Dietfurt
Das letzte Ma(h)l

Das Historische Gasthaus Stirzer in Dietfurt schließt zum Jahreswechsel

29.12.2017 | Stand 02.12.2020, 17:01 Uhr
Ein Wirtshaus wie der Stirzer in Dietfurt ist hierzulande weit und breit einmalig. Doch im neuen Jahr gehen hier vorerst die Lichter aus. −Foto: Ursula Kirschner

Dietfurt (uke) Vieles, was Josef und Irmgard Hierl in diesen letzten Dezembertagen machen, ist das letzte Mal. Zum letzten Mal haben sie die Räume ihres Wirtshauses für die Stodlweihnacht freigeräumt, letztmals die Heilige Nacht organisiert. Zum letzten Mal wird das Wirtsehepaar am Silvestertag ein mehrgängiges Menü für einen Kreis lieb gewonnener Hausgäste zubereiten.

Und wenn alle Silvesterraketen und Böller abgeschossen sind, die Sektgläser weggeräumt und gespült, dann dreht sich der Schlüssel im Schloss der Eingangstüre des Historischen Gasthauses Stirzer zum letzten Mal hinter einem Gast.

Wenn Sepp Hierl den Schlüssel an den Haken hängt, endet eine Ära. Im Frühjahr 1994 hatte der heute 57-Jährige das unter Denkmalschutz stehende Wirtshaus an der östlichen Zufahrt zur Innenstadt übernommen, nachdem es dessen Besitzer, der Dietfurter Tierarzt Xaver Gmelch, liebevoll renoviert hatte.

Ein Fliesenleger, der dort gerade beschäftigt war, habe ihn damals beim Schafkopfen auf den Stirzer angesprochen, erinnert sich Hierl im Gespräch mit unserer Zeitung. "I wissert a Wirtshaus für di", habe der Handwerker damals gesagt. Der Hierl Sepp fuhr hin, schaute sich die Baustelle an und entschied sich, sein Wirtshaus in Ingolstadt aufzugeben und nach Dietfurt zu ziehen.

Niemand hätte damals ahnen können, welch ein Gastronomiestern in der sonst nicht überreich damit gesegneten Region aufgehen würde. Mit Zutaten ausschließlich aus der Region erkochte sich der Urbayer einen Bekanntheitsgrad weit über Grenzen der Sieben-Täler-Stadt hinaus. Der Slow-Food-Spezialist hatte für seinen bei Niedrigtemperaturen stundenlang im Ofen geschmortes süß-saures Böfflamott immer einen Stammplatz auf der Speisekarte. Dieses Gericht besaß eine ebenso große Fangemeinde wie die fast schon legendäre Brennnesselsuppe, das Balsamico-Sülzerl vom Spanferkel, das Pralinenparfait oder der geeiste Espresso.

Aber jetzt mag er nicht mehr. Bodenständig und bescheiden, will er sich möglichst unauffällig nach mehr als 23 Jahren aus der Gastronomieszene verabschieden. Seine Frau, die mit ihm immer durch dick und dünn gegangen ist, sieht es genauso. "Leben", antwortet sie auf die Frage, ,was sie beide machen wollen, wenn der Stirzer nicht mehr ihren Tagesablauf bestimmt. "Einfach nur das Leben genießen und die Freiheit", die ihnen in den vergangenen Jahren so oft verloren ging, wie sie erzählen. Eindreiviertel Jahre hat Sepp Hierl einen Koch gesucht, der ihn und Sohn Manuel am Herd entlasten sollte - vergebens.

Die Nachricht, dass der historische Gasthof in Dietfurt schließen würde, hatte Mitte des Jahres schon in und um Dietfurt eingeschlagen wie eine Bombe. Wer das Stichwort Stirzer googelt, der stößt im Internet automatisch auf das Klagelied vieler Stirzer-Fans, die gar nicht fassen können, dass das jüngste saure Lamm-Lüngerl das letzte war, das der Hierl Sepp für sie gekocht hat. Erst im Sommer hatten die Leser des DONAUKURIER den Innenhof des Gasthauses Stirzer zum schönsten Biergarten weit und breit gekürt. In diesem Biergartentest gaben sie ihm den Vorzug vor 20 typisch bayerischen Vertretern mit hölzernen Biergarnituren, Tanzboden, Steckerlfischgrill und Bierausschank unter ausladenden Kastanien, die bei Regen Schutz gewähren.

Nass wurde man auch beim Stirzer nicht. Unter der ausladenden Altane ließ es sich an Sommertagen bestens aushalten. Das wussten auch die Schwalben. Damit die Hinterlassenschaften ihrer Brut nicht ins Essen oder auf den Biertisch fielen, hatten die findigen Stirzers, wie man das Ehepaar Hierl häufig nannte, nach dem Motto "Leben und leben lassen" ganz einfach einen Regenschirm unter das Nest gespannt.

Auf die Frage nach herausragenden Ereignissen in den vergangenen 23 Jahren fällt dem Ehepaar zunächst gar nichts ein. Beide zucken mit den Schultern und beteuern, dass ihnen am wichtigsten gewesen sei, zufriedene Gäste zu haben. Halt, da war dann doch was: Christian Jürgens sei einmal da gewesen, der Koch vom Sternerestaurant Überfahrt in Rottach-Egern am Tegernsee. Für das Bayerische Fernsehen haben beide zusammen gekocht, Regionales natürlich, nämlich Altmühltaler Lammrücken mit Spargel. Aber nicht nur ein Sternekoch hat hier vorbeigeschaut. Auch Wolfgang Hoderlein war hier. Der ehemalige SPD-Landesvorsitzende und Generalsekretär war einmal gekommen, um eine Wette einzulösen. Der damalige Dietfurter SPD-Stadtrat Gerd Lindl hatte der heutigen Bürgermeisterin Carolin Braun versprochen, in die Partei einzutreten, wenn es ihr gelingen sollte, den damals obersten Genossen im Freistaat nach Dietfurt zu holen. Auch der Chinesenkaiser Ko-Houang-Di hat hier nach der Abdankung seine letzte Audienz in Bayrisch-China gehalten, die hinteren Gasträume waren so voll, dass niemand mehr umfallen konnte.

Auch wenn sich die kulinarische Fangemeinde in Wehmut übt, weil sich bis zum Jahresende kein Pächter für den Stirzer gefunden hat: Die Hierls freuen sich auf den neuen Lebensabschnitt. Für Irmgard Hierl ist es schier "unvorstellbar", dass sie bald Einladungen annehmen kann, ohne Rücksicht auf das Geschäft nehmen zu müssen. Und ihr Mann kann endlich seinen Hobbys frönen, im Sommer dem Golfspiel und im Winter dem Snowboarden.

Sollte ihm doch einmal langweilig werden, sollte er doch einmal genug haben vom Müßiggang, dann hat er auch sofort eine Lösung parat. "Dann suche ich mir halt wieder Arbeit", sagt er. Dann wird er wieder die Kochschürze umbinden und weiterkochen. Irgendwann. Irgendwo. Vielleicht. Und auch dem Stirzer wird er die Treue halten, aber dann halt nicht mehr als Pächter, sondern als Gast - und das hoffentlich bald, so hofft er.

Im Dreißigjährigen Krieg abgebrannt

Dietfurt (uke) Das Anwesen, in dem Josef Hierl jahrelang den Kochlöffel geschwungen hat, ist beileibe kein gewöhnliches Gebäude. Das auffällige Ackerbürger-Anwesen mit dem hellgrünen Anstrich hat vielmehr eine bewegte Geschichte als Brauerei, Landwirtschaft und Gasthaus hinter sich. Der Historische Gasthof mit der Architektur eines Altmühltal-Jurahauses wird in der unteren Vorstadt von Dietfurt bereits um das Jahr 1500 als Anwesen Nummer 133 erwähnt. Im Jahr 1611 wird er als Brauerei erwähnt.

Im Dreißigjährigen Krieg (1618 bis 1648) brannte das Gebäude ab und wurde um 1650 wieder aufgebaut. Das Haupthaus und der Hausname Stirzer stammen aus dieser Zeit. Die Witwe Margarethe Störzer verkaufte das Anwesen an Hans Georg Ihrler, 1730 erbaute der das Brauhaus und die Stallung mit dem Fachwerkstadl. Der Westanbau und der Gewölbekeller wurden 100 Jahre später errichtet. Fenster, Türen, Treppenhaus sowie Fassade stammen aus dieser Zeit.

Nach dem Ersten Weltkrieg wurde die Brauerei aufgegeben. Leonhard und Theresa Gmelch, die Eltern des jetzigen Besitzers, betrieben die Gastwirtschaft und bis in die 1970er Jahre eine Landwirtschaft. Sohn Xaver, dem heute das Anwesen gehört, renovierte es von 1991 bis 1994.

Der Gasthof, der damit eine mehrhundertjährige Geschichte hat, ist, was seine Räume und auch seine Küche betrifft, für Überraschungen gut. Neben der Gaststube, die ihren Namen von der Nutzung seit dem Wiederaufbau im 17. Jahrhundert hat, gibt es die Weinstube. In der Gaststube wurde bei der Renovierung die Balken-Bohlen-Decke aus dem Jahr 1653 freigelegt. In dem kleinen Vorzimmer befindet sich heute noch der Futtertrog für die Pferde. Den größten Teil des Restaurants nimmt das ehemalige Brauhaus ein. Es erstreckt sich über zwei Ebenen, die mit einer Treppe verbunden sind. Hier sind mehrere Türen und ein Teil des ursprünglichen Steinbodens aus der großen Umbauphase von 1730 erhalten geblieben.

Auch das Mobiliar ist etwas ganz Besonderes. So sind zum Beispiel die Eichenholzbänke, die Wirt Josef Stirzer in der Hallertau aufgestöbert hat, bereits an die 120 Jahre alt.