Salzburg (DK) Vor einem stilisierten grauen Himmel im Bühnenhintergrund sitzt sie an der Rampe. Betont schlicht, mit weißer Bluse und heller, weiter Leinenhose, ist sie gekleidet. Das graue Haar straff zurückgekämmt, das Gesicht ungeschminkt, das die Falten daher nicht verbirgt: Vanessa Redgrave (71), britische Schauspiellegende, die mit Filmen wie "Blow Up" und "Mrs. Dalloway" zur Kino-Kultfigur und zum Weltstar wurde.
Zu den Salzburger Festspielen wurde sie nun eingeladen, den zum Monolog umgeschriebenen Bestseller "The Year of Magical Thinking" der 1934 geborenen amerikanischen Autorin Joan Didion zu rezitieren. Am Broadway vor zwei Jahren uraufgeführt, in Londons National Theatre ein Besuchermagnet, in Salzburg nun ein Event mit Gästen wie Bianca Jagger und Fürstin Gloria von Thurn und Taxis. Dabei ist das Thema höchst traurig: Didion beschreibt ihre Verzweiflung und ihre innere Leere nach dem plötzlichen Herztod ihres Mannes nach 39 Jahren glücklicher Ehe. Zum Schock erweitert sich die Trauerarbeit, als während der Manuskriptabfassung Didions Tochter im Alter von 39 Jahren stirbt.
Abgedunkelt ist die Bühne des Salzburger Landestheaters, allein ein warmes Spotlight ist auf Vanessa Redgrave gerichtet. Ihre großen, wachen, graugrünen Augen funkeln, die Gestik ist zurückhaltend, doch ihre Körpersprache ist von ungemein starker Suggestion. Mit sonorer Stimme trägt sie in ihrem 100-Minuten-Monolog in gepflegter englischer Sprache nicht nur Joan Didions Empfindungen vor, sondern sie macht den Schmerz und das Leid dieser Witwe und die Gedanken dieser einsamen Mutter geradezu spürbar.
Ergreifend, anrührend und bewegend ist es ganz zweifellos, wie Vanessa Redgrave die Schicksalsschläge der Autorin mit bewusst sparsam eingesetzten schauspielerischen Mitteln, aber enormer Ausstrahlung erfahrbar macht. Und doch fragt man sich beim frenetischen Schlussjubel des Festspielpublikums, ob es – neben der möglicherweise positiven therapeutischen Maßnahme – ethisch zu vertreten ist, sein Leid über den Verlust zweier geliebter Menschen als Broadway-Hit – mit Salzburg-Abstecher – zu vermarkten. Und ob es wirklich notwendig war, dieses One-Woman-Recital ins offizielle Festspielprogramm zu nehmen. Ein schlichter Off-Off-Auftritt wäre gewiss sinn- und vor allem pietätvoller gewesen.
Wiederholung heute um 19.30 Uhr; im Anschluss lesen Vanessa Redgrave und Jürgen Flimm Gedichte von Guantánamo-Gefangenen.
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