Ingolstadt - Alles nochmals auf Null: Bereits der erste Aufarbeitungsversuch des furchtbaren Auffahrunfalls auf der A9 zwischen Manching und Ingolstadt vom 20. Oktober 2019 hatte im Vorjahr am Landgericht viele Emotionen bei den Prozessbeteiligten geweckt.
Seit diesem Mittwoch muss das Verfahren von Grund auf neu aufgezogen werden, weil im vergangenen Herbst ein Ausfall in der Gerichtsbesetzung zum Abbruch gezwungen hatte. Die Neuauflage, das hat der erste Verhandlungstag gezeigt, wird die Protagonisten ebenfalls nicht schonen können.
Es geht um den gewaltsamen Tod eines Menschen: Ein 21-jähriger Gaimersheimer, der am späten Abend dieses Herbsttages vor nunmehr 15 Monaten auf der Autobahn in Richtung Nürnberg - wahrscheinlich auf dem Heimweg - unterwegs gewesen war, war binnen Minuten im zerfetzten Wrack seines Autos verblutet. Sein Audi, so viel steht längst zweifelsfrei fest, war von einem rasant nachfolgenden getunten BMW M4 regelrecht "abgeschossen" worden. Der Fahrer dieses wohl 560 PS starken Wagens steht nun erneut als Angeklagter vor der 1. Strafkammer, die als Schwurgericht den schwerwiegenden Vorwurf des Totschlags zu prüfen hat. Es könnte hier um viele Jahre Gefängnis gehen.
Denn nach wie vor ist die Staatsanwaltschaft davon überzeugt, dass der heute 23-jährige Mann aus Geisenfeld wegen seines zu jener Stunde zügellosen Fahrstils - ein Gutachter errechnete gut 230 Kilometer pro Stunde zum Unfallzeitpunkt - den wilden Crash und somit auch den Tod des anderen jungen Mannes als Folge eines illegalen Kraftfahrzeugrennens (gegen sich selbst) verschuldet hat. Nicht umsonst war schon beim ersten Verfahren stets vom "Raser-Prozess" die Rede gewesen.
Weil die gesetzlich höchstmögliche Zeit für Untersuchungshaft durch die Prozessaussetzung in diesem Fall überschritten zu werden drohte, war der angeklagte Fertigungsmechaniker im vorigen Herbst vorläufig wieder auf freien Fuß gesetzt worden. Damals war er an jedem Verhandlungstag aus dem Untersuchungsgefängnis vorgeführt worden, gegenwärtig darf er das Landgericht von daheim aus ansteuern.
Auch am Mittwoch hat der junge Mann in einer Erklärung, die sich direkt an die Hinterbliebenen des Unfallopfers gerichtet hat, sein großes Bedauern über den immensen Verlust dieser Familie ausgedrückt. Mit brüchiger Stimme sagte der erneut sehr korrekt mit weißem Hemd auftretende Angeklagte, dass "kein Tag vergeht, an dem ich mir nicht wünsche, es ungeschehen zu machen". Und: "Ich würde keine Sekunde zögern, mein Leben einzutauschen. Es zwingt mich jeden Tag in die Knie. "
Während der Geisenfelder den weiteren Verhandlungsverlauf durchweg mit gesenktem Kopf und über einen Aktenordner gebeugt verfolgte, hörte sich die Kammer nach und nach erste Zeugen an, die am fraglichen Oktoberabend gegen 23 Uhr in unmittelbarer Nähe des Unfallgeschehens auf der A9 in Richtung Nürnberg unterwegs gewesen waren. Diese Frauen und Männer hatten nur zum Teil den unmittelbaren Crash gesehen, meistens nur einen Knall gehört und Trümmerstücke fliegen sehen.
Den besten Blick aufs Geschehen hatte wohl eine jetzt 45-jährige Erzieherin aus Dietfurt gehabt, die kurz darauf auch den ersten Notruf abgesetzt hatte. Sie war unmittelbar hinter dem Audi-Fahrer mit etwa 120 km/h auf der mittleren Spur gefahren, als dieser - nach ihrer Aussage korrekt mit zuvor betätigtem Blinker - zu einem Überholvorgang auf die linke Spur gewechselt war. Dort war wohl nur Sekunden später der nachfolgende BMW des Angeklagten aufgefahren. Dieser Unfall war auch für die Frau völlig unvermittelt, wie aus dem Nichts, geschehen: "Ich habe nur ein schwarzes Etwas an mir vorbei schießen gesehen - dann hat es auch schon geknallt. " Die Bremslichter des BMW seien nur ganz kurz aufgeflackert.
Eindrucksvoll auch die Schilderung eines Gespannfahrers, der mit seinem Wohnwagen schräg vor den Unfallkontrahenten gerade von der mittleren auf die rechte Spur gewechselt hatte, als er im Rückspiegel den nach dem Aufprall abgehobenen BMW von hinten auf sich zufliegen sah - "mit den Rädern nach oben". Das Flugobjekt krachte in den Wohnwagen, der völlig demoliert wurde. Die Familie im vorgespannten Pkw hatte offenbar Riesenglück, nicht noch selber in Mitleidenschaft gezogen zu werden.
Ähnlich glimpflich kam ein Lkw-Fahrer davon, der den von der Fahrbahn katapultierten Audi nur wenige Meter vor seinem Führerhaus quer über die Autobahn in den Hang und wieder zurück auf den Asphalt schießen sah. Hätte er nicht bereits nach dem Knall ("Ich dachte, mir wäre ein Reifen geplatzt") abgebremst, hätte es für den Mann wohl schlimm ausgehen können: "Dann säße ich jetzt nicht hier. "
Aussagen von Ersthelfern, die den tödlich verletzten Gaimersheimer im Wrack seines Autos sterben sahen, ließen alle Zuhörer im Gerichtssaal betroffen dreinschauen. Der Unfallverursacher sei dort ebenfalls kurz aufgetaucht, so hieß es, habe dabei immer nur gerufen "Was habe ich getan! " Später soll er weinend und zitternd am Straßenrand gesessen haben.
Die Verteidiger machten geltend, dass der Audifahrer für ihren Mandanten unerwartet und plötzlich auf die linke Spur gewechselt sei. Das nächtliche Tempolimit von 120 km/h im fraglichen Abschnitt der A9 sei nicht zur Gefahrenabwehr, sondern wegen des Lärmschutzes erlassen worden.
Für alle Prozessbeteiligten und Beobachter ist die spannende Frage, was der junge Mann bei seinem Tempo überhaupt noch für eine Chance gehabt haben könnte, diesen fatalen Zusammenstoß zu vermeiden. Sie soll in vorläufig neun weiteren Sitzungstagen bis Ende März beantwortet werden. Nächster Verhandlungstermin ist der Montag kommender Woche, 25. Januar.
DK
Bernd Heimerl
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