Bayern
Totenstille auf der Wiese

Insektenbestand geht weiter zurück

02.05.2018 | Stand 23.09.2023, 3:06 Uhr
Ein Tagpfauenauge saugt Nektar an einer Blüte - ein Bild, das zunehmend seltener wird. −Foto: Rumpenhorst/dpa

Wo es einst summte und brummte, fehlt heute vielfach die Lebensgrundlage für Insekten. Es sind nicht nur die oft zitierten Spritzmittel, die den Schwund der Kerbtiere verursachen. Leergeräumte Kulturlandschaften und steril wirkende Privatgärten tragen ebenso dazu bei.

Man kann es natürlich pauschalieren. Insekten? "Mag ich nicht!" Die einen stechen, die anderen machen sich über den Zwetschgendatschi her oder summen in unserer Küche herum. Und diese Sauerei an der Autoscheibe nach einer nächtlichen Fahrt, alles voller toter Falter und Mücken. Wer so denkt, mag es vielleicht eher gelassen hinnehmen, wenn vom Insektenschwund die Rede ist. Aber ohne Insekten, auch Kerbtiere genannt, würde das Leben zunehmend verarmen, was letztlich auch auf den Menschen zurückschlägt.

Ein dreigliedriger Körperbau, sechs Beine und meist am Brustteil sitzende Flügel - jedes Kind lernt die Hauptmerkmale der Insekten schon in der Schule. Gut 33.000 Arten leben allein in Deutschland, weltweit sollen es eine knappe Million sein. Insekten sind für die meisten Ökosysteme auf der Erde von zentraler Bedeutung, sieht man einmal von den Meeren ab. Sie spielen eine wichtige Rolle bei der Blütenbestäubung, helfen bei der Nährstoffrückführung durch die Beseitigung von Kadavern oder Pflanzenresten und sind selbst Nahrung für viele andere Tierarten. Der Mensch setzt sie etwa zur biologischen Schädlingsbekämpfung ein. Manche Arten gelten als Schädlinge, weil sie parasitär leben, Ernten vernichten und Krankheiten verbreiten.

Der Naturschutzbund (Nabu) in Deutschland hatte bereits seit gut zwei Jahren auf ein dramatisches Insektensterben in bestimmten Regionen hingewiesen. Richtig ins Bewusstsein der Bevölkerung drang diese Entwicklung erst im vergangenen Herbst, als britische, deutsche und niederländische Wissenschaftler - wie berichtet - eine Studie veröffentlichten und das Thema ins Licht der Öffentlichkeit rückten. "Unsere Ergebnisse dokumentieren einen dramatischen Rückgang bei Fluginsekten um durchschnittlich 76 Prozent (im Hochsommer bis zu 82 Prozent) in gerade einmal 27 Jahren", schreiben die Autoren wörtlich. Die Untersuchung belege, dass nicht nur einzelne Arten wie Schmetterlinge, Motten oder Wildbienen bedroht seien, sondern Fluginsekten generell.

Die Erhebung der Zahlen hatte hier und dort für Kritik gesorgt und die Frage aufgeworfen, ob die Ergebnisse tatsächlich wissenschaftlich fundiert seien. Ihre Bedeutung ist heute weitgehend anerkannt. Krefelder Insektenkundler hatten ab 1989 die Insektenvorkommen an 63 Messstellen in Naturschutzgebieten in Brandenburg, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz erfasst - stets unter gleichen, nachvollziehbaren Bedingungen. Nicht zuletzt gibt es ähnlich erschreckende Befunde auch anderswo in Deutschland, etwa aus dem Regensburger Raum. So berichteten Entomologen von Wiesen nahe der oberpfälzischen Domstadt, wo die Zahl der Schmetterlingsarten von 117 im Jahr 1840 auf 71 vor fünf Jahren zurückgegangen sei - um mehr als ein Drittel.

Was tun, um dieser Entwicklung dauerhaft Einhalt zu gebieten? Ein Schlüssel liegt sicher in der Landwirtschaft: "Die Zukunft von Schmetterlingen und Bienen entscheidet sich auf Äckern und Wiesen", stellt der Bund Naturschutz (BN) fest. Ein Drittel der Wiesen in Bayern sei in den vergangenen rund 40 Jahren verschwunden. Aus den meisten der verbliebenen Wirtschaftswiesen seien "wegen der hohen Gülleaufbringung und der viel höheren Anzahl von Schnitten sehr artenarme Grasbestände ohne Blütenangebot geworden, auf denen im Frühjahr nur noch die gelbe Blütenfarbe des stickstoffliebenden Löwenzahns auftaucht". Hubert Weiger, bis vor wenigen Tagen BN-Landesvorsitzender in Bayern, stellt ein klare Forderung auf: "Ein Ausstieg aus dem Giftkreislauf der Landwirtschaft ist überfällig. Auch die Zulassungsverfahren für Pestizide müssen endlich transparent werden und Umweltaspekte stärker berücksichtigen." Der BN fordert deshalb eine Reform der EU-Agrarpolitik. Pauschale Flächenprämien an die Landwirtschaft müssten schrittweise abgebaut und an Kriterien wie Tierwohl, Schutz der Biodiversität, also der biologischen Vielfalt, oder regionale Kreislaufwirtschaft gebunden werden. "Ansonsten sind nicht nur viele Insektenarten, sondern auch die bäuerlichen Familienbetriebe selbst bedrohte Arten. Die von der Agrarlobby organisierte Landwirtschaftspolitik ist nicht nur insektengefährdend, sondern vernichtet jedes Jahr viele bäuerliche Existenzen", sagt Weiger.

Andreas von Lindeiner ist Artenschutzreferent beim Landesbund für Vogelschutz (LBV) in Hilpoltstein und sieht die öffentliche Diskussion dieses Themas als große Chance an. "Das Insektensterben ist endlich in aller Munde, das finde ich gut. So werden die Probleme wenigstens angesprochen und es finden sich hoffentlich Lösungen." Wo liegen seiner Ansicht nach die Ursachen? Von Lindeiner spricht wie der BN unter anderem den Strukturwandel in der Landwirtschaft als großes Problem an. "Das ist aber eine Folge der Politik, man kann das nicht dem kleinen Bauern anlasten. Der hat es schwer genug." Die Betriebe würden immer größer und mit ihnen die bestellten Ackerflächen, was zu Verinselungseffekten führe und dazu, dass Biotope nicht mehr verbunden seien. "Das bringt auf Dauer eine zunehmende Artenverarmung mit sich."

Das zweite große Defizit sieht der LBV-Artenschutzexperte im Fehlen von Blühstreifen und Rückzugsgebieten an Feldrändern und an Wegen. "Da wird alles runtergeschlegelt, den Tieren fehlt es an Nahrung und Deckung. Pflanzen und ihre Wurzeln bedeuten außerdem einen guten Erosionsschutz, das wird oft verkannt. Die Politik muss endlich handeln und mit gezielter Förderung eine ressourcenschonende Landwirtschaft auf den Weg bringen."

So wünscht sich Andreas von Lindeiner neben anderen Vorgaben (siehe Kasten links) etwa ein fundiertes Insekten-Monitoring, "wobei man auch Insektenfresser erfassen sollte - die Entwicklung in der Vogelwelt sagt uns viel darüber, wie es um die Insekten steht". Ein hohes Nahrungsangebot bedeute viele Vögel, wenig Futter das Gegenteil .

Immerhin, die Europäische Union hat jetzt das Ausbringen dreier bienenschädlicher Spritzmittel ("Neonicotinoide") im Freiland verboten. Das allein reicht freilich nicht, um die Insekten zu retten, gefordert sind vielmehr alle. Der Ingolstädter Jäger Wendelin Schleicher etwa setzt sich schon jahrzehntelang für eine naturnahe Landschaftspflege zum Nutzen aller Tierarten ein. "Fasane und Rebhühner finden oft nichts mehr zu fressen, weil wir ihnen die Futterquellen vor dem Schnabel wegmähen", schimpft er. "Ich kann mich nur ärgern über so viel menschliche Unvernunft", sagt er. Für den Jagdpächter Manfred Kreis ist die naturnahe Gestaltung seines Reviers in Wöhr bei Münchsmünster (Landkreis Pfaffenhofen) fast schon eine Lebensaufgabe, im Februar zeichnete der Bayerische Jagdverband ihn dafür aus. Die Botschaft: Wenn Jäger und Landwirte an einem Strang ziehen, entstehen blühende Landschaften, von denen Mensch, Flora und Fauna profitieren, Insekten ebenso wie Rehe, Hasen, Fasane und Vögel.

Vorbilder können zudem die Kommunen sein, würden sie auf ihren Flächen insektenfreundlicher und pestizidfrei wirtschaften. Nicht zuletzt gilt das für Privatgärten, ein oft vernachlässigter Faktor für den Artenschutz. Wer statt exotischer Gewächse heimische Pflanzen setzt und Spritzmittel weglässt, tut viel für die Natur. Es gibt Übleres, als ein paar Gänseblümchen im Rasen.

Horst Richter