Ingolstadt (DK) "Verrat mir dein dunkelstes Geheimnis", bittet er.
Drängt er. Fordert er. Und lockt sie mit einem eigenen Geständnis. Quid pro quo. Da ist das Interview schon längst aus dem Ruder gelaufen. Sind beide - der Redakteur und der Filmstar - erschöpft von den gegenseitigen Verletzungen, Boshaftigkeiten, Schmähungen, die sie einander zugefügt haben. Da haben sie sich schon geküsst. Gehasst. Entblößt. Hat er schon ihr Tagebuch gelesen. Und sie von seinem toten Kind erfahren. Jetzt also eine letzte Antwort. Die Wahrheit. Und Katja erzählt.
"Das Interview" heißt Theodor Holmans Stück, das auf dem vorletzten Film des niederländischen Regisseurs Theo van Gogh basiert, der 2004 von einem islamischen Fundamentalisten ermordet wurde. Leni Brem setzte das psychologische Kammerspiel um Macht und Manipulation im Ingolstädter Altstadttheater mit großer Intensität in Szene. Die Premiere am Donnerstagabend wurde mit langem Applaus gefeiert.
Und das liegt nicht nur an dem spannenden Plot mit messerscharfen Dialogen und treffsicheren Pointen, sondern vor allem an diesem sehr präzisen und fein austarierten Verführungs- und Vernichtungsspiel, das die Regisseurin mit ihren beiden Schauspielern erarbeitet hat. Manuel Klein und Emily Marie Seidel sind beide zum ersten Mal im Altstadttheater zu erleben. Er als politischer Redakteur Pierre, den der Einsatz als Kriegsberichterstatter zynisch gemacht hat, und der nur äußerst widerwillig für einen erkrankten Kollegen aus der Klatsch-Redaktion eingesprungen ist, um dieses Interview mit der Schauspielerin Katja zu führen. Sie als eben dieses Schönheits- und Sexsymbol - bewundert, begafft, begehrt, verehrt. Wie beide nun um dieses Interview streiten - das er nicht machen will und ihr egal ist -, das ist ein rhetorischer und theatraler Hochgenuss.
Denn beide schaffen es exzellent, ein Gleichgewicht der Kräfte zu bewahren, mit immer neuen überraschenden Enthüllungen zu punkten, und dabei nicht nur ihre Figuren im Ungefähren zu halten, sondern auch den Zuschauer nie hinter ihre Masken blicken zu lassen. Ehrlichkeit ist eine Ware mit kurzem Verfallsdatum. Gibt es eine Wahrheit zwischen Sein und Schein. Immer könnte es so oder auch anders sein. Wem kann man glauben. Katja und Pierre provozieren, parlieren, schmecken Worte ab, umkreisen sich, weichen aus, bohren nach, treiben Scherz mit dem Entsetzen, eine zarte Geste hier, ein "Es tut mir leid" da, Nähe und Distanz, ein Tanz am Rande des Abgrunds, aber stets bleiben sie wachsam, im Kampfmodus. Manuel Klein und Emily Marie Seidel ziehen in diesem Duell alle Register.
Und Regisseurin Leni Brem bereitet ihnen dafür eine große Bühne: Zwei weiße Sitzquader und leere Rahmen verraten bewusst wenig über die Bewohnerin, die im knallroten Overall und in passenden Stilettos wie ein wandelndes Klischee verspätet zum ausgemachten Termin eintrifft. Doch es ist genau dieses raffinierte Spiel mit Klischees, das dieses Stück so reizvoll macht. Immer wieder werden sie durchbrochen - wie die einzelnen Szenen durch musikalische Intermezzi. "Das Interview" präsentiert zwei konträre Vertreter der Medienindustrie, erzählt von Profession und Vampirismus, von Moral und Kommerz und der hohen Kunst der Verstellung. Ein starker Abend.
Weitere Vorstellungen im Altstadttheater: 24. Mai, 2., 9. und 15. Juni, jeweils um 20.30 Uhr. Karten gibt es in allen DK-Geschäftsstellen.
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Anja Witzke
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