München
Verfangen im Liebesnetz

Sängerfest statt stringente Inszenierung: Zubin Mehta dirigiert Verdis "Maskenball" an der Staatsoper in München

07.03.2016 | Stand 02.12.2020, 20:07 Uhr

Liebeshändel: Riccardo (Piotr Beczala, rechts) wird schließlich deshalb ermordet. - Foto: Hösl

München (DK) Er wurde umjubelt wie ein Star. Als langjähriger Generalmusikdirektor an der Bayerischen Staatsoper hat Zubin Mehta in München noch immer einen großen Fanklub. Dieser Mehta-Kult war auf der jetzigen Premiere von Giuseppe Verdis Oper "Un ballo in maschera" (1859) allgegenwärtig, zumal Mehta im April seinen 80. Geburtstag feiert.

Für ihn war diese Premiere eine Art Debüt. Den Dreiakter hatte Mehta nämlich bislang nur konzertant dirigiert. Allerdings wirkte die Inszenierung von Johannes Erath, der erstmals am Nationaltheater Regie führte, über weite Strecken eher wie ein halbszenisches Kammerspiel. Auf der Einheitsbühne von Heike Scheele stehen eine große Treppe und ein Doppelbett. Manches erinnert an Stefan Herheim, zumal Scheele wie auch die Kostümbildnerin Gesine Völlm mit dem Norweger eng zusammen gearbeitet haben.

In diesem Ambiente wird das Dreiecksverhältnis zwischen Amelia (Anja Harteros), Riccardo (Piotr Beczala) und Renato (George Petean) aufgedröselt. Renato ist mit Amelia verheiratet, sie hat mit Riccardo eine Affäre. Wie so oft bei Verdi gibt es noch einen gesellschaftskritischen Hintergrund, was die Zeitlosigkeit seiner Opernstoffe wesentlich ausmacht.

Hier ist es ein Königsmord. Wegen der damaligen Zensur wurde aus dem ermordeten Schwedenkönig Gustav III. der Bostoner Gouverneur Riccardo. Und so geht es im "Maskenball" nicht zuletzt um Macht und Machtmissbrauch - um persönliche Motive des Handelns, die dem Wohl des Volkes schaden. Hier ist es zuvörderst Riccardos Berater Renato, der seine Position missbraucht - der Attentäter auf dem finalen Maskenball.

In München wird dieser Hintergrund allenfalls angedeutet, vor allem in Völlms Kostümen. Sie atmen die 1920er-Jahre, womit der Königsmord in Sarajewo ins Gedächtnis rückt - Auslöser des Ersten Weltkriegs. Man kann es so deuten oder nicht, weil Erath in seiner Regie nichts stringent durchführt. Immerhin wird das Liebesgeflecht solide ausgestaltet.

Hierfür arbeitet Erath mit Rückblenden und Ausblicken. Gleich zu Beginn sieht man auf einem Gaze-Vorhang den finalen Maskenball. Auch Amelias Kind huscht im ersten Akt durch die Szene: Als Renato zunächst Amelia umbringen möchte, wird sie ihn anflehen, ihren Sohn noch einmal sehen zu dürfen. Im scheinbar gespiegelten Bett, das vom Theaterhimmel baumelt, sieht man bald Riccardos Leiche - als böse Vorahnung.

Renato ist hingegen auch als kleine Puppe präsent, die von den anderen Personen gehalten wird - insbesondere von Amelia und Riccardo. In seiner Eifersucht ist Renato tatsächlich ein Getriebener, gesteuert und fremdbestimmt. Besonders gelungen ist in dieser Inszenierung jedoch die Darstellung von Riccardos Pagen Oscar (Sofia Fomina), eine Hosenrolle, die Verdi ganz bewusst androgyn charakterisiert.

Damit spielt Verdi auf die Bisexualität des Schwedenkönigs an, der mit seinem Diener ein Verhältnis hatte. Erath geht einen Schritt weiter: Bei ihm gibt es ein zweites Liebesdreieck, weil sich Oscar schließlich in Renato verliebt. Deshalb verrät Oscar auf dem Maskenball Riccardo, weil er seinerseits auf Amelia eifersüchtig ist. Die Wahrsagerin Ulrica (Okka von der Damerau) erntet nur Häme und Spott - bis es zu spät ist.

Sonst aber wirkt alles recht statisch, was schon der riesenhaften Treppe geschuldet ist. Dieser Mangel an flexibler Agilität setzt sich auch im Dirigat von Zubin Mehta fort. Zwar wird die Partitur vom Bayerischen Staatsorchester transparent ausgestaltet, allerdings bleiben die Tempi etwas monoton und behäbig. Dabei nehmen die abrupten Wechsel zwischen Tragik und Komik die Polystilistik des 20. Jahrhunderts vorweg.

Wo schicksalsschwer ein düsteres "Macbeth"-Kolorit schwärt, tänzeln wenig später Riccardos Ausgelassenheit und Gutgläubigkeit. Diese Kontraste waren zu matt. Dafür aber wurde ein Sängerfest geboten - allen voran von Anja Harteros und Piotr Beczala. Wie Harteros in Sekundenschnelle zwischen lyrischer Innigkeit und dramatischer Hochspannung wechselte, das war Sangeskunst vom Feinsten.