Eichstätt
"Was geschieht mit mir"

In der Abschiebehaftanstalt: Amnesty International unterstützt künftig den Jesuitenflüchtlingsdienst

18.09.2017 | Stand 02.12.2020, 17:29 Uhr

Foto: Eva Chloupek

Eichstätt (EK) Die Abschiebehaftanstalt mitten in Eichstätt bringt alle Beteiligten an ihre Belastungsgrenzen: das Vollzugspersonal, die Polizeibeamten, die Anwohner und auch die Insassen. Die nächtlichen Ruhestörungen, die Inhaftierten und Nachbarn den Schlaf rauben, sind nur ein Beispiel dafür.

Anfang des Monats hatten sich Anwohner bei unserer Zeitung gemeldet und sich über das nächtliche Geschrei aus der Haftanstalt beschwert. Vertreter von Polizei, Vollzugsanstalt und Politik haben einen "Runden Tisch" dazu angekündigt (wir berichteten). Die Insassen selbst haben keinen Sprecher - sie werden noch am ehesten durch Pater Dieter Müller vertreten. Im Namen des Jesuitenflüchtlingsdienstes (JFD) besucht er zusammen mit einer Ordensschwester einmal wöchentlich die derzeit etwa 80 bis 90 Flüchtlinge, die hinter Gittern auf ihre Zwangsabschiebung warten.

Müller hat viel Erfahrung mit Abschiebegefängnissen, er betreut seit 1999 Abschiebehäftlinge in Deutschland, zunächst in Berlin, dann lange in München-Stadelheim, in Mühlheim und nun eben, seit dem Umzug der dortigen Abschiebehaftanstalt nach Eichstätt, hier. Das nächtliche Lärmen sei ihm nicht neu, sagt er: "Das kenne ich aus Stadelheim." Die Häftlinge nutzen demnach Schreie und auch Schlagen gegen die Gitterstäbe als Kommunikationsmittel zwischen den Zellen und Stockwerken. Laut werde es vor allem dann, wenn jemand gebracht oder abgeholt werde.

Müller hat vollstes Verständnis für die Anliegen der Anwohner und deren berechtigten Wunsch nach Nachtruhe, "ich fürchte aber, das wird man wohl nur baulich-technisch lösen können". Er wirbt aber auch um Verständnis für die Insassen. Denn anders als in einer Justizvollzugsanstalt, also in einem "normalen" Gefängnis, seien hier Menschen eingesperrt, die sich "nichts haben zuschulden kommen lassen". Müller verweist auf seine Erfahrung und erklärt: "Insider wissen, dass 90 bis 95 Prozent der Menschen in Abschiebehaft wirklich nichts verbrochen haben. Ich treffe auch hier in Eichstätt sehr selten Leute mit Vorstrafen".

Abschiebehaft sei eben keine Straf-, sondern eine reine Verwaltungsmaßnahme, erklärt Müller. Deshalb müssten diesen Häftlingen mehr Freiheiten zugestanden werden - auch in Sachen Schließzeiten, Besuchszeiten Kommunikationsmittel. "Die meisten der Leute, meist junge Männer, sind zum ersten Mal in einem Gefängnis, wissen kaum, warum sie eingesperrt sind, und was mit ihnen geschieht", sagt Müller, sie leben in Ungewissheit.

Der Jesuitenpater ist zwar eigentlich als überkonfessioneller Seelsorger im Einsatz, in seinen Beratungsgesprächen geht es jedoch hauptsächlich um rechtliche Fragen: "Das sind die Dinge, die den Leuten auch am meisten auf der Seele brennen. Es geht immer um die Frage: ,Was geschieht mit mir'."

Die eingesperrten Flüchtlinge sähen sich da auch hohen bürokratischen und finanziellen Hürden ausgesetzt: Im Gegensatz zu mutmaßlichen oder verurteilten Straftätern bekämen Abschiebehäftlinge zum Beispiel keinen Pflichtverteidiger zur Seite gestellt; das müsse sich Müller zufolge dringend ändern, um den Betroffenen eine möglichst faire juristische Behandlung zuteilwerden zu lassen. Derzeit springt hier noch der Hilfsfonds des Jesuitenflüchtlingsdienstes ein.

Auch wenn also politisch noch einiges im Unklaren oder - je nach Sichtweise - im Argen liegt, zumindest personell kann Dieter Müller bald mit Unterstützung rechnen: Mitglieder der Eichstätter Amnesty-International-Gruppe wollen möglichst bald zusätzlich zu Müllers Besuchen ebenfalls einmal wöchentlich Abschiebehäftlinge beraten. Die Anstaltsleitung, die sich auch sonst relativ aufgeschlossen zeige, habe diese Beratungsbesuche inzwischen genehmigt, sagt AI-Sprecher Mathias Schmitt gegenüber unserer Zeitung. Derzeit lassen sich die Ehrenamtlichen noch fortbilden und gehen mit Dieter Müller mit. Ab Oktober wollen sie dann so weit sein, auch selbst Beratungsdienste übernehmen zu können.