Dietfurt
Nach drei Generationen ist Schluss

Martin und Marianne Graf schließen Ende April in Ermangelung eines Nachfolgers ihr Schuhgeschäft in Dietfurt

29.03.2019 | Stand 23.09.2023, 6:26 Uhr
Ende April ist für Martin und Marianne Graf Schluss. Dann schließen sie ihr Geschäft endgültig zu. Auch Reparaturen waren für den Schuhmachermeister kein Problem. −Foto: Meyer/Hradetzky

Dietfurt (DK) Es ist jahrzehntelang das erste Schuhgeschäft am Platz gewesen. Das Schuhhaus Graf in Dietfurt hat Generationen von Kunden aus der Region mit modischen Schuhen ausgestattet. Damit ist bald Schluss. Inhaber und Schuhmachermeister Martin Graf und seine Frau Marianne schließen den Traditionsladen mangels Nachfolger Ende April.

Martin Graf, 69 Jahre, steht zwischen den Regalen. Er räumt gerade die Schuhe aus dem Lagerbestand ein. "Vieles hat sich geändert", erinnert er sich im Gespräch mit unserer Zeitung. Vieles sei heute ganz anders als zu den Zeiten, in denen Großvater Jakob Anfang des 20. Jahrhunderts mit einer kleinen Werkstatt begann.

"Damals wurden Schuhe noch nach Maß angefertigt. Und sie wurden so lange wie möglich getragen und immer wieder repariert. Für die Kinder wurden sie auch oft bis zu drei Nummern zu groß gekauft und dann an die Geschwister weitergegeben", blickt Martin Graf zurück.

Schuhe hatten zu Lebzeiten seines Großvaters einen hohen Stellenwert. Früher waren alle aus Leder und von Hand gefertigt. Das Leder wurde über die Leisten gezogen, dann stach man mit einer geraden Ahle Löcher von hinten nach vorne der Länge nach hinein. Schließlich wurden die Holznägel in mühsamer Kleinarbeit mit dem Hammer hineingeklopft.

Auch das Innenfutter bestand aus Naturmaterialien. Leder, Leinen oder Fell wie Lammfell kamen zum Einsatz. Die Schuhe wurden von Haus aus stabiler und robuster hergestellt, da sie lange halten sollten. Sie waren auch für alle Zwecke ausgerichtet: An der Rückseite befanden sich zum Beispiel oft Kerben, damit man die Schuhe im Winter an Skiern oder Schlittschuhen befestigen konnte.

Bei der Pflege griff man auf Schweineschmalz oder Talg zurück. Utensilien wie Wärmesohlen oder orthopädische Einlagen gab es damals noch nicht. Auch Imprägniersprays kannte zur damaligen Zeit noch niemand. Um die Füße vor Kälte zu schützen, wurden entweder mehrere Socken übereinander angezogen oder in die Stiefel manchmal Schweineblasen mit eingenäht, die Kälte und Nässe abhielten. Es gab auch noch keine Fußdeodorants, da die Kunden in Lederschuhen, einem natürlichen Material, auch nicht so schwitzten.

1948 wurde aus der Schuhwerkstatt Graf offiziell ein Laden, der von Martin Graf senior, dem Vater des heutigen Inhabers, in der Bahnhofstraße gleich gegenüber dem jetzigen Standort betrieben wurde. "Die Klosterbrüder und der Wirt von Unterbürg haben sich noch bis in die 1950er-Jahre Schuhe nach Maß anfertigen lassen",weiß der Inhaber noch.

Der Laden seines Vaters war damals noch recht überschaubar, was daran lag, dass den Käufern in der Nachkriegszeit nur wenige Modelle zur Auswahl standen. Schuhe wurden noch beim Händler bestellt, wenn sie in der entsprechenden Größe nicht vorrätig waren. Mit Einsetzen des Wirtschaftswunders fanden schließlich die Fabrikschuhe ihren Weg in die Regale.

Martin Graf hat seine Lehre zum Schuhmacher 1967 bei seinem Vater absolviert, wie selbiger schon beim Großvater. Zur Berufsschule musst er nach Neumarkt fahren. Bei der Gesellenprüfung galt es, den Schaft zu messen und über die Leisten zu ziehen. Bei der Meisterprüfung hingegen musste der Schaft schließlich zudem selbst hergestellt werden.

Seit der Meisterprüfung im Jahr 1980 hat Martin Graf keinen Schuh mehr anfertigen müssen, er kennt sich aber immer noch perfekt aus und ist absoluter Fachmann. 1982 übernahm er mit Ehefrau Marianne das Geschäft. Über die Jahre hat Martin Graf nicht nur viele Schuhe verkauft, sondern in seiner Werkstatt auch Reparaturen aller Art erledigt. Er wusste immer, wo bei den Kunden der Schuh drückt. Auch eine Ausbildung für orthopädische Schuhzurichtung mit Kassenzulassung hat er absolviert.

Die Ansprüche seien im Laufe der Jahre immer größer geworden, hat er erfahren. "Heute hat man extra Schuhe fürs Joggen, für den Sport, für den Garten und so weiter. Wer ist früher schon Joggen gegangen?", sagt Graf und schmunzelt. Früher gab es den Ganzjahresschuh für alle Gelegenheiten. Heute sei die Auswahl gigantisch und die Masse an Modellen enorm.

Martin Graf hat im Laufe der Jahre viele Trends in der Schuhmode miterlebt: "Ich kann mich noch gut an die Rock'n-Roll-Schuhe mit spitzem Zulauf erinnern, die auf einmal jeder tragen wollte. Die Mode ist wie ein Karussell, sie kommt immer wieder", davon ist er überzeugt. Bei den Fußballschuhen, weiß Martin Graf, bestanden die Stollen unten an der Laufsohle früher aus übereinander montierten kleinen Lederteilchen, sodass die Fußballspieler des Öfteren auch mal einen Stollen verlieren konnten, der abgesprungen war. "Diese Lederfleckerl wurden dann Sonntag früh kurz vor dem Spiel schnell wieder drangenagelt."

In den 1980er Jahren schlug noch der Schuhvertreter mit zwei riesigen Köfferchen im Geschäft auf, um die neuesten Modelle vorzustellen. Später galt es, verschiedene Schuhmessen zu besuchen. Dort suchte man die angesagte Mode aus. "Diese Aufgabe hat vor allem meine Frau Marianne erfüllt. Meine Tochter Steffi hat sie dabei begleitet und unterstützt", erklärt Graf. Das Schuhhaus Graf war eben ein echter Familienbetrieb. Auch stand diesem stets ein kompetentes Team von Verkäuferinnen zur Seite.

Mit der Zeit setzte sich bei der Schuhherstellung der Kunststoff durch. Gespritzte oder geschäumte Sohlen kamen auf, insgesamt wurde das Schuhwerk weicher und biegsamer, viele neue Materialien wurden verarbeitet, zum Beispiel auch Kork oder Goretex. "Goretex stammt aus der Weltraum-Entwicklung. Es handelt sich dabei um Membrane, die eingearbeitet werden, damit keine Nässe in den Schuh hineingelangt", so Graf. Nicht nur die Masse an Schuhen aus aller Herren Länder nahm zu, auch die Auswahl an Marken wurde immer größer. Die Kunden können heutzutage mittlerweile online ihre Schuhe direkt nach Hause bestellen. Dies trage dazu bei, dass es in den vergangenen Jahren zunehmend schwieriger geworden sei, ein Schuhgeschäft gewinnorientiert zu führen.

Einen Nachfolger für das renommierte Schuhmodehaus Graf zu finden, sei nicht möglich gewesen, erklärt Graf. Aus diesem und aus Altersgründen gibt er das Traditionsgeschäft somit Ende April auf. Der Schuhmachermeister aus Leidenschaft geht mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Den Kontakt und den Plausch mit den Kunden wird er sehr vermissen. Auf der anderen Seite freut er sich auf die Freizeit, die er mit der Geschäftsaufgabe gewinnt: "Dann kann ich mal ausschlafen, auf die Enkel aufpassen und endlich ohne Zeitdruck Zeitung lesen. Das Schuhgeschäft war unser Leben, aber ich bin nicht gefrustet, dass es nicht weitergeht. Es war eine schöne Zeit."

Katrin Hradetzky