Kollektives Bitten um gedeihliches Wetter

Die Tradition der Bitt- und Flurumgänge von Kottingwörth

23.05.2018 | Stand 23.09.2023, 3:19 Uhr
Josef Wittmann
Dorf- und Glaubensgeschichte: Bittgänge sind früher nicht nur in Kottingwörth große gesellschaftliche Ereignisse gewesen. Dieses Foto entstand Mitte der 1950er-Jahre. −Foto: Wittmann (Repro)

Heutzutage wird so manch Althergebrachtes aufgegeben und die Erinnerungen daran verblassen. Vor allem das religiöse Brauchtum ist davon betroffen. Unsere Zeitung erinnert am Beispiel von Kottingwörth an die Tradition der Bitt- und Flurumgänge.

Kottingwörth (DK) Eine gute Gelegenheit, in Erinnerungen zu schwelgen, sind die Geburtstage betagterer Menschen. So war dies auch vor Kurzem, als Ruppert Meyer aus Kottingwörth seinen 85. Geburtstag feierte und unter anderem seinen Bruder Xaver zu Gast hatte. Wenn jemand darüber Bescheid weiß, wie das mit den Bittgängen in der Pfarrei Kottingwörth früher war, dann die beiden, denn Ruppert war von 1950 bis 1962 Mesner der Pfarrei St. Vitus und wurde dann von seinem Bruder Xaver abgelöst, der dieses Amt seither ausübt - mit einer Unterbrechung von 1987 bis 2006 während seiner hauptberuflichen Tätigkeit als Mesner in Beilngries.

Einen Flurumgang gibt es in der Pfarrei Kottingwörth überhaupt nicht mehr, von den ehemals vier Bittgängen ist nur einer übrig geblieben - jährlich abwechselnd nach Grögling und Leising. 2018 haben sich rund 20 Personen daran beteiligt, darunter kein einziges Kind, abgesehen von den beiden Ministranten. "Früher war das ganz anders", erinnern sich die beiden Brüder.

Einen ganz wesentlichen Grund dafür sehen sie im Priestermangel: Früher hatte beinahe jedes Dorf seinen Pfarrer, jetzt sind Pfarreien zusammengelegt oder mehrere Dörfer werden einer Stadtpfarrei zugeordnet wie auch Kottingwörth dem Pfarrverbund Beilngries. Möchte man die Bittgänge wie zu früheren Zeiten abhalten, käme es unweigerlich zu Terminüberschneidungen. Außerdem: Wie viele Gläubige würden sich noch in die Prozessionen einreihen?

Früher galten die drei Tage vor Christi Himmelfahrt als Bitttage. Die Bittgänge fanden am Morgen statt, für die Schulkinder fielen die ersten Unterrichtsstunden aus, da auch der Lehrer mit dabei war. In Kottingwörth waren dies zuletzt die Volksschullehrer Xaver Leistl und Andreas Ach. Das hieß aber auch, dass alle Schüler bei diesen Werktags-Prozessionen dabei waren. Für die Vogelthaler Schüler, die ja zusätzlich den Schulweg hinab nach Kottingwörth und dann wieder bergauf bewältigen mussten, bedeutete das erhebliche körperliche Belastungen. Der vor Kurzem gestorbene Franz Neger aus Vogelthal sagte dazu einmal: "Die Bittwoche war für uns Schüler die Woche des Martyriums!" Das Prozessionskreuz trug nach dem Krieg der Rackl-Opa, der manchmal seinen Ärger mit der Disziplin der ganz weit vorne gehenden Lausbuben hatte. Trara war vorprogrammiert, wenn es schon Maikäfer gab. Diese schüttelten die Burschen von den Sträuchern und steckten sie den Mädchen in den Nacken.

Laut der Erinnerung von Xaver und Rupert Meyer war in früheren Jahren der erste Bittgang in Kottingwörth bereits am 25. April, am Markustag, zur Filialkirche nach Leising. Dieser Termin wurde dann aber aufgegeben. Am Montag vor Christi Himmelfahrt war der Bittgang zur Filialkirche nach Grögling, am Dienstag (wieder) nach Leising und am Mittwoch zur damaligen Hauskapelle der Kottingwörthermühle.
 
Außerdem gab es noch den "Schauerfreitag" unmittelbar nach Christi Himmelfahrt. Hieran beteiligten sich aus Kottingwörther Sicht nur der Geistliche, der Lehrer und zwei Ministranten. Man machte sich zunächst auf den Weg nach Grögling zur Filialkirche. Hier war ein erster Altar aufgebaut, bei dem Gröglinger und Vogelthaler auf die Ankunft des kirchlichen Dienstes warteten. Dann ging es zusammen den steilen Anstieg hinauf durch den Wald nach Vogelthal. Die Prozession in Vogelthal war letztlich ein Flurumgang mit drei Altären. Die zwei Ministranten waren gerne dabei: Es fiel nicht nur der Unterricht aus, nach der Prozession ging es auch zum Wirt in Vogelthal. "Da gab's ein Oireschmoiz und dann noch Kaffee und Kuchen, und das an einem Freitag", erinnert sich Xaver Meyer gerne an das üppige Festmahl.

Insgesamt investierten die Gläubigen um Christi Himmelfahrt herum viel Zeit, um für gedeihliches Wetter zu beten. Kleine und mittlere Landwirte waren schließlich darauf angewiesen, dass es keine Unwetter gab. Der frühere Pfarrer Reinhard Pasel wusste dazu eine treffende Anekdote zu erzählen: "Im Salzburger Oberland beschwerten sich 1898 die Bauern beim Bischof über ihren Pfarrer. Er handhabe offensichtlich den Wettersegen zu nachlässig, sonst würden ja nicht wegen der langen Regenperiode die Felder unter Wasser stehen."

Ob der Glaube der Kottingwörther bei einem ähnlichen Ereignis, an das sich Xaver Meyer erinnert, erschüttert wurde, muss offen bleiben: Kaum hatte sich die Prozession von der Kirche wegbewegt, entluden die dunklen Wolken Unmengen von Wasser über den Teilnehmern. Weil damals (1966) gerade die Dorfstraße asphaltiert wurde und auch Abwasserkanäle für das Oberflächenwasser verlegt wurden, standen am heutigen Spielplatz im Dorfzentrum einige Bauhütten, in die sich die Teilnehmer zu flüchten versuchten, vorneweg der Rackl-Opa mit dem Kreuz.

Der größte Bittgang um gedeihliches Wetter war sicher der sogenannte große Flurumgang - zunächst an Christi Himmelfahrt, später am Pfingstmontag. Es wurden die Feld- oder Wetterkreuze an den Ausfallstraßen des Dorfes aufgesucht, die von der Kirche aus etwa in die vier Himmelsrichtungen weisen. "In den 50er Jahren war man da den ganzen Vormittag unterwegs", erinnern sich die beiden Brüder. Kein Wunder, damals war einer der vier Altäre zunächst sogar in Leising. Die erste Station war am Feldkreuz zwischen den beiden großen Bäumen bei der Einmündung der Dorfstraße in die Staatsstraße nach Beilngries, dann ging's auf der Staatsstraße nach Leising zum Altar vor der Filialkirche. Später wurde auf diesen weiten Weg verzichtet und man machte den dritten Halt beim Feldkreuz an der Abzweigung zur Kottingwörthermühle/an der heutigen Mühlleiten-Siedlung. Von Leising ging es in den 1950ern auf der damals nur wenig befahrenen Hauptverkehrsverbindung wieder zurück über den "Lichtweg" zur dritten Station an der Einmündung der heutigen Dietfurter Straße. Der letzte Altar wurde am Feldkreuz am Oberauweg gegenüber des alten Sportplatzes aufgebaut. Der Pfarrer hatte bei einem solchen Flurumgang Schwerstarbeit zu verrichten, musste er doch die große Monstranz tragen. Bekleidet war der Geistliche mit dem sogenannten Rauchmantel, dessen schwere "Flügelspitzen" seitlich mitgehend vom ersten und zweiten Bürgermeister gehalten wurden.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Bittgänge in ihrer früheren Form heute nicht mehr vorstellbar wären. In vielen Orten gibt es keinen Pfarrer und freilich auch keine Dorfschulen mehr. Außerdem gibt es nicht mehr so viele Landwirte und für Unwetterschäden hat man heutzutage eine Versicherung. Entscheidend aber ist letztendlich etwas Grundsätzliches: Viele Christen praktizieren ihren Glauben nicht mehr mit der Überzeugung früherer Tage. Das zeigen auch die Zahlen der sonntäglichen Gottesdienstbesucher. In Kottingwörth finden sich nicht einmal mehr genügend Ministranten. In diesem Zusammenhang sei noch einmal an die Anekdote aus dem Salzburger Oberland erinnert: Heute muss kein Pfarrer mehr befürchten, dass sich eines seiner Schäflein beim Bischof wegen seiner angeblichen Nachlässigkeiten beim Wettersegen beschwert. So jemand würde sich bis auf die Knochen blamieren.
 

Josef Wittmann