
Ingolstadt - Es ist eine Nachricht mit großer politischer Brisanz, aber sie gelangte eher beiläufig in die Öffentlichkeit: Am Dienstag verteilte das Presseamt der Stadt an Journalisten ein Schreiben mit Änderungen im Jahressitzungsplan. Darin wird eine Sondersitzung des Kultur- und Schulausschusses angekündigt: am Freitag, 23. Oktober, direkt vor der Vollversammlung des Stadtrats. Einziger Punkt: „Rückführung der Veranstaltungs gGmbH“.
Rückführung bedeutet Auflösung. Die Gesellschaft im Besitz der Stadt Ingolstadt – seit ihrer Gründung 2016 sehr umstritten – soll bis 30. April 2021 abgewickelt werden. Die rund 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind bereits informiert, alle hätten das Angebot erhalten, zur Stadt Ingolstadt zu wechseln, berichtete Kulturreferent Gabriel Engert am Mittwoch auf Anfrage. Die Aufgaben der Gesellschaft – sie organisiert nahezu alle Veranstaltungen vom Afrikafest über die Literaturtage bis hin zu Märkten und Volksfesten – kehren ins Kulturamt zurück, und damit auch in den unmittelbaren Zuständigkeitsbereich des Stadtrats, so wie es die ehemalige Opposition im Stadtrat seit Jahren fordert.
Das Thema „städtische Beteiligungsgesellschaften“ hat in den vergangenen beiden Wahlperioden regelmäßig erbitterte Konflikte ausgelöst. Auch unter den Oberbürgermeistern Alfred Lehmann und Christian Lösel (beide CSU) wurden viele kommunale Aufgaben in städtische GmbHs ausgelagert. Die Opposition beklagte die „Selbstentmachtung des Stadtrats“ und warf der CSU „Konzerndenken“ vor.
Stadträte gehören zwar den Aufsichtsräten der GmbHs an, dürfen aber ihren Fraktionskollegen nichts aus den Sitzungen berichten. Der Dauerstreit um die Kontrolle kommunaler Entscheidungen und deren Transparenz stand Anfang 2016 während einer dramatischen Stadtratsdebatte über die von OB Lösel forcierte Gründung der Veranstaltungsgesellschaft knapp vor der Eskalation. CSU und FW setzten sich durch. Die zankerfüllte Vorgeschichte der GmbH ist den Beteiligten unvergessen. Sie schwingt in den Diskussionen über die städtischen Gesellschaften immer mit.
Christian Scharpf knüpfte im Wahlprogramm der SPD daran an: Dort heißt es: „Die Beteiligungsstrukturen müssen überprüft werden, und wo es sinnvoll ist, soll die Aufgabenerledigung wieder raus aus den Gesellschaften und zurück in den Hoheitsbereich überführt werden, damit der demokratisch legitimierte Stadtrat wieder die volle Entscheidungskontrolle erlangt.“ Jetzt, als Oberbürgermeister, fängt er bei der Veranstaltungsgesellschaft damit an. Sollte er erfolgreich sein, wäre es die erste Auflösung einer Gesellschaft im Besitz der Stadt.
Die Rückführung der GmbH in die Verwaltung erfolge „nicht eins zu eins“, sagte Engert. „Es wird nicht alles einfach auf den Stand von 2016 zurückgedreht.“ Vielmehr kämen die Zuständigkeiten der Gesellschaft in der Form eines „optimierten Regiebetriebs“ ins Kulturamt zurück. Das bedeute unter anderem, dass strukturelle Vorteile einer GmbH auch unter dem Dach einer Behörde weiterwirken. „Dieser Bereich wird nicht als Haushalt abgerechnet, sondern es wird mit kaufmännischer Buchführung ein eigener Wirtschaftsplan aufgestellt, der als Sondervermögen im Haushalt ausgewiesen wird“, sagte Engert. Die Gründung der GmbH sei also „nicht umsonst gewesen“. Auch mit deren Geschäftsführer Tobias Klein habe er „gut zusammengearbeitet“, sagte der Kulturreferent. Er fügte aber an: „Ich freue mich, dass der Veranstaltungsbereich wieder näher an mein Referat heranrückt.“ Der OB „steht eindeutig dahinter“.
Christian Scharpf sagte auf Anfrage: „Ich habe schon bei meinem Amtsantritt das städtische Beteiligungsmanagement gebeten, alle Beteiligungsstrukturen zu prüfen.“ Bis zum Ende des Jahres soll ein internes Papier vorliegen, auf dessen Basis in der Sache „städtische Gesellschaften“ über das weitere Vorgehen entschieden werde. „Wir machen das in zwei Schritten. Erst den Grundsatzbeschluss, dann schauen wir, wie wir die Verwaltung organisatorisch aufstellen.“ Die CSU gehe mit, sagte Scharpf. „Gabriel Engert hat das vorbildlich kommuniziert. Aber natürlich gab es intensive Diskussionen.“ Und wie der Kulturreferent hob der OB hervor, dass alle Mitarbeiter der Gesellschaft das Angebot erhalten haben, zur Stadt zu wechseln. „Das ist mir sehr wichtig.“
Scharpf verweist auf das Wahlprogramm der SPD. „Ich bin jetzt im Amt und packe das an, was ich mir vorgenommen habe.“ Es sei eine grundsätzliche Frage, städtische GmbHs zu gründen. „Bei den Stadtwerken oder den Kommunalbetrieben ergibt es Sinn, bestimmte Aufgaben nicht in der Hoheitsverwaltung zu haben, sondern weiter weg bei einer Geschäftsführung.“ Aber Kulturveranstaltungen, Märkte und Feste? „Da ist es sinnvoll, das näher am Rathaus zu haben. Das will der Stadtrat nicht aus den Händen geben, das spürt man auch im Veranstaltungsausschuss deutlich, das treibt die Leute um“, so Scharpf. Man könne natürlich für Feste eine GmbH gründen, „aber ich sehe das anders“. Er erinnert an eine der bekanntesten Veranstaltungen der Welt: „Das Oktoberfest wird auch von einer Stadtverwaltung organisiert. Und es funktioniert.“
Tobias Klein hat diese Entwicklung nicht überrascht. „Die Pläne sind ja schon schon länger bekannt“, sagte er auf Nachfrage des DONAUKURIER. Er habe deswegen auf eine rasche Entscheidung gedrängt und sei von Anfang an in enger Absprache mit Engert und Oberbürgermeister Scharpf gewesen. Vor allem wollte er Klarheit für seine Mitarbeiter, so Klein. „Mir war es auch wichtig, dass die Dinge, die wir als Stärken und neuen Ideen in der GmbH hatten, in den neuen Strukturen erhalten bleiben.“ Klein meint damit nicht zuletzt das gut funktionierende Team. Ein „wilder Haufen“ engagierter Mitarbeiter, die unterschiedliche Voraussetzungen mitbringen, aber sich alle engagiert für das Kulturleben einsetzten, lobt er. Da nun ein Konzept gefunden sei, das auch die Strukturen erhält, um weiter gute Arbeit zu leisten, sei er wegen der aktuellen Entwicklung „alles andere als enttäuscht“. Dass die Kulturarbeit wieder näher an das Referat und den OB rücke „kann durchaus Vorteile haben.“
Klein räumt ein, dass der Start seiner Amtszeit vor vier Jahren „schwierig“ war. Manch einer hatte der CSU-geführten Verwaltung Mauschelei vorgeworfen, war doch Kleins Frau Patricia damals schon CSU-Stadträtin und wenig später Fraktionsvorsitzende. „Es mag sein, dass ich die Ausmaße der Diskussionen damals unterschätzt habe“, sagt er heute. Dass die Kritik an der Entscheidung nicht immer sachlich und mitunter auch gegen ihn persönlich gerichtet worden sei, habe ihn „manchmal schon getroffen“, sagt Klein.
Was den Start 2016 auch erschwert habe, seien steuerrechtliche Veränderungen gewesen, die manchen Veranstalter in Harnisch brachten. „Das hatte aber nichts mit der gerade gegründeten GmbH und nichts mit mir zu tun. Die wären so oder so gekommen, manche haben die Schuld daran aber der Gesellschaft gegeben“, berichtet Klein.
Heute sei viel Kritik verstummt. Das Verhältnis zu den Veranstaltern sei gut, und mittlerweile hätten auch die Skeptiker gemerkt, „dass es doch eigentlich ganz gut funktioniert hat“. Deswegen sei er angesichts der aktuellen Entwicklung nicht verbittert, sondern eher motiviert, sich weiter für das kulturelle Leben der Stadt einzusetzen. Warum nicht als Leiter des Kulturamtes? Erste Gespräche habe es bereits gegeben. „Mir ist wichtig, dass wir unsere Arbeit so weiterführen können wie bisher, weil das auch irrsinnig viel Spaß macht – egal in welcher Rechtsform.“
Am Donnerstag, 22. Oktober, ist die „Rückgliederung der Veranstaltungs gGmbH“ Thema im Ausschuss für Sport, Veranstaltungen und Freizeit (Beginn um 16 Uhr), am Tag darauf kommt um 13.30 Uhr der Kulturausschuss in dieser Sache im Festsaal des Stadttheaters zu einer Sondersitzung zusammen – direkt vor der Stadtratssitzung, die um 15 Uhr beginnt.
REAKTIONEN
Alfred Grob, Vorsitzender der CSU-Stadtratsfraktion, erklärte am Mittwoch auf Anfrage: „Uns ist wichtig, dass die Errungenschaften, die in der GmbH erreicht worden sind, weitergeführt werden.“ Er nennt die Doppelte Buchführung, einen Wirtschaftsplan, das Jährlichkeitsprinzip und eine enge Zusammenarbeit mit dem Finanzamt. „Es hat ja damals sehr gute Gründe für eine GmbH gegeben.“ Sollten diese Neuerungen künftig auch in dem angestrebten so genannten „optimierten Regiebetrieb“ im Kulturamt beibehalten werden, sei es „im Grunde genommen egal“, ob die Organisationsform eine GmbH sei oder nicht.
Auf Tobias Klein angesprochen, betont Grob, er könne sich den aktuellen Geschäftsführer der Veranstaltungsgesellschaft auch gut als Kulturamtschef vorstellen. „An dieser Position muss man vertrauensvoll mit dem Kulturreferenten zusammenarbeiten können – und ich denke, dass Klein und Engert ein gutes Tandem wären.“
BGI-Chef Christian Lange schrieb in einer Stellungnahmen: „Bereits bei der Gründung dieser Gesellschaft hat sich die damalige BGI-Fraktion gegen diesen Schritt ausgesprochen, weil uns von Anfang an klar war, dass die Versprechungen und Ankündigungen rund um angebliche Steuerersparnisse und Synergieeffekte nicht stimmen können. Die Realität hat es dann sehr schnell gezeigt: Inzwischen arbeiten doppelt so viele Menschen in dieser Gesellschaft als früher im Kulturamt. Die Kosten sind mit 2,4 Millionen Euro deutlich höher, als wir seinerzeit befürchtet haben. Statt Einsparungen und Effizienzsteigerungen war das Ergebnis Geldverschwendung und Missmanagement. Das hat leider auch noch dazu geführt, dass kulturelle Veranstaltungen mit viel Tradition in diesen vier Jahren gestorben sind. Eine höchst ärgerliche Entwicklung, deren einziger Grund aus meiner Sicht in der Vetternwirtschaft der damaligen Stadtspitze zu suchen ist.“ jhh
KOMMENTAR
Wenig hat im alten Stadtrat die Stimmung noch stärker vergiftet als der ständige Streit um die GmbHs der Stadt. Für den von Effizienzenthusiasmus beseelten OB Christian Lösel war das nicht nur eine Machtfrage, sondern auch eine Glaubenssache. Die Auslagerung kommunaler Aufgaben in städtische Gesellschaften charakterisierte den mana-gementorientierten Politikstil des studierten Betriebswirts.
Auf der Gegenseite beklagten Oppositionspolitiker, der Stadtrat beraube sich seiner Kernkompetenzen, wenn er Aufgaben wie die Sanierung von Baudenkmälern (INKo Bau) oder eben die Organisation von Kulturleben und Fes-ten in der Stadt aus der Hand gebe wie im Fall der Veranstaltungsgesellschaft.
Es gibt auch Argumente für GmbHs in kommunalem Besitz. Keiner kann heute sagen, ob es nun besser ist, wenn ein Volksfest von einer Behörde oder einer Gesellschaft organisiert wird, zumal das Personal im Wesentlichen das gleiche bleiben wird. Aber vermutlich ist diese Frage noch nachrangig. Jetzt geht es weniger um Pragmatismus und Effizienz, sondern zuallererst um Politik. Also um Macht.
Christian Scharpf (SPD) hat im Wahlkampf angekündigt, Gesellschaften zurück in die Verwaltung zu holen, sollte er gewinnen. Dass er damit vor allem die von seinem Vorgänger durchgesetzte Veranstaltungs GmbH meinte, war zu erwarten. Jetzt, als OB, fackelt er nicht lange und sendet ein unmissverständliches Signal: Lösels Politikstil ist passé.
Dieser Weg ist der richtige. Der Stadtrat muss das Zentrum der Entscheidungen bleiben. Eine Kommune ist ein Gemeinwesen, kein Konzern. Fragen von öffentlichem Interesse müssen öffentlich diskutiert werden, nicht hinter geschlossenen Vorstandstüren, von denen es in Ingolstadt zu viele gibt. - Von Christian Silvester
Johannes Hauser, Christian Silvester