Ingolstadt
Stochern im Nebel

Nach der Sondersitzung: BGI kündigt weitere Fragen an Klinikums-Aufsichtsratsvorsitzenden an

22.01.2018 | Stand 02.12.2020, 16:55 Uhr
Stadtrat Ingolstadt −Foto: Sabine Hartmann

Ingolstadt (DK) Abwarten, was der Zivilprozess und die Ermittlungen gegen die 15 weiteren Beschuldigten in der Affäre Klinikum bringen. So lautet die Devise der Fraktionen nach der Sondersitzung des Stadtrates am Freitag. Die BGI kündigte gestern weitere Fragen an den Aufsichtsratsvorsitzenden an.

"Wir stochern noch viel zu sehr im Nebel", sagte BGI-Fraktionschef Christian Lange gestern dem DK. Gegenwärtig sieht er die Forderung nach einem externen Ermittler, wie ihn die SPD wünscht, nicht. "Wenn unsere Fragen unbefriedigend beantwortet werden, werden wir darüber nachdenken."

Wie berichtet, hatten die Rechtsanwälte des Ingolstädter Klinikums und des Aufsichtsrats, Markus Steinmetz und Fritz Kroll, den Stadtrat am Freitag in einer Sondersitzung über die konkreten Vorwürfe gegen den ehemaligen Geschäftsführer des Ingolstädter Klinikums informiert. Heribert Fastenmeier, der seit acht Monaten in Untersuchungshaft saß, hatte sich einen Tag nach den Weihnachtsfeiertagen in seiner Zelle erhängt. Das strafrechtliche Verfahren gegen ihn ist damit zwangsläufig beendet. Juristisch aufgearbeitet werden sollen die Vorwürfe dennoch: Das Klinikum will von den Erben Schadenersatz auf zivilrechtlichem Weg fordern.

Der strafrechtlich relevante Schaden, den Fastenmeier nach Meinung der Anklage verursacht haben soll, liegt bei insgesamt rund 2,26 Millionen Euro. Zivilrechtlich seien die Forderungen noch höher. Die im Stadtrat genannten Vorwürfe ergeben sich aus der Anklageschrift der Ingolstädter Staatsanwaltschaft - es geht um mehrere Auftragsvergaben, bei denen zum Teil "Fastenmeier nahestehende Personen" begünstigt worden sein sollen, aber auch um eine nicht geltend gemachte Nachzahlung beim Verkauf des alten Krankenhauses an einen Bauträger, um ausbezahlten Urlaub, Vorträge, nicht in Rechnung gestellte Steuerberaterleistungen und den Verkauf von Werbemitteln über den Klinikums-Shop.

"Jetzt haben wir die juristischen Vertreter des Klinikums gehört. Zur Bewertung des Sachverhalts fehlt die andere Seite", meinte SPD-Fraktionsvorsitzender Achim Werner in der Sitzung. Die andere Seite in Person von Fastenmeiers Düsseldorfer Strafverteidigers André Szesny hat die Live-Übertragung der öffentlichen Sitzung online verfolgt. Der Aufsichtsrat des Klinikums, lautet Szesnys Erkenntnis daraus, habe "lediglich die Inhalte der Anklage der Staatsanwaltschaft Ingolstadt zusammengefasst und sich zueigen gemacht". Eine Auseinandersetzung "mit den aktenkundigen entlastenden, mitunter unstrittigen Aussagen Herrn Fastenmeiers zu seiner Verteidigung hat im Aufsichtsrat offenbar auch weiterhin nicht stattgefunden". Dies falle insbesondere dort auf, "wo der Aufsichtsrat bzw. sein jeweiliger Vorsitzender in die verfahrensgegenständlichen Vorgänge einbezogen waren".

"Wo ist da die Kontrolle geblieben", hatte in der Sitzung in Richtung Aufsichtsrat der Republikaner Ulrich Bannert gefragt. Die jährlichen Prüfungen durch externe Wirtschaftsprüfer erfolgen jeweils stichprobenartig, betonte Anwalt Kroll. Die Vorkommnisse seien stets "gut versteckt worden". Kroll: "Wir sehen darin ein System." Von einem Versagen der Aufsichtsgremien könne keine Rede sein.

Weil unter der Vielzahl von Vorträgen, die Fastenmeier von der Staatsanwaltschaft als einzelne Untreuefälle angelastet werden, einer ist, den dieser unentgeltlich bei einem Führungskräfteforum der Stadt gehalten hat, fragte SPD-Fraktionschef Achim Werner: "Haben die Geschäftsführer anderer Tochtergesellschaften für einen solchen Vortrag auch Urlaub genommen?"

Die Diskussion drehte sich um die Frage, warum die Aufsichtsgremien über Jahre hinweg von den dem damaligen Klinikchef vorgeworfenen Machenschaften nichts bemerkt haben. Angesichts der stets guten Zahlen des Klinikums habe es keinen Grund gegeben, nachzufragen, meinte SPD-Stadtrat Manfred Schuhmann.

Eine Information des Stadtrates in dieser Form wäre während eines laufenden Strafverfahrens nicht möglich gewesen, betonte CSU-Stadträtin und Amtsgerichtsdirektorin Dorothea Deneke-Stoll. Zum externen Ermittler: "Ich sehe keinen Anlass, auch nur ansatzweise, einen Untersuchungsausschuss einzuberufen." Auch Grünen-Fraktionschefin Petra Kleine sieht dafür gegenwärtig keinen Grund. "Wir müssen die 15 weiteren noch offenen Ermittlungen abwarten", meinte sie gestern. Man dürfe aber nicht vergessen, dass es zu Beginn der Affäre auch eine Mandatsniederlegung gab. "Wir bleiben wachsam und sind auf alles Mögliche gefasst."

Bürgermeister Sepp Mißlbeck sprach gestern von einer "denkwürdigen Sitzung". Angesichts der Tatsache, dass er seit 40 Jahren mit Fastenmeier befreundet gewesen sei und einer der letzten Abschiedsbriefe Fastenmeiers an ihn ging, sehe er "manche Dinge aus einer anderen Perspektive".

Konrad Ettl, der Vizevorsitzende der CSU-Fraktion, der die Sitzung angesichts der "vielen Gerüchte, die umgehen", wirklich notwendig fand, meinte über Fastenmeier: "Er war einer der besten Klinikmanager. Aber er hatte zwei Seiten. Und beide muss man ansprechen."

Alt-OB im Visier

Ingolstadt (rl) Voraussichtlich im Februar will die Staatsanwaltschaft entscheiden, ob auch gegen den Ingolstädter Altoberbürgermeister Alfred Lehmann Anklage erhoben wird. Wenn die Stellungnahme von Lehmanns Verteidiger vorliege, werde die Strafverfolgungsbehörde ihre Abschlussverfügung treffen, sagte der Leitende Oberstaatsanwalt Wolfram Herrle gestern auf DK-Anfrage. Das Verfahren ist getrennt vom "Komplex Klinikum", nur in einem Punkt gebe es eine Überschneidung - es geht um den Verkauf des ehemaligen städtischen Krankenhauses an einen Bauträger. Die Verantwortung für eine entgangene Nachzahlung in Höhe von rund 657 000 Euro ist, wie berichtet, dem früheren Klinikum-Geschäftsführer Heribert Fastenmeier angelastet worden. Lehmann war zum Zeitpunkt des Verkaufs Aufsichtsratsvorsitzender und hatte auf dem Areal eine private Wohnung erworben. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen des Verdachts der Bestechlichkeit.