Weichering
"Viermal hatte ich den Tod vor Augen"

Soran Jamal Faraj hat Kurdistan verlassen und in Weichering eine neue Heimat gefunden

01.06.2015 | Stand 31.01.2017, 18:18 Uhr |

Foto: Ramona Schittenhelm

Weichering (DK) Der Kurde Soran Jamal Faraj hat vor 15 Jahren seine Heimat verlassen und in Deutschland ein neues Zuhause gefunden. Es hat eine Zeit lang gedauert, doch heute sagt er: „Inzwischen habe ich mich hier voll integriert.“ Ein Porträt.

Bis nächstes Frühjahr sitzt Soran Jamal Faraj in Weihenstephan noch in den Vorlesungen seines Studiengangs „Brau- und Getränketechnologie“. Der inzwischen 38-Jährige ist gebürtiger Kurde. Seit rund sechs Jahren besitzt er die deutsche Staatsangehörigkeit. 2014 kandidierte er sogar für die Weicheringer SPD um einen Sitz im Gemeinderat. „129 Stimmen habe ich damals erreicht“, erzählt Soran Jamal Faraj. Damit lag er im Mittelfeld der Kandidaten. Auch wenn es zum Einzug ins Gremium nicht gereicht hat, gefreut hat ihn das Ergebnis allemal. Denn Weichering ist für ihn mittlerweile zu seiner neuen Heimat geworden.

Inzwischen fühlt sich Soran Jamal Faraj hier gut integriert. „Bis hierher war es ein harter und steiniger Weg“, erzählt der 38-Jährige. Mit 23 fasste er den Entschluss, aus Kurdistan wegzugehen. „Ich hatte einfach keine Perspektive mehr“, erzählt der junge Mann, der in Deutschland inzwischen eine eigene Familie mit zwei Kindern hat. Seit er 18 Jahre alt war, herrschte ständig Krieg. „Unsere Familie gehörte über Generationen hinweg zu den Widerstandskämpfern – wir haben uns gegen Saddam aufgelehnt. Ich selbst war damals in der Widerstandspartei aktiv.“

2000 dann der Entschluss, die alte Heimat zu verlassen – nur eben nicht wie die Sprösslinge der reichen Parteikollegen per Flugzeug, sondern per Schlepperbanden. „Viermal hatte ich den Tod vor Augen auf der ganzen Strecke. Mehrmals spürte ich die Kugel schon im Kopf und war am Ende überrascht, dass sie mich doch nicht ganz getroffen hatte“, beschreibt der gebürtige Kurde, der sich die 4500 US-Dollar, die seine Flucht letztlich gekostet hatte, von seinem in den USA lebenden Onkel geliehen hatte.

Die Reise aus seiner alten in die neue Heimat führte über den Irak in den Iran, dann in die Türkei. Über das Mittelmeer ging es nach Griechenland, dann weiter nach Italien. „Wir waren teils 40 Menschen, eingepfercht in einem Lastwagen, hatten kaum Luft zu atmen“, beschreibt Soran Jamal Faraj. Eine menschenunwürdige Tortur. Und dennoch sieht er es heute als richtig an, würde es wieder tun – auch wenn er seine Eltern und fünf Geschwister in Kurdistan freilich ungern zurückgelassen hat. „Eigentlich wollte ich nicht nach Deutschland, sondern nach Großbritannien“, erzählt Faraj. Bis ins französische Calais hätte ihm das Geld des Onkels gereicht. Von hier aus wären mindestens noch 500 Dollar bis nach Großbritannien nötig gewesen. „Viel Geld für mich. Und ich wollte meinen Onkel nicht weiter anbetteln. Deshalb bin ich dann von Rom aus nach München. Allerdings nicht in der Gruppe, sondern nur noch mit vier weiteren Flüchtlingen, mit dem Taxi über die Grenze geschleust.“

In München angekommen, ging es zunächst ins Asylbewerberlager, von dort nach einigen Wochen ins Flüchtlingslager nach Ingolstadt. „Im Sozialamt hier gab es einen Mitarbeiter, der mir sehr geholfen hat. Durch ihn habe ich relativ bald über eine Zeitarbeitsfirma Arbeit und eine Wohnung gefunden.“

Aber es waren nicht alle so freundlich. Manche hatten Berührungsängste mit den ‚Fremdlingen‘. Angst hatte aber auch Soran Jamal Faraj. Angst davor, etwas falsch zu machen. Auch ein wenig Angst vor den Deutschen, die so strikt nach Regeln agierten. „Inzwischen habe ich mich hier aber voll integriert, merke, dass ich zunehmend selbst auf Sicherheit bedacht bin und riskante Dinge eher sein lasse“, resümiert Faraj.

Faraj war mitten im Einbürgerungsverfahren – zwei Jahre noch bis zur endgültigen Aufenthaltsgenehmigung – als er seine heutige Frau kennenlernte: „Als wir uns entschlossen haben, zu heiraten, hatte ich letztlich sogar Nachteile und musste ein längeres Verfahren akzeptieren, bis ich meine endgültige Aufenthaltsgenehmigung bekommen habe.“

Auch wenn seine Familie die Hochzeit nicht mitfeiern konnte, den Kontakt in die alte Heimat gibt es längst wieder. „Meine Mama und mein Onkel waren bereits bei uns zu Besuch und auch wir waren in den vergangenen Jahren zweimal dort“, erzählt Faraj, der schon auch ein wenig darauf achten möchte, dass seine Kinder die Sprache ihres Vaters lernen. „Meine Frau kann sich inzwischen ein wenig verständigen, hat auch eine kurdische Tracht und akzeptiert meine kurdischen Wurzeln.“

Wichtig sei ihm aber in all der Zeit gewesen, dass er selbst arbeiten konnte. Denn wenn man nichts tun könne, falle einem schnell die Decke auf den Kopf. Wichtig sei auch, dass man möglichst frühzeitig nach der Ankunft über die teils traumatischen Erlebnisse sprechen könne, dass man sich aber nicht nur mit Landsleuten umgibt. Denn gerade in der Anfangszeit sei es besonders wichtig, Kontakte zu Deutschen zu knüpfen, die Sprache zu lernen und so Barrieren und Ängste abzubauen, die es auf beiden Seiten zweifelsohne gibt, weiß Faraj aus seiner eigenen Flucht-Erfahrung.

Die Zeit in Neuburg als Helfer und dann als Vorarbeiter war hart, aber auch wichtig für Farajs Entwicklung in Deutschland. Sein Traumjob war es aber nicht, hat er doch eigentlich Abitur und ein abgeschlossenes Bachelor-Studium im Agrarwesen. Anerkannt wurde hier in Deutschland nur das Abitur, aber damit war der Zugang zur Hochschule offen für Faraj: „Mir war immer wichtig, dass ich einen richtigen Beruf habe, und wollte eine Ausbildung machen, um nicht ständig als Helfer dazustehen.“ Aber in den Ämtern sagte man ihm: „Für eine Ausbildung sind Sie zu alt.“

Für den zweifachen Familienvater, der inzwischen seit zweieinhalb Jahren in Weihenstephan Vorlesungen besucht, war dies jedoch kein Bremsklotz, sondern lediglich eine neuerliche Herausforderung, die es zu meistern galt. „Ein wenig profitiere ich bei meinem Studium schon von meinem Vorwissen des Agrar-Studiums daheim. Ich freue mich schon darauf, nach meinem hoffentlich erfolgreichen Studienabschluss wieder Vollzeit zu arbeiten und vielleicht in einer Brauerei mein Wissen rund um das Thema Bier und Getränke einbringen zu können.“

Farajs Blick ist in die Zukunft gerichtet: Wohin ihn diese führen wird, ist offen: „Ob ich irgendwann wieder zurück nach Kurdistan gehe, weiß ich nicht. Ich glaube aber, dass ich inzwischen viel zu sehr Deutscher geworden bin, als dass ich mich in den bestehenden Strukturen dort ganz ohne Probleme wieder einfinden würde. Denn gerade in politisch problematischen Themenfeldern glaube ich nicht, dass ich einfach so meinen Mund halten könnte. Und das würde dann mir und meiner Familie nur Schwierigkeiten bringen.“

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