Ingolstadt
Umstrittene Entscheidung

Junhyung Kim ist Sieger beim Wettbewerbskonzert des Konzertvereins - das Publikum sprach sich für Dmitry Meyboroda aus

10.10.2018 | Stand 23.09.2023, 4:37 Uhr
  −Foto: Schaffer

Ingolstadt (DK) Es ist meist ein Zeichen von Höflichkeit und manchmal sogar nur eine Floskel, wenn Jury-Mitglieder nach einem Wettbewerb betonen, wie hoch das Niveau der Teilnehmer wäre und wie schwierig es unter diesen Umständen gewesen sei, einen Preisträger zu küren.

Bei dem "Konzert für junge Künstler" des Konzertvereins Ingolstadt am Dienstag allerdings waren diese Äußerungen auf keinen Fall nur leeres Gerede. Im Gegenteil: Das Urteil über die drei Pianisten war diesmal so kompliziert, dass die Jury-Mitglieder Micaela Gelius, Oliver Triendl und Vardan Mamikonian sich nicht auf einen Kandidaten oder eine Kandidatin einigen konnten. Am Ende wurde der Gewinner mit einer Mehrheitsentscheidung ermittelt - was es vermutlich bei diesem Wettbewerb vorher noch nie (oder schon lange nicht mehr) gegeben hat. Zugesprochen bekam den Musikförderungspreis der Koreaner Junhyung Kim. Ein Urteil, das wahrscheinlich beim Publikum zumindest auf Überraschung stößt. Denn den Publikumspreis erhielt mit großem Abstand der gebürtige Russe Dmitry Meyboroda (Jahrgang 1993), vor allem wohl für seine fulminante, fiebrig-überhitzte Darstellung von Maurice Ravels "La Valse".

Auf dem zweiten Platz in der Publikumsgunst landete die in Pforzheim geborene Pianistin Marie-Thérèse Zahnlecker (Jahrgang 1992). Diese Künstlerin wiederum hatten die Jury-Mitglieder überhaupt nicht auf dem Plan - bei allem Respekt vor ihrer hervorragenden Leistung.

Der Grund für die Unentschiedenheit ist offensichtlich: Alle drei Virtuosen spielten atemberaubend. Allen drei wünscht man eine Laufbahn als Konzertpianisten, und sie haben auch alle definitiv die Begabung dafür. Aber das ist es nicht allein, was eine Auswahl so schwer macht. Denn es handelt sich bei den jungen Wettbewerbsteilnehmern auch bereits um verblüffend reife Musikerpersönlichkeiten, allerdings alle mit einem eigenen, ganz unterschiedlichen Charakter, die gleichzeitig - und auch das ist staunenerregend - über hervorragend manuelle Fähigkeiten verfügen. Alle drei hatten ziemlich virtuose Werke aufs Programm gesetzt.

Am wenigsten vielleicht noch der Sieger des Abends Kim (Jahrgang 1997). Dafür hatte er sich einen dramaturgisch eleganten Kniff ausgedacht. Er kombinierte in seinem etwa halbstündigen Vorspiel zwei Stücke aus den "11 Humoresken" des berühmten zeitgenössischen Münchner Komponisten Jörg Widmann mit der "Humoreske" von Robert Schumann.

Widmanns Werk ist wie eine ferne Reflexion auf die große romantische Klaviermusik, auf Schumanns Kampf der Empfindungen und Ideen zwischen seinen Kunstfiguren Eusebius und Floristan. Schumannartige Floskeln wechseln ab mit modernistischem Figurenwerk, das die Romantik ironisiert, bricht, zerstört. Ein Spiel mit verschiedenen Bedeutungsebenen, die Kim ungemein klug ausleuchten konnte. Man spürte, was für einen Sinn für Timing er hatte, wie lange er einzelne Töne ausklingen lassen kann und wie er Pausen setzte. Ganz ähnlich verfuhr er mit dem großen, etwas introvertiert-versponnenem Schumann-Werk, das im Konzertsaal gar nicht so leicht zu spielen ist, weil es so voller geheimnisvoller Nuancen steckt. Und tatsächlich präsentierte sich Kim als großer musikalischer Erzähler, der mit bewunderungswürdiger menschlicher Reife das Publikum durch diese amorphe, fantastische Klavierlandschaft führte, der einen untrüglichen Sinn hat für die extremen Empfindungen, die in dieser Musik stecken. Sicher, der Anfang ("Einfach") hätte noch ein wenig klangschöner geformt sein können, manchmal hätte Kim auch den Mut haben sollen, noch radikaler, noch pianistisch packender zu formulieren. Dafür gelang ihm überzeugend, das Morbide, das Absurde und das Zerbrechliche dieser Charakterstücke hervorzuheben. Kritische Anmerkungen sind also vielleicht etwas überzogen.

Oder auch nicht. Denn alles, was man bei Kim vielleicht vermissen mochte, beherrschte Dmitry Mayboroda. Wo Kim immer ein wenig versponnen-feinsinnig romantische Motive entfaltete, spielte Mayboroda enorm farbig und souverän. Allerdings hatte er sich auch ein Programm mit gänzlich anderem Charakter ausgewählt. Mayboroda begann mit einer fein austarierten Interpretation der berühmten Es-Dur-Sonate von Joseph Haydn - ein nur vordergründig leicht zu spielendes Stück. Denn der Russe gestaltete mit großem Geschick all die kleinen humorvollen und augenzwinkernden Wendungen dieser Musik, die Trugschlüsse, die verblüffenden Imitationen, die kecken Einschübe. Und das alles mit hervorragendem Stilgefühl. Und natürlich ist Ravels "La Valse" ein furioses Effektstück, das immer gut beim Publikum ankommt. Aber so wie es Mayboroda spielte, mit enormen Kraftreserven, mit dieser Anschlagsraffinesse, der morbiden Melodienseligkeit und so durchsichtig hört man es selten. Und Mayborododa hat wirklich Temperament, sein Ravel hatte eine fantastische Steigerungs-Dramaturgie. Und vor allem: Mayboroda kommt bei diesem hochvirtuosen Stück keinen Augenblick ins Schleudern.

Auch die dritte Kandidatin des Wettbewerbs, Marie-Thérèse Zahnlecker, hatte ein sehr schwieriges Stück aufs Programm gesetzt, Sergej Rachmaninows 2. Klaviersonate, die sie in der längeren und (im langsamen Satz) auch etwas langatmigen Urfassung spielte. Zahnlecker jedoch konzentrierte sich weniger auf das furiose, orchestral-lärmige Gedonner, als vielmehr auf die lyrischen Passagen. Und in dieser insgesamt relativ weich gezeichneten Darstellung gelangen ihr wunderbare Momente. Dennoch: Obwohl Zahnlecker über eine hervorragende Technik verfügt, hätte diese Sonate vielleicht doch noch einen etwas härteren Zugriff verdient.

Jesko Schulze-Reimpell