Eichstätt
Wenn der Kummer unerträglich bleibt

Katholische Universität leitet bundesweite Studie zur Therapie der Anhaltenden Trauerstörung

08.01.2018 | Stand 02.12.2020, 16:59 Uhr |

Neue Art der Therapie: Im Rahmen einer bundesweiten Studie werden in der Hochschulambulanz der Katholischen Universität zur Zeit Patienten behandelt, bei denen die Trauer nach dem Tod eines lieben Menschen nicht normal verläuft. - Fotos: Klenk/upd

Eichstätt/Ingolstadt (EK) Der Verlust eines lieben Menschen schmerzt. Das ist normal. Doch bei manchen Betroffenen will der Kummer auch nach vielen Monaten nicht nachlassen. Ihren Alltag können sie kaum meistern. Das kann auf eine sogenannte Anhaltende Trauerstörung hinweisen. Mit solchen Patienten befasst sich die bundesweite Studie "Progrid" unter Leitung der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt (KU). Das Forschungsprojekt ist dringend nötig: Denn bewährte Therapieverfahren wirken oft nicht bei Menschen, die unter diesem schweren Verlauf einer Trauerphase leiden. Deswegen testen Therapiezentren und Hochschulambulanzen in fünf deutschen Städten - Ingolstadt, München, Frankfurt, Leipzig und Marburg - nun unter kontrollierten Bedingungen neue Behandlungsmethoden.

Rita Rosner (kleines Foto), Professorin für Klinische und Biologische Psychologie an der KU, leitet die Studie. Sie hat es geschafft, zunächst knapp 1,5 Millionen Euro an Fördermitteln von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) zu bekommen. Warum kostet ein solches Projekt so viel? Was versteht man unter der Anhaltenden Trauerstörung? Und was erhofft sich die KU von der Studie? All das hat Rita Rosner unserer Zeitung erklärt.

 

WANN WIRD TRAUER KRANKHAFT?

Der Schmerz nach dem Verlust eines lieben Menschen ist noch lange keine Krankheit. "Die normale Trauer tut wahnsinnig weh, verbessert sich aber auch schnell", sagt die Psychologie-Professorin. Wenn Betroffene dagegen in ihrer Trauer gefangen sind, wenn sie auch nach Wochen die Räume nicht betreten können, die sie mit dem Verstorbenen verbinden, oder wenn sie vor Gram lange nicht arbeiten können, dann ist der natürliche Verlauf der Trauerphase womöglich gestört. Ob das zutrifft, könne man erst nach mindestens einem halben Jahr feststellen, meint Rita Rosner. "Vorher hat es keinen Sinn, weil es allen weh tut."

Für die Diagnose sind auch typische Krankheitserscheinungen entscheidend: "Das Leitsymptom ist eine intensive Sehnsucht", erläutert Rosner. Außerdem spüren die Patienten oft eine große Bitterkeit. Sie haben das Gefühl, dass mit dem Toten ein Teil ihres Selbst gestorben ist, oder sehen keinen Sinn mehr in ihrem Leben. Ob jemand aus psychologischer Sicht krank oder gesund ist, machen Fachleute daran fest, wie stark der Betroffene leidet und wie sehr er in seinem Alltag beeinträchtigt ist. Oft könnten das die Angehörigen des Patienten gut beurteilen, meint die Psychologin. Weil ihnen zum Beispiel auffällt, dass der Trauernde immer noch die Jacke des Verstorbenen an der Garderobe hängen hat. Bei Allgemeinärzten seien außerdem körperliche Folgen des Kummers gut bekannt. Und: "Trauer ist auch ein großer Risikofaktor für Schlafstörungen."

 

WARUM BEKOMMT ALL DAS EINEN EIGENEN NAMEN?

Dass es eine eigene Bezeichnung für eine besonders schwerwiegende Trauerphase gibt, das ist noch recht neu. Erst 2009 haben sich die Fachleute auf die Kriterien der Anhaltenden Trauerstörung geeinigt, erzählt Rosner. Denn bei dieser "langen, langen Diskussion" ging es eben nicht nur um einen Namen, sondern darum, ob das neue Störungsbild als Krankheit anerkannt wird. Das ist geschehen: Im Laufe des Jahres 2018 soll eine neue Version des ICD erscheinen - das ist das international anerkannte Verzeichnis aller Krankheiten und gesundheitlichen Probleme. Und darin wird erstmals auch die Anhaltende Trauerstörung aufgelistet sein.

Sich dazu durchzuringen, fiel der Fachwelt nicht leicht. Wie Rita Rosner erläutert, gab es die Sorge, dass die Pharmaindustrie sich den neuen Markt sofort unter den Nagel reißt, wenn eine bestimmte Form von Trauer zur Krankheit erklärt wird.

Die Sache mit den Medikamenten ist allerdings nicht so einfach. "Trauer reagiert nicht auf Antidepressiva", sagt die Psychologie-Professorin. Das habe eine US-Studie von 2016 bestätigt. Diese Tatsache weist schon darauf hin: Anhaltende Trauer ist eben nicht nur eine weitere Spielart der Depression, sondern ein eigenes Störungsbild - auch wenn beide Arten von Patienten vielleicht auf den ersten Blick ähnlich niedergeschlagen wirken. In Studien zu einer anderen psychischen Erkrankung hat sich ebenfalls gezeigt, dass man Trauernde nicht in vorhandene Schubladen stecken kann: bei der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS). Rosner hat in ihrer Forschung zu diesem Thema bemerkt, dass die Traumatherapie bei Trauerpatienten nicht richtig greift. Studien haben das bestätigt.

 

WARUM SIND KLINISCHE STUDIEN SO TEUER?

Es müssen also eigene Therapieverfahren her für die Patienten, die in ihrer Trauer gefangen sind. Die gibt es schon. Nur: Wie gut diese Verfahren greifen und ob sie bei allen Betroffenen wirken, das weiß man noch nicht. Dafür braucht es eine klinische Studie, wie Rosner und ihre Kollegen sie nun in Angriff genommen haben.

Der Aufwand ist genauso groß wie beim Test eines neuen Medikaments: Auf ihre Wirksamkeit überprüft werden zwei Therapieverfahren für die Anhaltende Trauerstörung. Ein Placebo gibt es nicht - "das wäre unverantwortlich", sagt Rita Rosner. Die Therapeuten werden geschult und immer wieder geprüft. Sogenannte "verblindete Untersucher" überwachen die Ergebnisse - sie wissen nicht, in welcher Therapieform und welcher Phase sich die Patienten gerade befinden. Die Datenauswertung erfolgt extern, damit es keine Chance zur Verfälschung gibt. Therapiezentren und Hochschulambulanzen an fünf Standorten in Deutschland machen mit, damit man möglichst große Fallzahlen bekommt.

All das entspricht den strengen Voraussetzungen für die Förderung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Immerhin konkurriert die Trauerstudie mit Krebsforschung oder Impfstudien um die Mittel.

 

WELCHES NEUE WISSEN SCHAFFT DAS PROJEKT?

"Wir erhoffen uns nachzuweisen, dass es effektive Behandlungen gibt", sagt Rita Rosner. Ziel ist, dass man die Anhaltende Trauerstörung bald genauso wirksam therapieren kann wie andere psychische Erkrankungen. Außerdem soll das Projekt wichtige Hinweise für weitere Forschung liefern. Von Interesse ist, ob sich die beiden unterschiedlichen Therapieverfahren besonders gut für bestimmte Patientengruppen eignen, zum Beispiel je nach Alter oder Stärke der Symptome.

Neues Wissen erhofft man sich auch zum Thema Trauer und Schmerz. Es gibt Hinweise darauf, dass Kummer körperliches Leid womöglich verstärkt. Verbessern sich während der Trauertherapie solche Schmerzen vielleicht? "Das interessiert auch die Allgemeinärzte", meint Rita Rosner. Und das sei gut. Schließlich handelt es sich bei den Fördermitteln um Steuergelder. Wenn die Studie möglichst vielen Menschen nützt, sei das nur richtig.

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