München
Totgesagte leben länger

Weil sich Seehofer und Ude bewegen, steigen die Chancen für zweiten S-Bahn-Tunnel in München wieder

24.04.2012 | Stand 03.12.2020, 1:34 Uhr

München (DK) In den Streit um den Ausbau der Münchner S-Bahn ist gestern Bewegung gekommen. Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) schlug den CSU-Mann Peter Gauweiler als Vermittler vor. Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) lehnte das ab – will aber nun doch weiterverhandeln.

Christian Ude hatte sich seinen Coup so schön ausgedacht. Gestern lud er in die „Grützner Stube“, einen urig verzierten Raum im Münchner Rathaus. Beinahe genüsslich trug er vor, wie er den Streit um den geplanten zweiten S-Bahn-Tunnel in München zu lösen gedenkt – dieses „Kasperltheater“, wie der Oberbürgermeister es nennt.

Ein „fair moderierter Klärungsprozess“ müsse beginnen, sagte Ude. Gibt es einen Plan B zur zweiten S-Bahn-Stammstrecke, wie von den Gegnern behauptet? Wer außer der Stadt München könnte noch für die fehlenden 350 Millionen Euro aufkommen? Private Investoren, der Freistaat, die Deutsche Bahn? Solche Fragen seien zu klären. Einen Vermittler hatte Ude auch schon auserkoren: den Münchner CSU-Bundestagsabgeordneten Peter Gauweiler. Ude und Gauweiler, die sich seit Langem gut leiden können, hatten sich das schon am vergangenen Donnerstag im Rathaus so überlegt.

Ein CSU-Mann. Ein prominenter noch dazu. Damit wollte Ude auch Seehofer unter Zugzwang setzen. Der Streit um die S-Bahn hatte sich jüngst zugespitzt. Der zweite Tunnel in München ist seit 15 Jahren geplant. Die Infrastruktur ist nur für 240 000 Fahrgäste täglich vorgesehen. Inzwischen fahren aber 800 000. Landtag, Stadtrat und mehrere Kreistage hatten den Ausbau immer wieder unterstützt. Der Großraum München ist das wirtschaftliche Zugpferd für ganz Bayern.

Der Tunnel soll 2,2 Milliarden Euro kosten. Eigentlich müssen Freistaat und Bund zahlen, aber Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) hat kein Geld. 700 Millionen Euro fehlen. Die Hälfte davon würde der Freistaat übernehmen. Zuletzt hatte Seehofer Ude öffentlich unter Druck gesetzt, den Rest zu zahlen. Doch der pocht darauf, dass die Stadt nicht zuständig sei. Es ist auch ein Machtkampf. Bei der Landtagswahl 2013 treten die beiden gegeneinander an. Irgendwo dazwischen steht der zuständige Verkehrsminister Martin Zeil (FDP). Er versucht seit Wochen, die Sache voranzubringen. Erfolglos.

Und so war Seehofers Reaktion auf Udes Einigungsplan erwartbar: Er lehnte ihn ab. „Wir brauchen keinen Mediator, wir brauchen zusätzliches Geld“, sagte er. Eigentlich hatte er das Projekt faktisch schon für tot erklärt. Kein Geld aus München, kein zweiter Tunnel – so polterte auch Ramsauer noch am Wochenende.

Aber die beiden stehen auch in ihrer Partei unter Druck. Denn nicht das SPD-regierte München profitiert von der S-Bahn. Vor allem Zehntausende Pendler aus umliegenden Landkreisen warten seit 15 Jahren auf den Ausbau. Die Münchner CSU und mehrere CSU-Landräte sind gegen Seehofers strikte Haltung.

Deshalb lud Seehofer seinerseits gestern zu einem Krisengespräch in der Staatskanzlei. „Wir werden die Stammstrecke und ihre Finanzierung weiter untersuchen“, sagte er im Anschluss. Eine noch höhere Beteiligung des Freistaats schloss er aber aus. Man werde nun erst mal einzelne Teilprojekte realisieren, die mit der zweiten Stammstrecke später vereinbar sind, hieß es. Seehofer sagte, er wolle Ude zu einem Vieraugengespräch treffen. Das hat er kürzlich schon angekündigt. Vor Journalisten. Im Rathaus angefragt hatte er bis gestern nicht.

Genau das stört Ude. Seehofer gehe es nur um „Parteipolitik“, sagt er. Nach seiner Meinung könnte man genauso gut auch andere Kommunen, die von der S-Bahn profitieren, in die Pflicht nehmen. Aber die würden eben von der CSU regiert. Was die Finanzierung angeht, sieht Ude andere am Zug. Den Bund, den Freistaat, die Bahn AG, die mit der S-Bahn satte Gewinne macht. Gestern sprach er auch von einem Privatinvestor, der möglicherweise mit einsteigen wolle. Wenn dann ein „kommunaler Rest“ bleibe, werde er sich nicht verweigern. Offenbar ist das Münchner Tunnel-Projekt doch noch nicht gestorben.