Der Ton wird rauer
So verlief die große Impfgegner-Kundgebung am Samstag in Ingolstadt

27.11.2021 | Stand 23.09.2023, 22:02 Uhr
Mehrere Hundert Menschen versammelten sich am Samstagnachmittag auf dem Ingolstädter Theatervorplatz. In den Wortbeiträgen der Impfgegner fielen Sätze wie "die Medien verbreiten nur Lügen", "Impfen bringt nichts" oder "Kinder impfen ist Mord." Dazu wurde viel geklatscht und gejohlt. −Foto: Silvester

Ingolstadt - Beseelend wirkt hier nur die Weihnachtsdekoration.

Lichterketten funkeln in den Bäumen auf dem Theatervorplatz. Dort kann zum zweiten Mal in Folge kein Christkindlmarkt stattfinden: wegen Corona. Wo sonst um diese Zeit Tausende entspannt durch Budengassen spazieren, versammeln sich an diesem Samstagnachmittag mehrere Hundert Menschen: wegen Corona.

Kundgebungsteilnehmer stehen eng zusammen

Fast keiner der Demonstrierenden trägt eine Maske. Ein Statement - bekannt aus zig ähnlichen Versammlungen sich im "Widerstand" gegen den Staat wähnender Menschen. Auch die pandemiegerechten Abstände werden kaum eingehalten, obwohl der Kundgebungsleiter darauf hinweist. Grob geschätzt dürften es um die 300 Teilnehmer sein, die gegen angeblich drohende "Zwangsimpfungen" Front machen; wie viele am Rande der Menge interessiert-distanzierte Zuseher sind, kann man nicht sagen.

Nach "With a Little Help from My Friends", ein Song der Beatles, dargeboten von einem Senior mit Gitarre, wird der Ton rauer. Die Redner gehen zur volltönenden Attacke über. Eine Art Refrain lautet: "Gleichgesinnte, wehrt euch! " Ihre Beiträge werden lautstark applaudierend, buhend und johlend begleitet. Man hört Bekanntes: Geraubte Grundrechte, böse Nebenwirkungen des Impfens, das Volk hintergehende Politiker im Bunde mit den gesteuerten Systemmedien.

Vor dem Theater finden seit April 2020 fast jeden Samstag Kundgebungen gegen Corona-Maßnahmen statt. Über den Sommer bis in den Herbst blieben die Initiatoren indes eher unter sich. Mit der vierten Welle, in Zeiten des sich zuspitzenden Pandemie-Dramas, da die Intensivstationen in Deutschland am Limit arbeiten, Patienten quer durch die Republik geflogen werden müssen und die Virusmutation Omikron Schrecken verbreitet, kommen die Impf- und Infektionsschutzgegner wieder zu Hunderten. Die Wortwahl mancher, die das Mikrofon ergreifen, offenbart auffällige Aggressivität.

Mit den Vakzinen solle "nur Dreck unters Volk gebracht werden", ruft eine Frau. Jubel. Die Impfungen würden sowieso nichts bringen, wie man in den Altenheimen sehen könne: Die vielen Infizierten dort. Und überhaupt die Seniorenstatistik. In aufgebracht anschwellendem Ton presst sie heraus: "Ja dürfen denn die alten Leute nicht mehr sterben? " Beifall.

Sprechchöre und eine Verschwörungserzählung

So geht es weiter. Die Medien "verbreiten nur Lügen", anders denkende Mediziner würden unterdrückt. Die Stadt Ingolstadt veröffentliche jetzt keine Angaben des Standesamts mit den Namen und Adressen der Gestorbenen mehr. Verdächtig. Damit solle etwas vertuscht werden, raunt die Rednerin. Aber sie habe es durchschaut. "Halten die uns ganz für blöd? " Jubel. Das klingt nach einer Verschwörungserzählung.

Am Ende kreischt die Frau geradezu: "Kleine Kinder impfen ist Mord in meinen Augen! " Darauf wird in der Menge skandiert: "Finger weg von unsren Kindern! Finger weg von unsren Kindern! " Dass die Impfgegnerin kurz zuvor noch verbreitet hat, die Corona-Vakzine seien wirkungslos, scheint zu diesem Zeitpunkt schon wieder verhallt zu sein.

Mitten in Ingolstadt wird die Polarisierung in der Gesellschaft erlebbar. Aus den Beiträgen klingt klar heraus, welches Selbstverständnis die Impfgegner eint: Wir gegen die.

Eine Rednerin erwähnt auch das Gespräch mit OB Christian Scharpf und Bundestagsabgeordnetem Reinhard Brandl, das am Samstag im DONAUKURIER erschienen ist. Die beiden plädieren darin für eine Impfpflicht und argumentieren allem voran mit der dramatischen Situation auf den Intensivstationen sowie den zu erwartenden stark steigenden Infektions- und Sterbezahlen. Man müsse die Gesundheitsversorgung dringend sicherstellen, sagt Scharpf in dem Interview und schildert die Lage drastisch. Vor dem Theater ruft die Impfgegnerin - darauf Bezug nehmend - ins Mikrofon: "Scharpf und Brandl haben sich völlig verrannt. " Applaus.

Die Kundgebung läuft noch, als das Presseamt der Stadt die neuen Corona-Zahlen durchgibt: 185 Infektionen seit Freitag, 70 Covid-Patienten im Klinikum. Am Sonntag kommen 64 Fälle hinzu. Und sechs Patienten im Klinikum. 1649 Ingolstädterinnen und Ingolstädter sind momentan infiziert.

DK

Christian Silvester