein kleiner Augenblick der Furchtlosigkeit Welten überwinden kann. Nun hieß es für die Gäste, sich auf den Weg zu den sechs Leseorten zu machen. Gelesen wurde immer zur halben und zur vollen Stunde. Die Reihenfolge konnten die Besucher selbst festlegen. In der Schranne las Christine Lübeling von Elsa Sophia das Märchen "Das Mädchen vom Zedernbaum". Stimmungsvolle Atmosphäre mit märchenhafter Kulisse erwartete die Literaturbegeisterten. Mit einer Klangschale schaffte es Lübeling, alle Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Sie entführte die Besucher mit ihrer melodischen Stimme sofort in die Welt der Märchen.

Im neu renovierten Hotel Post erwarteten die Besucher die Musik-Poeten. Brigitte Blank, Maresie Schmid, Andrea Huber und Wolfgang Stadler beleuchten musikalisch und literarisch die Freundschaft zweier außergewöhnlicher Frauen: Astrid Lindgren und Louise Hartung. Das Buch "Ich habe auch gelebt! Briefe einer Freundschaft" fesselte die drei Frauen der Musikpoeten. Indem sie geeignete Briefe lasen, machten sie die Nachkriegszeit, in der die Briefe verfasst wurden, spürbar. Der Tisch mit der Leselampe und den alten Stühlen versetzte die Zuhörer auch visuell zurück in die 1960er-Jahre. 1953 stand Astrid Lindgren am Beginn einer beispiellosen Weltkarriere. Bei einem Berlinbesuch lernte sie Louise Hartung kennen, etwa ein Jahr nachdem Lindgren ihren Mann verloren hatte. Aus der Begegnung entstand eine ganz besondere Freundschaft. Über elf Jahre hinweg teilten die beiden außergewöhnlichen Frauen Freude und Trauer und standen einander in mehr als 600 Briefen bei, die sich wie ein Roman lesen. Umrahmt wurden die ausgewählten Briefe mit stimmungsvollen und aussagekräftigen Liedern, die durch die wunderschönen Solostimmen unter die Haut gingen.

Dritter Leseort wäre die Sakristei der Stadtpfarrkirche gewesen. Da aber der Andrang zu groß war, zog Kaplan Michael Polster kurzerhand in die Kirche um. Polster las aus "Geschichten vom lieben Gott" von Rainer Maria Rilke. Dabei griff er das Märchen von den Händen Gottes auf. Die humorvolle Geschichte Rilkes, vorgetragen mit eindringlicher Stimme, regte zum Nachdenken an. Im Haus der gestorbenen Maria Schlierf, Dr.-Grabmannplatz 4, las Alois Loeßl, der Pfarrer vom Petersberg, aus "Des Deutschen Spießers Wunderhorn" von Gustav Meyrink. Eine der gesammelte Novellen von 1913 handelt von einem Amerikaner, der vor Jahren die Stadt verlassen hat.

Am fünften Leseort, dem Reichenauplatz 4, traten die Besucher in eines der ältesten Häuser Berchings ein. Bekannt unter dem Namen Kirsch-Haus, gehört es nun der Familie Dallmayr. Hier las der Verleger Fritz Pustet aus Regensburg. Er war direkt von der Frankfurter Buchmesse nach Berching gekommen. "In unseren Buchläden haben wir viele Autorenlesungen. Normalerweise sitze ich immer auf der anderen Seite und höre zu. Selbst gelesen habe ich noch nie", so Pustet. Er las aus dem Buch "Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte" von Oliver Sacks. Darin geht es um einen Musikwissenschaftler, dessen visuelle Fähigkeiten immer wieder sehr eingeschränkt scheinen. Sacks beschreibt Patienten aus seiner Praxis als Neurologe und Psychiater und schildert ganz reale Fälle.

Letzter Leseort war die erste Tiefgarage Berchings in der Mühlgasse 2. Unterhalb der Sulz in einem sehr spartanischen Raum mit grellem Licht las Christoph Florian Pöppl-Neufert. Er war kurzfristig eingesprungen. Als Schauspieler bei den Burgspielen Parsberg hat der Mittelschullehrer schon viel Erfahrung gesammelt und brauchte deshalb keine lange Vorbereitungszeit. "Nun wollen wir diesen Raum unter der Sulz mal mit Kultur fluten", so begann Pöppl-Neufert und hatte gleich die Lacher auf seiner Seite. Er las aus dem Buch "Wenn ich du wäre, würde ich mich lieben" von Horst Evers. Gekonnt schlüpfte er in die verschiedenen Rollen und nahm deren Dialekte an. So war er mit einer Seniorengruppe aus Hamburg auf dem Nürnberger Christkindlmarkt. Durch den Glühwein werden die Rentner immer ausgelassener und sangen schlüpfrige Lieder, bis sie von der Polizei abgeführt werden.

Die verschiedenen Orte hätten facettenreicher nicht sein können. Von einem der ältesten Häuser Berchings über die Kirche, bis zur ersten Tiefgarage. Die Besucher waren an jedem Ort von dessen besonderen Atmosphäre gefangen und fasziniert. Ein Ehepaar aus Aschbuch war bereits zum wiederholten Male nach Berching gekommen und auch heuer wieder begeistert.

Nach der letzten Lesung, die um 22.30 Uhr begann, gingen noch viele Besucher in das Literatur-Café und ließen dort den Abend bei einem Glas Rotwein und deftigen Häppchen oder Kaffee und Kuchen ausklingen.