Thalmässing
Spannende Zeitgeschichte

Jens Hase schildert in Thalmässing seine Erlebnisse in der Prager Botschaft im September 1989

05.05.2021 | Stand 09.05.2021, 3:33 Uhr
Der DDR-Zeitzeuge Jens Hase bringt den Thalmässinger Mittelschülern die deutsche Teilung näher. −Foto: Lifka

Thalmässing - Es ist eine Szene, die sich tief ins kollektive Gedächtnis der Deutschen eingebrannt hat.

Ebenso die Worte des damaligen Außenministers Hans-Dietrich Genscher: "Wir sind zu Ihnen gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass heute Ihre Ausreise möglich geworden ist. " Die letzten Worte - gesprochen vom Balkon des Palais Lobkowicz, dem Sitz der Deutschen Botschaft in Prag - gingen im euphorischen Jubel der Menge unter. Aber sie sind Teil des wohl wichtigsten unvollständigen Satzes in der deutschen und europäischen Geschichte geworden. Jens Hase hat sie seinerzeit live erlebt. Seine Eindrücke schilderte er kürzlich vor den Neuntklässlern an der Mittelschule Thalmässing und damit vor einer Generation, die die deutsche Teilung gar nicht erlebt hat, sie höchstens aus dem Geschichtsunterricht kennt.

Aufgewachsen ist Jens Hase in der DDR, im thüringischen Eisenach, nur acht Kilometer von der hessischen Grenze entfernt. Seine Familie konnte damals im grenznahen Gebiet auch Westfernsehen empfangen. Seine Kindheit sei behütet gewesen, erzählt er. Von den schwierigen Lebensumständen als Systemkritiker in der DDR hätten ihn seine Eltern weitgehend abgeschirmt, wenngleich er ihre Haltung natürlich mitbekommen habe. Zwei seiner Geschwister stellten Anträge auf ständige Ausreise aus der DDR. Als der Vater schwer erkrankt und die DDR-Medizin nicht weiterhelfen kann, stellen Hases Eltern ebenfalls einen Antrag auf ständige Ausreise - im Sommer 1989. Sie befürchten, dass dieser erst nach Jahren genehmigt wird. Doch im Juli ist die Genehmigung plötzlich da, jetzt muss es schnell gehen. Innerhalb von 24 Stunden müssen die Eltern die DDR verlassen - der 19-jährige Jens darf dagegen nicht ausreisen.

Der Wunsch in den Westen zu gehen, hat sich bei Hase allmählich entwickelt. Die Ablehnung des Systems und seiner Vertreter wuchs von dem Moment an, als er erfuhr, dass er nicht auf eine weiterführende Schule durfte. Als er im Gegensatz zu seinen Eltern bleiben muss, reift der Gedanke der Flucht. Er fährt mit dem Zug nach Prag und kann dort über den Zaun der Prager Botschaft klettern, zusammen mit vielen anderen DDR-Bürgern. Bei Genschers berühmter Rede steht er direkt unter dem Balkon in Prag in der Menge - zwischen Hoffen und Bangen.

Seinen Weg dorthin, seine Gefühle, seine Erlebnisse schilderte der 51-Jährige in Thalmässing eindrucksvoll. Ruhig. Und doch emotional. So erfuhren die Schüler von der Angst, die Hase als Kind gegenüber dem Westteil Deutschlands - der BRD - und den dortigen Menschen hatte. Ein Bild, das seine Lehrer in der jungen Generation erzeugten. Und er erzählt von seiner Freude über eine echte Coladose.

Das war Geschichtsunterricht hautnah. "Das ist halt etwas ganz anderes, wenn da jemand erzählt, der das wirklich erlebt hat", gab die Schülerin Laura hernach ihren Eindruck wieder. "Wir konnten richtig mitfühlen", bestätigen andere Neuntklässler.

Heute lebt Jens Hase übrigens in Günzburg, wo er vor über 30 Jahren auch seine Eltern wiedergefunden hat. Mit Sonderzügen kam er seinerzeit in die Bundesrepublik. Am 1. Oktober 1989. Knapp einen Monat später sollte die Mauer fallen; ein Jahr später gab es nur noch einen deutschen Staat.

HK