"Wir haben ein Problem mit der Führungskultur"

Die Betriebsräte Osterloh und Mosch im Interview

02.07.2019 | Stand 02.12.2020, 13:36 Uhr
Zwei Männer, ein Ziel: Audi-Betriebsratschef Peter Mosch (links) und sein VW-Kollege Bernd Osterloh fordern vom Management eine bessere Kommunikation der künftigen Strategie. Wir haben mit ihnen im Audi-Werk in Neckarsulm gesprochen. −Foto: Foto: Veigl

Die Betriebsräte Bernd Osterloh (VW) und Peter Mosch (Audi) über die Folgen des Dieselskandals, die künftige Strategie des Konzerns und ihre Forderungen an das Management von VW und Audi.

Herr Mosch, Herr Osterloh, über Audi ist in den vergangenen Monaten viel zu lesen und hören gewesen. Vom Sanierungsfall war die Rede, bei der Betriebsversammlung in Ingolstadt führte Finanzvorstand Alexander Seitz Nokia als mahnendes Beispiel an. Und jetzt soll Audi noch weitaus intensiver manipuliert haben als bekannt und auch das Kraftfahrt-Bundesamt systematisch hintergangen haben. Wie groß sind Ihre Sorgen? Wann sind alle Fakten auf dem Tisch?

Mosch: Grundsätzlich äußert sich der Betriebsrat nicht zu laufenden Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft oder Gerichtsverfahren. Vor dem Hintergrund der laufenden Verfahren können wir uns darüber hinaus inhaltlich nicht äußern. Der Betriebsrat, ebenso wie das Unternehmen, kooperiert weiterhin mit den zuständigen Ermittlungsbehörden. Seit Bekanntwerden der Dieselaffäre arbeiten wir als Betriebsrat bei Audi gemeinsam mit den Arbeitnehmervertretern im gesamten Volkswagen-Konzern daran, dass sich eine Unternehmenskultur zu mehr Offenheit und Transparenz etabliert.

Bernd Osterloh: Die Substanz bei Audi ist hervorragend, die Produkte sind top. Die Herausforderung liegt darin, den Umstieg auf die E-Mobilität zu schaffen. Mitte Juli habe ich wieder die Gelegenheit, die kommenden Produkte zu sehen. Das, was schon bekannt ist, stimmt mich sehr zuversichtlich, dass Audi seiner Rolle im Konzern als Premium-Hersteller gerecht wird.

Wenn da nicht die Kosten wären.

Osterloh: Richtig. Wir müssen sehen, wie wir das Thema Ergebnisverbesserung hinbekommen. Die Wirtschaft spürt den Beginn einer Konjunkturdelle, deshalb steht auch der Automarkt unter Druck. Deshalb müssen alle Marken im Konzern sehen, dass sie die Volumenverluste abfangen. Bei Audi sind die Chancen groß, dass die Marke wieder zu alter Stärke zurückfindet.

Wo sehen Sie den Gesamtkonzern knapp vier Jahre nach Aufkommen des Dieselbetrugs? Wird der viel beschworene neue Geist auch gelebt?

Osterloh: Wir hatten nie Probleme mit der Unternehmenskultur. Die Solidarität zwischen den einzelnen Marken ist groß. Ich bleibe aber dabei, auch wenn es nicht gerne gehört wird: Wir haben ein Problem mit der Führungskultur. Wir haben einen Vorstand, der sagt, dass sich etwas ändern muss. Und wir haben eine Mannschaft, die darauf wartet. Und auf dem Weg dazwischen fehlt offensichtlich etwas. Da haben wir schon noch eine große Aufgabe vor uns. Ganz wichtig ist das Thema Kommunikation. Wenn ich die Mannschaft mitnehmen will, muss ich ihr die Strategie, die Ziele, die Herausforderungen und auch die Probleme erklären.

Herr Mosch, sind Sie mit der Führungskultur bei Audi zufrieden?

Mosch: Die Belegschaft hat der Dieselskandal bis ins Mark erschüttert. Das war alles für uns unvorstellbar. Seitdem sind viele Programme angestoßen worden, auch im Führungsbereich. Aber es dauert, bis diese Programme greifen. Wir haben in Ingolstadt und Neckarsulm aber Themen, die uns augenblicklich mehr beschäftigen: Wir haben zu wenige Modelle beziehungsweise Stückzahlen. Deshalb werden wir in den nächsten Wochen mit dem Vorstand über die künftige Auslastung sprechen. Das ist unser größtes Problem, da ist die Unternehmensführung gefordert.

Aber genau an diesen Positionen kommt immer wieder Unruhe auf. Es gilt längst als beschlossen, dass der Audi-Vorstand schon bald wieder kräftig umgebaut wird. Der ehemalige BMW-Manager Markus Duesmann gilt als designierter Nachfolger von Bram Schot. Einzig der Zeitpunkt ist noch offen. Dazu laufen im nächsten Jahr einige Vorstandsverträge aus. Traditionell wird ein Jahr zuvor beschlossen, wie es weitergeht.

Mosch: Da haben wir noch bis in den Herbst hinein Zeit. Ich freue mich jetzt erst mal auf Frau Hildegard Wortmann, die seit dieser Woche Marketing und Vertrieb verantwortet. Eine Frau im Vorstand tut uns wirklich sehr gut.

Trotzdem: Ist Bram Schot der richtige Mann an der richtigen Stelle?

Mosch: Er ist jetzt im Moment der richtige Mann an der richtigen Stelle.

Mittel- oder langfristig?

Mosch: Das wird sich zeigen, wenn die Vertragsgespräche anstehen.

Osterloh: Herr Schot hat ja noch einen weiteren Vertrag als Vertriebsvorstand im Konzern. Wenn Herr Duesmann dann endlich die Freigabe von BMW bekommt, muss man sehen, was man macht.

Die Unzufriedenheit in der Belegschaft ist groß. Die Werke Ingolstadt und Neckarsulm stehen in keiner Konkurrenz zueinander, heißt es. Fakt ist, dass die Auslastung an beiden Standorten so gering ist wie lange nicht mehr. In Ingolstadt sind es nur 65 Prozent.

Mosch: Das Thema Werkbelegung ist komplex. Es gibt viele Restriktionen technischer Art. Wir stehen nicht in Konkurrenz zueinander, das ist mir sehr wichtig. Klar ist, dass die höherklassigen Modelle wie A8 und A6 in Neckarsulm gebaut werden, dafür gibt es in Ingolstadt gar keine Möglichkeiten. In Ingolstadt sind wir mit A4, A5, Q2 und A3 gut aufgestellt. Darüber hinaus wird der A4 noch gemeinsam über eine Drehscheibe mit Neckarsulm gebaut. Aber es stimmt, momentan sind wir in der Unterauslastung. Deshalb nehmen wir, wie schon erwähnt, auch Verhandlungen mit dem Vorstand auf, wie die künftige Werkbelegung aussehen soll.

VW vollzieht den Wechsel zu Elektromobilität radikal, Audi folgt in großen Schritten. Ist das nicht riskant?

Mosch: Es ist eine schwierige und herausfordernde Zeit, keine Frage. Deshalb ist auch die Politik gefordert, die E-Mobilität in der Gesellschaft zu verankern. Da müssen beispielsweise die Rahmenbedingungen für Infrastruktur und Energiepreise festgelegt werden. Aber wenn man den letzten Autogipfel sieht, dann muss ich sagen: Da muss mehr kommen.

Die Probleme sind ganz unterschiedlich. Nehmen wir den E-tron. Die Nachfrage ist groß, aber die Produktion kommt nicht auf Touren, weil die Zellenproduktion beim Zulieferer stottert.

Osterloh: Ich habe bereits 2010 in einem Interview gesagt, dass VW eine Batteriefabrik benötigt, um unabhängiger zu werden. Es wird immer von den mächtigen Betriebsräten gesprochen. Wenn wir derart mächtig wären, hätten wir es schon damals durchgesetzt. Dann könnten wir den Markt aktuell ganz anders beliefern. Wir sprechen jetzt weltweit für den Konzern von 10 bis 15 Fabriken für Zellen. Ab 2025 kommt die Feststoffzelle und damit eine weitere Etappe, in der es darum geht, beim Know-how auf Augenhöhe zu sein. Deshalb bin ich sehr froh, dass wir in die Fertigung mit VW selbst eingestiegen sind.

Wer steht in der Pflicht? Die Energieversorger? Die Politik?

Osterloh: Beim Thema Lade-infrastruktur stehen auch wir in der Pflicht. Mit BMW und Daimler bauen wir ein Schnellladenetz an den Autobahnen. Alle 120 Kilometer werden Ladepunkte stehen. Aber nehmen Sie Berlin Mitte. Da gibt es viele alte Leitungen und praktisch keine festen Parkplätze. Da können wir als Automobilhersteller alleine nichts bewirken. Als Kunde von E-Fahrzeugen wird es generell schwierig in Metropolen ohne ausreichend Ladeinfrastruktur, es sein denn, jemand will eine Kabeltrommel aus seiner Mietswohnung hängen. 85 Prozent der Wohnungen in Berlin sind Mietwohnungen, die allermeisten haben natürlich keinen festen Parkplatz.

Ist Elektromobilität die einzige Chance?

Osterloh: Um die künftigen Grenzwerte einzuhalten, ja. Und mehr Anstrengungen dabei sind aus ökologischer Sicht notwendig, das unterstützen wir grundsätzlich. Ab 2020 gilt der Grenzwert von 95 Gramm CO2 pro Kilometer. Ich habe gelesen, wie weit die Mitbewerber weg sind. Da wir im Konzern ein paar Autos mehr verkaufen, würde es für uns richtig teuer werden, wenn wir den Grenzwert nicht einhalten. Deswegen sind wir natürlich sehr daran interessiert, dass sich die E-Mobilität durchsetzt. Bitter ist, und das hat die Bundeskanzlerin erkannt: Je mehr Benziner fahren, desto weiter weichen wir von den Grenzwerten ab.

Herr Mosch, wenn die Verhandlungen mit dem Vorstand beginnen, was ist tabu?

Mosch: Wir haben einen klaren Fahrplan. Die Strategie muss stimmen, der Vorstand hat sie uns nun in groben Zügen präsentiert. Jetzt müssen die Überschriften mit Leben gefüllt werden. Der zweite Punkt ist die Produktpalette und die damit verbundene Auslastung der Werke. Wenn das geklärt ist, werden wir uns zusammen hinsetzen und beraten, was für Maßnahmen noch notwendig sind. Es wird wohl Herbst werden, bis wir Ergebnisse präsentieren können.

Die Auszubildenden sollen künftig keine Übernahmegarantie mehr bekommen?

Mosch: Wir stehen zur Ausbildung bei Audi. Da gibt es überhaupt nichts daran zu rütteln, auch weil die Übernahme im Tarifvertrag der IG Metall beinhaltet ist.

Bei VW gibt es eine Beschäftigungsgarantie bis 2029. Bei Audi gilt das Abkommen noch bis 2025. Was ist Ihr Ziel?

Mosch: Die Forderung steht, bis 2030 bei Audi betriebsbedingte Kündigungen auszuschließen. Die Transformation verunsichert viele Mitarbeiter ungemein. Deshalb müssen wir Sicherheit geben, sonst gibt es Chaos. Die VW-Kollegen haben es vorgemacht, wir wollen nachziehen.

In der Belegschaft hat die Ausweitung des Sponsorings mit dem FC Bayern München für teils heftige Diskussion gesorgt. Dafür soll nun das komplette Sponsoring auf dem Prüfstand stehen. Ist das in diesen Zeiten eine gute Entscheidung?

Mosch: Das ist Sache des Vorstands. Die Partnerschaft mit dem FC Bayern war bislang sehr erfolgreich. Der aktuelle Vertrag läuft bis 2025. Bisher ist dazu noch keine weitere Entscheidung gefallen.

Und wenn dafür regionale Unterstützungen eingestellt werden?

Mosch: Das darf nicht passieren. Audi muss an den Standorten präsent sein und darf sich seiner Verantwortung für die Region nicht entziehen.

Eine weitere Sorge vieler Audianer: Die Ansagen kommen vermehrt aus Wolfsburg. In Ingolstadt steht nur noch ein Werk von vielen.

Mosch: Auf der Arbeitnehmerseite haben wir eine sehr gute Zusammenarbeit. Wir können uns aufeinander verlassen. Auf Unternehmensseite wäre man ja dumm, wenn man nicht enger zusammenarbeiten würde. Da steckt noch viel Potential drin. Und es wird noch weitere Modelle der Zusammenarbeit geben. Aber die Markenidentität muss noch mehr geschärft werden, deshalb muss niemand verunsichert sein.

Osterloh: Wir brauchen eine deutlichere Abgrenzung, das ist eine klare Forderung von uns. Das sieht übrigens auch Herr Dr. Diess so.

Beim autonomen Fahren hat Audi den Lead mittlerweile verloren.

Osterloh: Der Lead ist nicht weg, das stimmt nicht. Die Frage ist doch, wo wird autonomes Fahren zuerst eingesetzt? Nämlich im Bereich leichte Nutzfahrzeuge. Wir haben mit Alexander Hitzinger einen neuen Kollegen in Hannover und Wolfsburg, der über drei Standorte hinweg koordinieren soll, wie das Thema autonomes Fahren künftig aufgebaut sein wird. Da spielt natürlich Audi eine Rolle. Es gibt aber auch schon heute ein paar Dutzend Leute in Wolfsburg, die daran arbeiten. Es ist eine Zusammenarbeit mit Ford geplant. Wir wollen niemanden etwas wegnehmen. Audi wird immer den Lead haben, aber der Chef sitzt dann vielleicht in Hannover bei VW Nutzfahrzeuge. Gegen Synergien haben auch die Audianer nichts.

Ist es denkbar, dass im Zuge der Auslastung auch einmal ein VW in Ingolstadt gebaut wird?

Osterloh: Vor zehn Jahren habe ich einmal in einem Interview gesagt, dass der A3 dort bleibt, wo er gebaut wird. Das gilt auch für den VW Golf. Wir haben Mehrmarkenwerke, aber nicht bei den Volumenmodellen.

Mosch: Wir suchen auch in der Produktion nach Synergien. Bei geringeren Volumina ist es klar, dass man auch andere Möglichkeiten in Betracht zieht. Wie beim A1, den wir in Spanien bei Seat fertigen.