Dresden
"Sind sie nützlich"

In einer interaktiven Kunstinstallation lässt der Verein gegen Rechts über Menschen abstimmen

18.09.2012 | Stand 03.12.2020, 1:03 Uhr

Die Kunstinstallation „Bürgeramt für eine schöne Zukunft“ der Initiative „Bürger.Courage“ - Foto: Millauer/dapd

Dresden (dapd) Drei große Buchstaben verleihen einem politischen Kunstprojekt in Dresden große Wirkung. Was einige Passanten vor dem weißen Container auf dem Jorge-Gormondai-Platz stehen bleiben lässt, sind die Respekt einflößenden Lettern „A – M – T“.

Seit Montag hat der gegen Rechtsextremismus gerichtete Verein „Bürger.Courage“ sein selbst gebautes „Bürgeramt für eine schöne Zukunft“ aufgestellt – und davor einen roten Teppich ausgerollt, für alle, die sich über den Wert ihrer Mitmenschen ein Urteil erlauben möchten. Eine Frauenstimme säuselt aus dem Lautsprecher: „Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, helfen Sie uns eine nützliche Gesellschaft zu schaffen! Welche Menschen brauchen wir in unserer Gesellschaft? Welche fallen uns einfach nur zur Last“ Auf einem Touchscreen können Passanten Menschen aussortieren, diese als „nützlich“ oder „nicht nützlich“ abstempeln. „Das ist aber schon ironisch gemeint, oder“, fragt eine Passantin irritiert. So wie sie bleiben viele schockiert stehen und schütteln den Kopf.

„Ich bin empört“, sagt Jürgen Franke aus Dresden. „So ein Spruch darf natürlich nicht gemacht werden“, fügt der 68-Jährige hinzu. „Natürlich wollen wir damit provozieren“, stellt der Vorsitzende des Vereins Bürger.Courage, Christian Demuth, klar. Das Projekt solle auch zum Nachdenken anregen. Dass immer mehr Menschen ausschließlich nach ihrem Nutzen für die Gesellschaft beurteilt würden, findet Demuth „besorgniserregend“.

Nicht nur Thilo Sarrazin („Deutschland schafft sich ab“) spreche von „nützlichen“ und „nicht nützlichen“ Ausländern, sagte Demuth. Laut einer Studie des Soziologen Wilhelm Heitmeyer würden fast 30 Prozent der Bevölkerung der Aussage zustimmen, „Menschen, die wenig nützlich sind, kann sich keine Gesellschaft leisten“.

Den Wert eines Menschen ausschließlich anhand von Kosten und Nutzen zu bemessen, ist aus Demuths Sicht menschenfeindlich und darüber hinaus eine Quelle rechtsextremer Einstellungen. Leidtragende seien nicht nur Migranten. Problematisch sei auch die Diskussion, ob alte, arbeitslose, bildungsschwache oder behinderte Menschen überhaupt etwas „wert“ seien, sagte Demuth.

Mit dem „Bürgeramt für eine schöne Zukunft“ will der Verein zu Zivilcourage gegen Rechtsextremismus und Intoleranz auffordern – wie schon mit dem Projekt „100 Tote“ in seinem Gründungsjahr 2005, das an 100 Todesopfer rechter Gewalt in den Jahren 1990 bis 2005 erinnerte. Der Container zum aktuellen Projekt soll bis zum 8. Oktober in der Dresdner Neustadt stehen.

„Wir erwarten nicht, dass sich viele Menschen tatsächlich an der Abstimmung beteiligen. Die meisten werden sich dann doch fragen: Wie soll man jemanden bewerten, den man gar nicht kennt“, sagt Demuth. Auch ihr eigenes Foto könnten die Bürger zur Wahl stellen. „Das wird natürlich kaum jemand machen“, schätzt Demuth. Sich selbst würde man schließlich immer für nützlich halten. Damit werde klar: Die Frage ist nicht nur „Sind sie nützlich“, sondern auch „Wer bestimmt, wer nützlich ist“