Ingolstadt
Weiblich, jung, konkret

Das Museum für Konkrete Kunst begeistert mit seiner ersten Jahresausstellung unter neuer Führung

18.03.2013 | Stand 03.12.2020, 0:22 Uhr

Konkrete Kunst in russischer Hängung. - Foto: Rössle

Ingolstadt (DK) Moment – ist das wirklich unser gutes altes Museum für Konkrete Kunst? Sind die Bilder an den Wänden wirklich Bestand aus dem Depot? Als sei man unversehens in einer fremden Stadt in ein junges, spannendes Kunstmuseum geraten, so frisch und neu wirkt das Haus unter dem Eindruck der neuen Ausstellung.

Die heißt schlicht „S(ch)ichtwechsel“ – und präsentiert auf hinreißende Weise genau das: Einen Sichtwechsel zum Schichtwechsel in der Donaukaserne.

Ja, es gibt eine neue Direktorin: Simone Schimpf, die Nachfolgerin von Tobias Hoffmann, die bei der Vernissage ihren ersten öffentlichen Auftritt hatte und ab 1. April offiziell die Leitung übernimmt. Und ja, es gibt eine neue Kuratorin: Amely Deiss (Foto), die dem Haus bisher als Stiftungskuratorin verbunden war und nun den ebenfalls in eine andere Stadt gewechselten Rasmus Kleine ersetzt. Es sind vor allem Deiss’ „neue Blicke auf die Sammlung“, so der Untertitel der Schau, denen diese bemerkenswerte Ausstellung zu verdanken ist, welche sie mit ihrem Team gestaltet hat.

„Wir wollten bewusst alles anders machen“, erzählt die 33-Jährige, „nicht chronologisch oder inhaltlich strukturieren, sondern viele ganz neue Werkkombinationen zeigen“. Dass unter dieser Prämisse zugleich auch noch das gesamte Werkkonvolut, das der Freundeskreis des Museums im Lauf der Jahre für das Haus ankaufte (immerhin zwölf Arbeiten) präsentiert werden und viel Neues aus der Sammlung Weishaupt, die mit dem Museum kooperiert, ausgeliehen werden sollte, machte die Aufgabe wohl nicht einfacher. Doch Deiss hat sie mit Bravour gelöst.

Der Coup der Ausstellung ist natürlich die Präsentation an der zwei Stockwerke umfassenden Stirnwand des Hauses: Russische Hängung für Konkrete Kunst! Doch die 26 Arbeiten zwischen winzig klein und quadratmetergroß hängen natürlich nicht irgendwie. Unaufdringlich verweisen Farben, Diagonalen oder Formate aufeinander, irgendwie ist immer ein Bezug des einen Werks zu anderen da. Und so kooperieren denn in dieser pittoresken Puzzlewand Altmeister wie Friedrich Vordemberge-Gildewart (u.a. mit „Komposition Nr. 86“ von 1944) oder Walter Dexel („Komposition mit kleinem gelbem Quadrat“, 1967) bestens mit neuen Arbeiten wie Gisela Hoffmanns Acrly-Arbeit „Flow“ (2012) oder Karin Sanders durch die Welt verschicktes „mailpainting“ (2007–2010). Ein fröhliches, selbstverständliches Lehrstück über Entwicklung und Facetten der Konkreten Kunst an sich ist dieses farbenfrohe Arrangement. Und schon beinahe exemplarisch für die gesamte Schau.

Denn auch in den Kojen und Foyers der insgesamt drei Stockwerke tut sich so sinnlich wie durchdacht die ganze Bandbreite des Genres auf. Treten sich Bekanntes und bislang nicht Gezeigtes, Zeitgenössisches und Tradiertes ohne Berührungsängste, stattdessen mit ungeahntem Berührungspotenzial gegenüber. Da traut sich die Paintbox (2005) des jungen Künstlers Tom Früchtl, jene zierliche Pressspanbox mit Trompe-l’œil-Holzbemalung, neben den leuchtend pinkfarbenen, begehbaren „Farbraum in Rot“ von Rupprecht Geiger. Da hängen des Totalkünstlers Timm Ulrichs schräge Bienenwaben-Wachcollage (1972) und Hans Arps Holztorso (1915) friedlich nebeneinander. Da kommunizieren Fotos von Rolf Glasmeier mit einem Aquarell von Jean Tinguely, seines Zeichens immerhin Künstler des Nouveau Réalisme.

Da beleuchten Markus Linnenbrinks Epoxidharz-Streifenmalerei und Inge Dicks fotografische Langzeitbelichtung einer Wand gemeinsam das Sehen von Farbe. Alles steht für sich, alles kommuniziert. Und irgendwo dazwischen ist dann doch ein ganzes Kabinett dem großen Joseph Albers und seiner Werkserie „Hommage to the Square“ gewidmet.

Freilich: Wie schön und modern diese ein halbes Jahrhundert alten Bilder sind, sieht man wieder mit ganz neuem Blick. Denn Kuratorin Deiss ist es gelungen, durch neue Zusammenhänge die alten Meister gründlich zu entstauben. Keinen Platz für Überdruss bietet also diese sehenswerte Schau. In der man, so meinten viele Vernissagengäste am Sonntagvormittag, die weibliche Handschrift eindeutig spüren könne.