Ingolstadt
Ungültige Ehen und fehlende Papiere

Der Umgang mit Flüchtlingen stellt Standesbeamte vor viele neue Herausforderungen

09.05.2017 | Stand 02.12.2020, 18:10 Uhr

Ingolstadt (DK) Rund 500 Standesbeamte aus ganz Bayern treffen sich seit Montag und noch bis heute im Ingolstädter Stadttheater zu ihrer alle zwei Jahre stattfindenden Verbandsversammlung. Im Mittelpunkt stehen diesmal die Angelegenheiten von Flüchtlingen - seien es nun Probleme mit Papieren oder Kinderehen.

KINDEREHEN

"Alles begann mit dem Fall in Bamberg vor knapp zwei Jahren", erinnert sich Klaus Holub, der Vorsitzende des Fachverbands der bayerischen Standesbeamten. Eine 14-jährige Asylbewerberin aus dem Irak war verheiratet mit einem 21-jährigen Landsmann. Die beiden Flüchtlinge wurden dann in unterschiedlichen Aufnahmeeinrichtungen untergebracht, für die 14-Jährige galt es, das Sorgerecht zu klären. Die Ehe wurde aufgehoben. Der junge Ehemann aber war empört und wollte seine Frau zurück. Und die Standesbeamten im Freistaat wussten, dass hier gerade ein neues Problem am Entstehen war: Wie umgehen mit den ganzen Kinderehen?

Erst vor fünf Wochen hat die Bundesregierung beschlossen, noch in dieser Legislaturperiode ein Gesetz zur Bekämpfung der Kinderehen zu verabschieden. "Im Kern geht es darum, dass das Ehemündigkeitsalter ausnahmslos von 16 auf 18 Jahren heraufgesetzt wird", erläutert Professor Tobias Helms von der Philipps-Universität Marburg, den die Beamten zum Fachvortrag nach Ingolstadt eingeladen hatten. "Ehen, die im Ausland geschlossen wurden, sollen automatisch unwirksam werden, wenn einer der Ehegatten zum Zeitpunkt der Eheschließung jünger ist als 16 Jahre." War einer der Ehegatten bei der Heirat zwischen 16 und 18 Jahre alt, könne von der richterlichen Aufhebung "in besonderen Härtefällen" abgesehen werden.

Da muslimische Länder keinen nachehelichen Versorgungsausgleich kennen, sondern solche Fragen unmittelbar vor der Hochzeit geklärt werden, stehen infolge der von Gerichten ausgesprochenen Scheidungen plötzlich auch ungelöste ökonomische Aspekte der jungen Eheleute im Raum, erläutert Klaus Holub.

URKUNDEN

Silvia Hetzer, die stellvertretende Leiterin des Würzburger Standesamts, berichtete von ihren Erfahrungen mit den schwierigen Geburtsbeurkundungen von Flüchtlingen. "Hoher zeitlicher Druck" bestehe bei der Beurkundung - denn diese ist Voraussetzung dafür, dass die Flüchtlinge an anderer Stelle soziale Leistungen und finanzielle Hilfen beantragen können. Arbeiten die Standesbeamten nicht schnell genug, hagelt es deshalb mitunter Vorwürfe von den Flüchtlingen und den ehrenamtlichen Asylhelfern.

Ob die jeweiligen Männer, die von den Müttern als Ehepartner angegeben werden, das auch tatsächlich sind, kann oft nicht zweifelsfrei belegt werden. Heiratsurkunden existieren quasi nicht, vergleichbare Dokumente gingen angeblich meist auf der Flucht verloren. "Genau wie bei den verlorenen Pässen befürchten viele Asylbewerber wohl, dass die Aufdeckung ihres tatsächlichen Herkunftslands die Chance auf einen dauerhaften Verbleib in Deutschland verschlechtern könnte", berichtet Dagmar Heckel, die Leiterin des Nürnberger Standesamts.

Ohne korrekte Heiratsurkunde aber bekommt in Deutschland ein Kind automatisch den Namen der Mutter, auch ein gemeinsames Sorgerecht besteht erst einmal nicht - "was viele arabische Männer in ihrer Ehre kränkt", so Silvia Hetzer. Dass sie dann auch noch einen Vaterschaftstest ablegen sollen, um formale Rechte an ihrem Nachwuchs zu gewinnen, überfordere die meisten völlig.

FAMILIENRECHT

Die besonderen Herausforderungen muslimischen Familienrechts am Beispiel von Syrien erläuterte Lena-Maria Möller vom Hamburger Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht. Obwohl formal ein säkularer Staat, orientiere sich das Familienrecht in Syrien an den Vorschriften der jeweiligen Religionen, so Möller. Im Klartext: Koptische Christen unterliegen anderen Vorgaben für Eheschließung und Scheidung als sunnitische Muslime, Juden oder Drusen. Das syrische Personalstatusgesetz aber stammt aus den frühen 1950er-Jahren und wurde seither nur geringfügig modernisiert.

Weitere Unterschiede gäbe es wiederum, wenn Ehen entweder im Territorium des eher weltlichen Diktators Assad oder im Machtbereich der Terrormiliz IS geschlossen wurden. Häufig gibt es auch, weil die Menschen sich eher ihrem Stamm als dem Staat verpflichtet fühlen, bi-nationale Ehen mit anderen Arabern aus den Nachbarländern, beispielsweise Jordanien oder dem Libanon, was das Ganze nochmals kompliziere.