Eichstätt
"Was Europa verliert, ist Ausstrahlung"

Podiumsdiskussion an der KU zu den Auswirkungen des Brexits auf die Sicherheitspolitik

14.01.2019 | Stand 02.12.2020, 14:51 Uhr
Aktuelle Diskussion: Welche sicherheitspolitischen Auswirkungen hat der Brexit? Dieser Frage ging eine illustre Runde aus Politik und Wirtschaft nach. −Foto: Schiavone

Eichstätt (EK) Verändert sich mit dem Brexit auch die europäische Sicherheit? Diese Frage hat sich die Außen- und Sicherheitspolitische Hochschulgruppe der Katholischen Universität gestellt und Vertreter aus Politik und Wissenschaft zur Podiumsdiskussion geladen.

Morgen stimmt das britische Unterhaus über den von Premierministerin Theresa May ausgehandelten Deal mit der EU ab. Die vor rund einem Jahr neu gegründete Außen- und Sicherheitspolitische Hochschul-gruppe, der KU, hat dies zum Anlass genommen, sich dem sicherheitspolitischen Aspekt des Brexits zu widmen. Neben Wissenschaftler Klaus Brummer, Professor für Internationale Beziehungen, diskutierten Reinhard Brandl (CSU), Ulrich Lechte (FDP), Anne Franke (B90-Die Grünen) und Gerold Otten (AfD) über die europäische Sicherheitsarchitektur nach dem Brexit. Moderiert wurde die Diskussionsrunde von Andreas Ludwig, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Internationale Beziehungen.

"Eines gilt als ausgemacht: Die Premierministerin Theresa May und die Regierung ihrer Majestät werden eine Niederlage im Parlament erleiden", mit diesen wenig optimistischen Worten eröffnete Moderator Ludwig die Diskussionsrunde im Studihaus der KU. Denn ob und wie der Brexit kommt, sei ungewiss: "Derzeit erscheint zwischen einem harten Brexit, also dem viel zitierten ?No-Deal' und einem Rückzug vom Brexit theoretisch alles denkbar", so Moderator Ludwig.

Der Brexit ist eine Herausforderung für die EU und Europa, aber "was verliert eigentlich die Europäische Union in Sachen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungs-politik, wenn die Briten rausgehen?", fragt Professor Klaus Brummer zu Beginn, "meine These: nicht viel. Die EU verliert massiv an Potenzial, aber relativ wenig an Praktischem, was Großbritannien bislang schon eingebracht hätte", so der Wissenschaftler ernüchternd.

So hätten die Briten weder ihre Streitkraft noch ihre Stellung als Nuklearmacht im Rahmen der gemeinsamen EU-Außen-, Sicherheits- oder Verteidigungs-politik eingesetzt: "Gerade wenn es Spitz auf Knopf stand, also im Irak (2005) und in Libyen (2011) haben die Briten zu keiner Zeit ihren Sitz im UN-Sicherheitsrat als einen europäischen Sitz verstanden." Die Konsequenzen seien somit überschaubar. Dem stimmt auch Ulrich Lechte von der FDP zu: "Falls es wirklich zum Angriff auf Europa käme, wären die Briten ja im Rahmen der NATO mit von der Partie." Aus sicherheitspolitischer Perspektive kann Lechte (FDP) dem Brexit sogar etwas Positives abgewinnen, denn schließlich hätten die Briten den Traum einer europäischen Armee immer wieder boykottiert. Dass die Zusammenarbeit im Bereich der Verteidigung ohne Großbritannien weitaus besser laufe, findet auch Reinhard Brandl von der CSU; den Brexit hält er aber dennoch für "eine Katastrophe". Letztlich gehe es den Briten darum noch "mit am Tisch zu sitzen", ein Vetorecht, welches sie mit dem Brexit verlieren und das "tut Großbritannien im Ergebnis ein Stück weit mehr weh, als der EU."

Als Beispiel nennt Brandl das europäische Satellitennavigations- und Zeitgebungssystem "Galileo", in das die Briten bereits Milliarden Euro investiert haben, ihnen aber als Nicht-EU-Mitgliedstaat künftig der Zugriff verwehrt bliebe. Gerold Otten von der AfD steht der Entscheidung der britischen Bevölkerung für den EU-Austritt gelassen gegenüber: "Wir haben das zu akzeptieren, es war eine Volksabstimmung. Wenn es ein Land gibt, das in der Lage ist auf eigenen Füßen zu stehen, dann ist es Großbritannien." Wie schon seine Vorredner betonte auch der ehemalige Berufssoldat die viel ausschlaggebendere Rolle der NATO, welche auch weiterhin die europäische Sicherheitsarchitektur bestimmen werde. Stattdessen solle Deutschland seiner Ansicht nach auf eine eigene Sicherheitsstrategie setzen, statt nur auf multilateralen Konsens.

Aus friedenspolitischer Sicht argumentierte die Landtags-abgeordnete Anne Franke von den Grünen. Sie nahm den Brexit als Anlass, um sich für eine regionale wie globale zivile Sicherheitspolitik auszusprechen.

Die Frage, was denn die EU durch den Brexit verlieren könne, wurde weniger diskutiert, als eine Gesamtschau möglicher Folgen vorgetragen.

Brandl (CSU) beklagte den Verlust der maritimen Stärke der EU sowie die außenpolitischen und diplomatischen Kapazitäten, die der Brexit seit zwei Jahren verschlinge.

"Was bis dato ungelöst bleibt, ist die Sicherheit der Grenzen, die wir mit Großbritannien haben", ergänzte Ulrich Lechte (FDP). Sorgen bereite ihm das aber nicht, hätten die Briten doch bisher relativ wenig von ihrer staatlichen Souveränität abgegeben. Stattdessen könne er sich in zehn oder fünfzehn Jahren sogar einen Wiedereintritt der Briten vorstellen: "In welchem Status auch immer, das wird sich zeigen."

Der Austritt eines EU-Mitgliedsstaates, er hinterlässt Kratzer im europäischen Erfolgsmodell und der Brexit bestärke dies, schließt Politikexperte Klaus Brummer die Diskussionsrunde ab: "Was Europa verlieren wird, ist Ausstrahlung. Die Idee war immer, dass Europa wächst. Jetzt haben wir erstmals den Fall, dass jemand nicht mitspielen will."

Das Diskussionspotenzial hielt sich an diesem Abend in Grenzen. Waren sich doch alle einig, dass die EU-Sicherheitspolitik den wohl geringsten Schaden vom Brexit nehmen werde.