Ingolstadt
Superkräfte gegen Trennungsschmerz

Pures Theaterglück: Jule Kracht inszeniert "Die Abenteuer der Maulina Schmitt" in der Ingolstädter Werkstatt

04.03.2018 | Stand 02.12.2020, 16:44 Uhr

Maulina (Olivia Wendt) heckt einen Plan aus, wie sie Mauldawien zurückerobern kann. Regisseurin Jule Kracht hat den ersten Band von Finn-Ole Heinrichs Kinderbuchtrilogie "Die erstaunlichen Abenteuer der Maulina Schmitt" im Jungen Theater Ingolstadt in Szene gesetzt - traurig und komisch zugleich. - Foto: Olah

Ingolstadt (DK) Herrlich ist dieses Königreich Mauldawien. Mit großen Zimmern und einem Balkon voller Erdbeerduft, mit geheimen Gemälden unterm Tisch und einer Skulptur aus gekauten Kaugummis auf dem Kühlschrank, mit 84 Topfpflanzen und einer Fußmatte aus Wildschweinborsten. Mit einem verwunschenen Garten samt Birnbaum, Brombeerhecke und Vogelgezwitscher. Mit Vater, Mutter, Kind.

Das war einmal. Jetzt ist alles anders. Jetzt wohnt Maulina mit ihrer Mutter in einer seltsam sterilen Wohnung am anderen Ende der Stadt. "Plastikhausen", sagt Maulina dazu, die eigentlich Paulina heißt, aber das Maulen zur Lebenseinstellung erkoren hat. Ja, das Maulen sogar in Superkraft verwandelt hat. Während "der Mann", zu dem sie nicht mehr Papa sagt und dessen Gesicht sie mit Edding-Stiften aus den Fotos kritzelt, allein in Mauldawien lebt. Jetzt ist da die neue Schule. Und Mamas Krankheit. Und vor allem viel Wut. Unverständnis. Ohnmacht.

Wie Paulina mit dieser neuen Situation umgeht, erzählt Finn-Ole Heinrich in seiner Kinderbuch-Trilogie "Die erstaunlichen Abenteuer der Maulina Schmitt" auf zutiefst berührende und höchst komische Weise. Zeigt er doch, dass im Leben oft die unterschiedlichsten Dinge gleichzeitig passieren - Kompliziertes und Federleichtes, Schmerzhaftes und Schönes. Denn: Ohne Umzug und Schulwechsel hätte Paulina nie Paul kennengelernt. Und der ist schon sehr besonders. So besonders wie Finn-Ole Heinrichs Bücher. Hart. Herzlich. Ehrlich.

Regisseurin Jule Kracht hat den ersten Teil dieser Maulina-Trilogie, "Mein kaputtes Königreich", nun auf die Werkstattbühne des Jungen Theaters Ingolstadt gebracht. Mit überbordender Fantasie, knallbunt, wild und bewegend. Die Premiere am Freitagabend wurde mit minutenlangem Beifall gefeiert. Zu Recht.

Hier stimmt einfach alles: Das theatrale Konzentrat, das Jule Kracht aus der Buchvorlage gewonnen hat, die Besetzung, die Musik, die Kostüme, die Bühne. Vor allem die Bühne. Denn die Regisseurin greift Rán Flygenrings Illustrationen der Bücher auf und entwickelt daraus ein eigenes Zeichensystem im wahrsten Sinne des Wortes. Jule Krachts Tochter Karlotta - zehnjährig wie die Titelheldin - hat dazu kleine Skizzen beigesteuert, die der Videokünstler Esteban Nuñez in ein mauldawisches Comic-Universum verwandelt. Und wenn Olivia Wendt als Maulina im Superheldenkostüm im Garten träumt oder mit Paul nach Hause läuft, dann sprießt um sie herum eine fröhlich-bunt gezeichnete Landschaft, dann treiben Hummeln ihr luftiges Gaukelspiel, dann heben gezeichnete Pfeile hervor, was gerade am allerwichtigsten ist. Wunderschön ist das - und clever gemacht. Dazu die Musik von Till Rölle, die mal glockenspielzart klingt, mal unangenehm knarzt, mal partyknallerhaft lärmt. Die herrlich verrückten Kostüme von Nora Lau. Und natürlich die wunderbaren Schauspieler: Olivia Wendt spielt diese Maulina als kreatives Energiebündel mit solch kindlichem Trotz, solchem Einfallsreichtum, solcher Extravaganz und Verletzlichkeit, dass es einem ganz schwer wird ums Herz. Paula Gendrisch setzt diesen wilden Überspanntheiten der Tochter eine ruhige, klare, liebevolle, aber auch schutzlose Mutter entgegen. Benjamin Dami brilliert als Großvater-General mit sorgsam gezwirbeltem Schnurrbart und denkwürdiger Philosophie. Und Benjamin Kneser gibt den Paul in zu kurzen Hosen und mit Brillenpflaster mit stiller Kraft und einem fast schon beschwingten Pragmatismus. "Das is eben so", sagt er. Wenn er mal was sagt. Und damit beginnt eine Freundschaft fürs Leben.

Jule Krachts Inszenierung ist äußerst vielschichtig. Nicht nur inhaltlich. Allein wie die Regisseurin Erzähltheater (aus der Kindperspektive) und Spielszenen mit Videoprojektion mischt, wie erfinderisch sie die Comic-Ebene des Buches auf der Bühne umsetzt, wie einfühlsam sie Räume groß und winzig klein macht (was sehr genau kindlichen Rückzugsmustern abgeschaut ist), wie präzise sie ihre Schauspieler in dieser eigenwilligen Mischung aus realen und märchenhaften Figuren agieren lässt, das geht weit über Finn-Ole Heinrichs Buch hinaus. Jule Kracht macht schwere Themen leicht. Dieser Theaterabend ist witzig, traurig, tröstlich, klug und voller Poesie. Vor allem aber ist er pures Theaterglück - nicht nur für Kinder (ab 10 Jahren), sondern für die ganze Familie.

Neben zahlreichen Schülervorstellungen gibt es am 7. April (18 Uhr) eine Vorstellung im freien Verkauf. Kartentelefon (0841) 30 54 72 00.