München (DK) Schafkopf ist in Bayern nicht nur ein Kartenspiel, sondern auch ein Kulturgut. Dieses zu pflegen und vor dem Aussterben zu bewahren, hat sich ein Verein aus München verschrieben. Er bietet unter anderem regelmäßige Schafkopfkurse an.
"Hast du Sau und Zehn geseh'n, musst du von der Farbe geh'n", reimt Reiner Hartl und lässt seinen Blick durch die Runde wandern. Am Tisch sitzen eine Frau und zwei junge Männer, die allesamt andächtig nicken; einer wiederholt sogar den Satz, halblaut murmelnd. Wenig später erzählt Reiner Hartl noch etwas über den "Oidn", der sich die "Schmier abholt" - und wieder lauscht das Trio ehrfürchtig seinen Worten.
Uneingeweihte mag dies an einen okkulten Ritus erinnern. Bei Zigtausenden Bayern dagegen lassen es diese Worte warm ums Herz werden. Denn hier, in einer Gaststätte im Norden Münchens, wird Schafkopf gespielt - jenes Kartenspiel, das zum bayerischen Kulturgut gehört wie der Knödel zum Schweinsbraten. Und das Bier natürlich, wobei man an diesem Tag auf den Tischen nur Spezi, Schorle und Kaffee entdeckt. Was einerseits eher untypisch für eine Schafkopfrunde ist, doch andererseits sind dies hier auch keine typischen Schafkopfrunden.
Denn Reiner Hartl und sein Kompagnon Stefan Aldenhoven kommen von der Münchner Schafkopfschule und haben heute zu einem Lehrgang für Fortgeschrittene geladen. Den veranstaltet der Verein zweimal im Jahr, dazu kommen zwei Kurse für Anfänger. Schließlich gehe es der 2004 gegründeten Schafkopfschule darum, das bayerische Traditionsspiel "vor dem Aussterben zu bewahren", wie es der Vorsitzende Stefan Aldenhoven den sieben Kursteilnehmern zu Beginn erzählt. Je 45 Euro haben sie für diese Nachhilfeeinheit bezahlt, bei der einen Tag lang viel mit offenen Karten gespielt wird - während Hartl und Aldenhoven Tipps geben und Tricks verraten.
Von den Teilnehmern ist keiner älter als fünfzig - auch das ist für Schafkopfrunden eher untypisch. "Wenn ich mir die Altersstruktur bei vielen Turnieren anschaue", sagt Aldenhoven, "dann muss einem bange werden um die Zukunft des Spiels." Zwei Gründe führt der Vereinschef für das abflauende Interesse der Jugend am Schafkopfen an. Erstens sei man als Kartenspieler vor allem in den Städten bei vielen Wirten nicht gern gesehen. "Ich habe es selbst schon in urbayerischen Gaststätten erlebt, dass sie dort kein Schafkopf erlauben", erzählt der 51-Jährige. Kartenspieler seien nun mal schlechte Verzehrer, heiße es stets vonseiten der Wirte. "Und viele haben auch Angst, dass man die anderen Gäste stört, wenn man die Karten auf den Tisch haut", weiß Stefan Aldenhoven. Wobei sich der Vereinschef nicht lange mit Lamentieren aufhalten will. Lieber verweist er auf die Webseite der Schafkopfschule: "Da haben wir eine Liste mit Gaststätten, wo Kartenspieler ausdrücklich willkommen sind."
Etwas diffiziler ist die Gemengelage beim zweiten Punkt, der immer wieder als existenzielle Bedrohung für das Kulturgut Schafkopf angeführt wird - nämlich das geänderte Freizeitverhalten junger Menschen. Habe man sich früher nach dem Fußballtraining noch zum Kartenspielen zusammengesetzt, sagt Stefan Aldenhoven, so ziehe es die Jugend heute eher an den Computer oder ans Smartphone - einerseits. Andererseits bietet der digitale Fortschritt dem analogen Traditionsspiel auch Chancen.
So haben vier Exil-Münchner in Berlin schon vor zehn Jahren die Internetplattform Sauspiel gegründet. In Tracht sitzt der virtuelle Spieler am Spieltisch. Hier zocken inzwischen mehr als eine halbe Million Mitglieder online des Spaßes wegen oder um echtes Geld; tagtäglich werden im digitalen Wirtshaus 250 000 Partien ausgeteilt.
Auch Stefanie Winter aus Sauerlach, einem 7 000-Einwohner-Ort südlich von München, loggt sich beinahe täglich bei Sauspiel ein. Vor fünf Jahren hat ihr eine Freundin Schafkopf beigebracht, und seitdem sei sie angefixt, sagt die 35-Jährige. "Einmal im Monat treffe ich mich mit Freundinnen zur Schafkopfrunde. Und bei Sauspiel habe ich mehr als 60 000 Partien gespielt." Und dennoch habe sie beim Fortgeschrittenen-Kurs der Schafkopfschule noch allerlei Neues gelernt, sagt Stefanie Winter. "Ich nehme wirklich sehr viel mit, was ich künftig auch versuchen werde umzusetzen." Etwa was das Einschätzen des eigenen Blatts betreffe. Oder das Mitzählen von Punkten und Trümpfen.
Und natürlich ein paar Weisheiten und Sprüche à la "Hast du Sau und Zehn geseh'n, musst du von der Farbe geh'n".
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