Wenn Erinnerungen mitschwingen

23.12.2009 | Stand 03.12.2020, 4:23 Uhr

Ein Helfer am Werk: Klaus Ehneß kennt sich im Glockenturm der Neuburger Christuskirche bestens aus. Er war schon vor 60 Jahren in seiner Heimat "Glockenbub" und packte heuer beim Ausbau des Gestühls im Kirchturm mit an. - Fotos: r

Neuburg/Burgheim (kf) "Süßer die Glocken nie klingen . . .", heißt ein bekanntes Weihnachtslied. Nicht fehlen dürfen die weit reichenden und festlichen Klänge an den Feiertagen. In Neuburg und in den umliegenden Gemeinden gibt es eine Fülle an prächtigen Glocken – mit klangvollen Geschichten.

Anton Sprenzel muss nur einen kurzen Moment überlegen, welche Glocke ihm die liebste in der Neuburger Hofkirche ist. Welche der fünf Glocken auf dem 55 Meter hohen Kirchturm hoch über der Donau den schönsten Klang in seinen Ohren hat. Die Frauen-Glocke ist es, die nach dem Zweiten Weltkrieg glücklicherweise wieder aus Hamburg zurückkam. "Ich erinnere mich gut daran, wie die Glocken auf dem Karlsplatz standen und abtransportiert wurden." Und die Stimme des 77-Jährigen bricht ein wenig bei dem Gedanken daran. Auch Jahrzehnte danach.

Anfang Juni 1942 war das, als drei der vier Glocken zum Einschmelzen ans Hamburger Zwischenlager, dem sogenannten Glockenfriedhof, gingen. Die Glocken sollten, wie Tausende andere, während des Krieges in Fabriken eingeschmolzen werden und in der Rüstungsindustrie ihre Verwendung finden. In einer Gemeinde im Allgäu hätten sie in einer Nacht- und Nebelaktion eine Glocke im See versenkt, erzählt Sprenzel. "Und nach dem Krieg haben sie sie wieder aus dem Wasser gehoben."

Zurück in die Hofkirche

Die Neuburger Bürger mussten nicht an den Fluss oder an einen See, um zumindest zwei ihrer Glocken zu retten. "Der Krieg war schneller", sagt Sprenzel. Am 11. Juni 1947 wurde das 1306 Kilogramm schwere Exemplar, das 1730 vom Eichstätter Mathias Perner gegossen worden war, gemeinsam mit einer weiteren von der Elbe wieder an die Donau zurückgebracht. Die in Neuburg verbliebene kleinere Mittagsglocke war im April 1945 nach Artilleriebeschuss auf den Kirchenboden gekracht.

Einen dick gefüllten Ordner über die klingenden Schwergewichte – mit historischen Fotos, Zeitungsausschnitten, Rechnungen und Anfragen – hat der Hofkirchenadministrator vor sich liegen. Die Historie der kostbaren Glocken im Konzentrat durch die Zeit, eine Fundgrube an Geschichten und Fakten. "Das Besondere an Glocken ist ihre Unterschiedlichkeit und die Einzigartigkeit", sagt Sprenzel. Es lohne sich, immer wieder genau hinzuhören.

Schlagwerk und Computer

Fasziniert von Glocken und deren Geschichte ist auch Klaus Ehneß. Der 69-Jährige hat sich gemeinsam mit anderen Gläubigen aus der Kirchengemeinde der evangelisch-lutherischen Christuskirche in Neuburg für die Anschaffung der Taufglocke engagiert, die im Oktober dieses Jahres geweiht wurde. Ehneß gibt sich zwar bescheiden, kann aber nicht verbergen, dass er sich weit über das laienhafte Verständnis mit der Materie auskennt. Weiß über Schlagwerk und Töne, Motoren und Computersteuerung Bescheid. Nüchterne Fakten, die letztlich doch mit wundersamen und klangvollen Tönen zu tun haben.

Vielleicht liegt das verstärkte Interesse von Helfer Ehneß auch daran, dass er als 14-Jähriger Glockenbub war. Dann durften er und seine Schulkameraden das Klassenzimmer verlassen und schnell zur Kirche laufen. "Eine besondere Aufgabe, eine besondere Ehre war das schon", sagt er rückblickend. Und man lernte, pünktlich zu sein, fügt er noch schmunzelnd hinzu.

Zufrieden ist er, der voller Hochachtung von der diffizilen Arbeit der Glockengießer in Innsbruck erzählt, wie viele Gemeindemitglieder über den "volleren und verfeinerten" Klang des neuen Geläuts. Und weist auf eine Besonderheit hin: "Unsere Glocken schlagen als einzige die Viertelstunde doppelt." Und wer sich umfassend über die Christuskirchen-Gocke informieren wolle, könne dies mit einer DVD tun, die im Weltladen zu erstehen ist.

"Das klingt wie im Dom"

Glockenklang, der schon mal weit über die Gemeindegrenzen zu vernehmen war, kommt aus Burgheim. Fünfstimmig ist das imposante Geläut vom Kirchturm an Sonn- und Feiertagen, das am 31. Dezember 2006 auf Bayern 1 beim wöchentlichen "Zwölf-Uhr-Läuten" gesendet wurde. Aber auch ohne Radioübertragung würden die Menschen vom vollen Klang schwärmen, sagt Pfarrer Werner Dippel. "Das klingt wie in einem Dom", sei oft zu hören.

Dabei war die Anschaffung der zwei neuen Glocken nicht nur der Historie geschuldet, um die überlieferte Zahl der Glocken wieder zu erreichen. Ein kleiner kirchengemeindlicher Wettbewerb hat die Menschen zusätzlich überzeugt, dass Burgheims stattliche Kirche – realisiert als außergewöhnliches finanzielles Gemeinschaftswerk – wieder besser ausgestattet werden müsse. Umliegende, vor allem kleinere Gemeinden, hatten mehr Glocken als Burgheim. Das ging gar nicht. Und so bekam die Cosmas-und-Damian-Kirche gleich zwei neue bronzene Kunstwerke. 2450 und 1700 Kilo schwer.

Für Regionaldekan Dippel bestimmen Glocken sowohl den christlichen Lebensrhythmus – vom täglichen Gebet über die Taufe, Kommunion, die Hochzeit bis zum Tod – als auch den Alltag der Menschen, wenn auch längst nicht mehr in dem Maße wie früher. Wenn die Kinder einst beim Sechs-Uhr-Läuten, bei Dämmerung, daheim sein musten, als Sirenen-Ersatz bei Unwetter, Gefahren und Feuer. Und Glockenklang schützt und tröstet manchmal, sagt Dippel. "Geläut kann wie Balsam für die Seele sein."

Dippel fasziniert jedoch auch, dass sich der doch weit gehend gleich bleibende Klang in den Ohren – und vor allem das Gefühl – der Menschen verändert. Je nach Anlass. "Man sagt ja zum Beispiel, dass Glocken weinen." Doch die überdimensionalen Musikinstrumente klängen gleichermaßen festlich und fröhlich. In der Silvesternacht etwa, wenn die Glocken Gottes Segen für das neue Jahr bringen sollen.

Dass die Glocken an Weihnachten in den Ohren der Menschen besonders berührend und erhebend scheinen, mag daran liegen, "dass die Menschen in diesen Tagen sensibler für die Klänge sind", mutmaßt der Geistliche. "Die Menschen sind in der heiligen Nacht anders gestimmt."