Dietfurt
Frierend einem neuen Leben entgegen

Drei Dietfurter, die vor 70 Jahren ihre Heimat verloren, erzählen ihre Geschichte

23.11.2015 | Stand 02.12.2020, 20:31 Uhr

Foto: DK

Dietfurt (DK) 69 Jahre ist es her, dass Manfred Körner sowie die Schwestern Dorothea Straßer und Else Reigl nach der Vertreibung aus der Heimat in Dietfurt ein neues Zuhause gefunden haben. Im Gespräch mit unserer Zeitung erzählen sie ihre Geschichte.

Manfred Körner fällt auf Anhieb das exakte Datum der Vertreibung ein, der 17. Januar 1945. Geboren 1936 im oberschlesischen Grasenau, endete an diesem Tag seine unbeschwerte Kindheit. Er und der fünfjährige Bruder mussten alleine mit der Mutter fliehen. Der Vater war drei Monate vorher eingezogen worden. „Dass wir weg mussten, haben wir schon länger gewusst. Eines Tages ist dann der Ortsgruppenleiter gekommen und hat gesagt, dass es jetzt so weit ist“, erinnert sich Körner. Mit wenigen Habseligkeiten ging es zunächst mit dem Zug bei eisigen 20 Grad unter Null zur Tante nach Breslau und zu Fuß weiter. Weil der Transportzug nach Mitteldeutschland von russischen Fliegern beschossen wurde und Bomben die Gleise zerstörten, sollte es die Familie Körner schließlich nicht nach Dresden verschlagen, sondern ins Altmühltal.

Der Hunger und die Stationen ihrer Flucht haben sich in sein Gedächtnis eingebrannt. Ein Jahr blieb die Familie im Lager. Schleuser brachten sie schließlich vom tschechischen Eichenstraß bei Eisenstein zusammen mit zwei weiteren Familien nach Deutschland. In Lohberg am Fuße des Ossers fanden die Körners im April 1946 bei einer Familie Unterschlupf. In Cham wurde sie registriert. Mit dem Zug kamen sie über Neumarkt nach Berching. Im Dallmayr-Saal schlief die Familie die ersten zwei Wochen auf Strohsäcken. Der 4. Mai 1946 markierte das Ende ihrer Odyssee, an diesem Tag kamen sie in Dietfurt an.

„Wir sind mit Hilfe des Bürgermeisters bei einem Bauern, der selbst elf Kinder hatte, in Arnsdorf untergekommen“, blickt Körner zurück. Das Zimmer hatte gerade einmal 14 Quadratmeter. Ab Ende Mai besuchte er die Schule in Zell. Ein paar Tage vor Weihnachten kam die traurige Nachricht, dass der Vater gefallen war.

„1951 sind wir von Arnsdorf nach Dietfurt in die Siedlung gezogen.“ Vor allem der Mutter sei es schwergefallen, sich zu integrieren. „Wir Kinder haben uns sehr viel schneller eingelebt.“

Auch Dorothea Straßer und Else Reigl, geborene Iwanetzki, musste ihre Heimatstadt Tost in Oberschlesien bei Gleiwitz am 20. Januar 1945 von jetzt auf gleich verlassen. Mutter Margarethe, damals 35 Jahre alt, weigerte sich zunächst, die Heimat zu verlassen. Der 14-jährigen Else gelang es, die Mutter aus Angst vor den Russen zur Flucht zu überreden. „Wir dachten alle, wir würden bald wieder heimkommen“, schaut sie zurück. Am 20. Januar 1945 brach die Familie nachts bei klirrender Kälte auf. Die jüngeren Geschwister und Mutter Margarethe saßen mit vielen weiteren Vertriebenen auf einem Pferdewagen in Richtung Westen. Else musste den ganzen Weg barfuß durch den Schnee nebenher laufen, da kein Platz mehr auf dem Wagen war. „Immer wieder lagen angeschossene und verwundete Menschen am Wegrand, Menschen, die nicht mehr weiterkonnten und die flehentlich schrien, dass sie mit wollten“, erinnert sich Straßer an die Flucht. „Unser Weg führte immer weiter, immer weiter.“

Irgendwann waren sie ganz alleine unterwegs, Mutter Iwanetzki und ihre vier Kinder. Dann kam die Familie in einem Dorf im heutigen Tschechien an, wo sie Unterschlupf in einem verfallenen Haus fanden. Um zu überleben, schickten sie den kleinen Bruder Friedel zu den Bauern, um Brot zu erbetteln. „Dann sind wir zu Fuß über die Grenze. In Berching wurden wir registriert, im Frühjahr 1946 kamen wir nach Dietfurt“, erzählt Else Reigl. Zunächst landete die Familie im damaligen Café Mayerhöfer. Dann wurden sie in einem Zimmerchen im Franziskanerkloster untergebracht. „Wir Kinder haben uns im Kloster sehr wohl gefühlt“, bestätigt Reigl, hier ging das Leben weiter. Den Vater allerdings sollten sie nie wiedersehen, sein Schicksal ist bis heute ungeklärt.

„Das Schlimmste war der Hunger“, sagt Else Reigl. Zu den Überlebensstrategien auf der Flucht zählten neben dem Sammeln von Beeren und Pilzen im Wald auch die Suche nach einzelnen Kartoffeln auf Feldern, die bereits gründlich abgeerntet waren. Ab und an seien sie auch gezwungen gewesen, betteln zu gehen. Dabei waren die Reaktionen der Menschen und die Hilfsbereitschaft sehr unterschiedlich. Oft wurden sie verjagt, oft teilten aber die Alteingesessenen das Wenige mit ihnen, das sie selbst hatten.

An die alte Heimat haben sowohl Körner als auch die Familie Iwanetzki positive Erinnerungen, wenngleich sie den Verlust nicht mehr so schmerzhaft empfinden wie die Generation vor ihnen. Für die Kinder von damals war es leichter als für die Erwachsenen, sich auf die neue Heimat einzustellen.

Alles in allem sind sie zufrieden, hier leben zu können. Zumindest stellte sich die Zufriedenheit mit den Jahren des wirtschaftlichen Aufschwungs auch bei ihnen ein. Was sie aus der Zeit nach dem Krieg mitgenommen haben, ist die Erfahrung, dass sie sehr schnell große Verantwortung übernehmen mussten, mitunter für den Rest der Familie, und die Eigenschaft, dankbar zu sein.