München
Zwischen Agitprop und Psychospielchen

Regisseur Rabih Mroué inszeniert "Kill the Audience" an den Münchner Kammerspielen

13.12.2018 | Stand 02.12.2020, 15:02 Uhr
Regisseur Rabih Mroué spürt in seinem neuen Stück "Kill the Audience" an den Münchner Kammerspielen der Rolle des Publikums im politischen Theater nach. −Foto: Buss

München (DK) Das war zweifellos einer der größten Theaterskandale der 1960er-Jahre in der bayerischen Landeshauptstadt. Peter Stein, damals noch aufstrebender Regieeleve, und sein Kollege Wolfgang Schwiedrzik brachten 1968 das aufwühlende Dokumentarstück "Viet Nam Diskurs" von Peter Weiss in den Münchner Kammerspielen zur Uraufführung.

Darin klagte der deutsch-schwedische Autor die Gräueltaten der USA in ihrem gnadenlosen Krieg in Asien an. Eine Aufführung, die in ihrem schonungslosen Aufzeigen der Brutalität der amerikanischen Kriegsführung ganz gewaltig unter die Haut ging.

Als der Kabarettist Wolfgang Neuss, der die einzelnen Szenen dieses Schockstückes mit bitterem Sarkasmus kommentiert hatte, während des Schlussapplauses das Premierenpublikum aufforderte, für den kommunistischen Vietcong zu spenden, war der Eklat da: Die in den Kammerspielen bereits länger schwelende Auseinandersetzung über die Aufgabe des Theaters als moralische Anstalt oder politische Plattform war nun offen ausgebrochen: Intendant August Everding distanzierte sich vehement und wortreich von der Spendenaktion, bei der rund 1000 DM in die Klingenbeutel flossen, setzte nach drei weiteren restlos ausverkauften und heiß diskutierten Aufführungen die Produktion ab und entließ Peter Stein.

Zur Erinnerung an diesen Theaterkrach vor 50 Jahren inszenierte der libanesische Regisseur Rabih Mroué nun sein von diesem Geschehen inspiriertes Stück "Kill the Audience" am Ort der damaligen Uraufführung, dem Werkraumtheater der Kammerspiele, jetzt Kammer 3 genannt. Mit einem infernalischen Licht- und Soundgewitter werden hier zunächst die Original-Filmaufnahmen des "dirty war" unterlegt: Bombenterror der US-Army auf vietnamesische Städte und Dörfer, Massaker an der Zivilbevölkerung, Folter und Hinrichtungen von Vietcong-Anhängern, das Versprühen des Entlaubungsmittels "Agent Orange" und kaum zu ertragende Aufnahmen von Vietnamesen, die von amerikanischen Napalmbomben bis zur Unkenntlichkeit entstellt wurden.

Dazu präsentieren Zeynep Bozbay und Eva Löbau als aufgesetzt muntere Moderatorinnen Imitate der US-Originalwaffen, die bei der Uraufführung des "Viet Nam Diskurses" einst verwendet wurden und seitdem in der Asservatenkammer des Theaters lagern. Ein Lehrstück über die eklatante Verletzung der Menschenwürde nicht nur im Vietnamkrieg hat Rabih Mroué hiermit verfasst und inszeniert, das mit der an Hanns Eisler angelehnten Livemusik von Marja Burchard und Maasl Maier bestens korrespondiert.

Warum freilich der Autor und Regisseur sein intelligentes und kritisches Agitprop-Stück plötzlich in einen ebenso läppischen wie überflüssigen Abklatsch einer Gruppensitzung beim Psychotherapeuten hat entgleiten lassen, bleibt absolut unerfindlich.

Da sind die beiden Schauspielerinnen zunächst noch des Lobes voll, wie wichtig und notwendig, ja geradezu wie animierend für sie und ihr Spiel die Zuschauer sind, um dann rund 30 Statisten aufmarschieren zu lassen, die gegenüber dem Publikum Platz nehmen. Stumm sitzen sie da und starren vor sich hin. "Kill the Audience" heißt das Motto des Stückes. Doch das Publikum lässt sich von den Wortlosen nicht killen und wartet geduldig auf das kommende Geschehen.

Nach über 20 Minuten gegenseitigem Anschweigen müsste eigentlich auch für ein offenes Ende Schluss sein. Doch dem ist nicht so. Schade um die anfangs so ambitionierte Produktion.
ZUM STÜCK
Theater:
Münchner Kammerspiele
Regie:
Rabih Mroué
Läuft bis:
28. Januar 2019
Kartentelefon:
(089) 233966 00