Neuburg (DK) Versteckte Wanzen in der Kleidung kennt man aus Spionagethrillern – aber aus dem Modeladen von nebenan? Sogenannte RFID-Chips verursachen fragende Blicke bei Kunden, Verunsicherung bei Händlern und Kritik bei Datenschützern. Wir nahmen die Verfolgung der Funketiketten auf. Seit 21 Jahren verkauft Walburga Hiermeier in ihrem Neuburger ModeTreff Pullover, Blusen und Jacken. Vor etwa einem Jahr machte sie eine ungewöhnliche Entdeckung. „Mir ist aufgefallen, dass die Etiketten so fest waren“, erinnert sie sich. Die Kleidungsstücke ließen sich nicht mehr richtig zusammenlegen. Sie untersuchte ein Etikett genauer und fand einen hauchdünnen, silbrig glänzenden Chip mit Antenne daran. „Ich hab’ gedacht: Ja Herrgott, was ist denn das“ Also griffen die Inhaberin und ihre Mitarbeiterinnen zur Schere – oder rissen die gruseligen Transponder einfach ab.
„Eigentlich müsste man doch vom Hersteller Gerry Weber eine Info bekommen, aber die haben uns nicht gesagt, was es mit den Dingern auf sich hat“, ärgert sich Hiermeier. Erst in einer Fachzeitschrift habe sie dann gelesen, was sie da aus den Winterjacken reißt.
Es handelt sich um sogenannte RFID-Chips (Radiofrequenz-Identifikation). „Sie ermöglichen es, Objekte eindeutig ohne Sicht- und Berührungspunkte zu erfassen. Herzstück ist der sogenannte Smartchip, ein winziger Computerchip mit Antenne, auf dem eine Ziffernfolge gespeichert ist. Gerry Weber integriert diese Technologie in seinen Kleidungsstücken“, heißt es in einer Erklärung der Produktionsfirma – auf Deutsch: Ortungschip. Dieser kann überall auf eine Entfernung von einigen Metern ausgelesen werden. Laut Gerry Weber dienen die Chips dazu, die Inventur und die Warenverfügbarkeit zu verbessern. Statt wie bisher alles händisch durchzählen zu müssen, kann der Verkäufer mit dem Funkempfänger einmal durch den Laden laufen – und hat alle Kleidungsstücke erfasst. „Gerry Weber wird RFID nur zur Verbesserung interner Prozesse einsetzen“, so die Firma auf Nachfrage unserer Zeitung.
Rena Tangens vom Verein digitalcourage e.V. will das nicht so einfach glauben – ihre Kritik: Die Transponder erlauben es dem Verkäufer, die Kunden auszuspähen und sogar Bewegungsprofile zu erstellen. Ein mögliches Szenario: Ein Kunde kauft sich eine graue Hose. Als er das nächste Modegeschäft betritt, kommt der Verkäufer nach einem Blick auf seinen Computer direkt auf ihn zu und bietet ihm ein passendes Sakko an, das genau das gleiche Grau hat, wie die Hose, die noch in der Einkaufstüte verborgen ist. Der Verkäufer hatte einfach die Produkt- und Seriennummer auf dem Chip ausgelesen: Der Traum vom gläsernen Kunden. Der Datenschutzverein weist auf die Möglichkeiten der Technik hin: „Unser Einkaufsverhalten wird ausspioniert, ohne dass wir es merken. Zum Beispiel: Wer steht wie lange vor welchem Regal? Welche Werbung kann man diesem Kunden gezielt zuschicken“
Das Bayerische Landesamt für Datenschutzaufsicht in Ansbach beobachtet die Entwicklung: „RFID ermöglicht damit technisch die von den Verbrauchern unbemerkte Ausforschung ihrer Lebensgewohnheiten und ihres Konsumverhaltens etwa zu kommerziellen Zwecken“, heißt es in einer Stellungnahme. Man verweist auf klare Regeln: „Wichtig ist, dass die Kunden darüber informiert werden, dass die Chips erkennbar sind und dass sie auch deaktivierbar sind“, erklärt Manfred Ilgenfritz, Referatsleiter für Datensicherheit. Eine heimliche Profilbildung sei nicht erlaubt. Denn grundsätzlich bestehe die Möglichkeit, die Produktnummern auf dem Chip mit den Kundendaten zu verknüpfen, etwa beim Bezahlvorgang. „Aktuell ist uns in Bayern aber kein Fall bekannt, wo diese Rahmenbedingungen nicht eingehalten werden“, sagt Ilgenfritz. Ein datenschutzkonformer Einsatz sei aber schwer zu kontrollieren: „Angesichts dieses Gefährdungspotenzials der RFID-Technologie erscheint es fraglich, ob die bestehenden gesetzlichen Regelungen ausreichen, den wirksamen Schutz der Persönlichkeitsrechte der Betroffenen zu gewährleisten“, heißt es vonseiten der Datenschutz-Aufsichtsbehörden.
Einige bekannte Marken setzen laut Computerbild auf die RFID-Technik, darunter auch Lemmi Fashion und Levi’s. s’Oliver bereitet demnach den Einsatz vor. Das Label Peuterey näht die Chips laut digitalcourage e.V. versteckt in die Kleidung ein. Gerry Weber erklärt, es sei technisch im Unternehmen sichergestellt, dass sich die RFID-Informationen im System explizit nicht einzelnen Verkaufstransaktionen oder Kunden zuordnen ließen. Man arbeite an einer neuen Variante, die sich nach dem Kauf selbst zerstört – etwa indem beim Bezahlen die Seriennummer gelöscht wird. Bleibt die Frage, warum man dann nicht gleich an der Kasse alle Chips herausschneidet. Kommentar Seite 2