Neuburg (DK) Menschen beizustehen, sie durch schwere Zeiten zu begleiten oder auch einfach nur zuzuhören - das gehört zu den Aufgaben eines Pfarrers. Warum all das besonders bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr eine Rolle spielt, erklären die beiden Militärseelsorger Gunther Wiendl und Frank Schneider: Sie begleiten bald deutsche Soldaten im Einsatz in Jordanien.
Eines Tages erreichte Gunther Wiendl ein Anruf. Am Telefon war eine völlig aufgelöste Frau, die sich nicht mehr zu helfen wusste. Sie erkenne ihren Mann nicht wieder, er sei völlig neben der Spur, sagte sie. In den 90er-Jahren war er als Soldat im Einsatz im Kosovo gewesen. Über die Jahre sei eigentlich alles gut gewesen und es schien so, als habe er das, was er dort erlebt hatte, gut verarbeitet. Doch dann geschah etwas, das ihn wieder an den Einsatz erinnerte, an etwas Schlimmes, das ihn traumatisiert hatte und nach all den Jahren wieder an die Oberfläche kam. Für Wiendl, der 15 Jahre als evangelischer Pfarrer in Karlshuld tätig war, war dieser Anruf der Beginn einer "herausfordernden seelsorgerlichen Mission" - und zugleich ein Impuls dafür, dass man Soldaten dabei unterstützen muss, das Erlebte im und auch nach einem Einsatz zu verarbeiten.
Gemeinsam mit seinem katholischen Kollegen Frank Schneider wird Wiendl rund 280 deutsche Soldaten, darunter auch einen Teil des Taktischen Luftwaffengeschwaders 74 in Neuburg, während ihres Einsatzes in Jordanien begleiten. Die beiden Militärseelsorger, die auch im Neuburger Geschwader tätig sind, wechseln sich allerdings ab. So geht es für den 49-jährigen Schneider am 10. Oktober für vier Monate in das Land im Nahen Osten und für den 54-jährigen Wiendl, der seinen Kollegen dann im Februar ablöst, für drei Monate.
Generell haben Soldaten einen Anspruch auf Seelsorge, das ist seit Jahrzehnten gesetzlich so verankert. "Konfessionelle oder religiöse Unterschiede spielen im Einsatz keine Rolle", sagt Wiendl, für den es der erste Auslandseinsatz ist. Dennoch stellt sich dabei immer wieder eine Frage, die wohl so alt ist, wie die Bundeswehr selbst: Wie kann der Dienst an der Waffe mit dem christlichen Gebot der Nächstenliebe vereinbart werden? So heißt es schließlich auch "Du sollst nicht töten" im fünften der zehn Gebote in der Bibel. "Der Schwerpunkt unserer Arbeit liegt auf den Menschen und der Seelsorge und nicht auf den Waffen", sagt Schneider, für den es nach zwei Aufenthalten im Kosovo bereits der dritte Auslandseinsatz ist. Wenn überhaupt stehe die ethische Verbindung zu den Waffen im Vordergrund und die müsse auch jemand innerhalb der Armee vermitteln. "Wir schulen die Soldaten, besonders auch die Rekruten, bevor sie eine Waffe in den Händen halten und machen ihnen deutlich, welche Verantwortung sie damit haben", sagt Wiendl. So könne ein Soldat "nicht einfach abdrücken". Für jeden Einsatz gebe es klare Regeln, die sogenannten Rules of Engagement, die vorgeben, was ein Soldat darf und was nicht. "Anhand von konkreten Fallbeispielen versuchen wir dann, die Soldaten zu sensibilisieren", erklärt Wiendl.
Diese Schulungen für die Soldaten sind Teil eines der Standbeine der Militärseelsorge: des lebenskundlichen Unterrichts. "Er hat das Ziel, die Soldaten dafür zu sensibilisieren, dass sie ihrer Verantwortung gerecht werden, in die sie gestellt werden." Darüber hinaus beschäftige sich der Unterricht aber auch mit der Entwicklung der eigenen Persönlichkeit, der Bedeutung von Wertschätzung, dem Begriff der Freiheit oder auch der Partnerschaft. "Ein solcher Einsatz bedeutet auch einen massiven Einschnitt für den Partner oder die Familie", erklärt Wiendl. So komme es auch vor, dass ein Soldat immer wieder in den Einsatz muss und darauf müssten sowohl er als auch sein Partner sowie seine Familie vorbereitet werden. "Welche Veränderungen entstehen, wenn der Partner so lange weg ist? Wie halte ich die Beziehung aufrecht? Wie erkläre ich es den Kindern? All das sind Fragen, um die es dabei geht", so Wiendl. Wichtig sei bei dem Unterricht laut Schneider aber vor allem eines: "Wir tun ihn nicht als Pfarrer und reden nur über die Kirche, Gott und den Glauben, sondern es geht um die ethischen Aspekte, die weltlichen Dinge und die Vermittlung von Werten."
Trotzdem bleibt der kirchliche Auftrag bestehen. So findet im Einsatzgebiet jeden Sonntag ein Gottesdienst statt, der laut Schneider "zwar immer unterschiedlich gut besucht ist, aber generell besser, als in der Heimat". Es sei auch eine Orientierung, denn bei dem immer selben Alltag, verliere ein Soldat oft auch das Zeitgefühl. Dennoch stehe die Seelsorge sowohl im Einsatzgebiet als auch in der Kaserne im Vordergrund. "Natürlich müssen wir erst ein Vertrauensverhältnis zu den Soldaten aufbauen", sagt Wiendl. "Aber wenn sie dann merken, dass sie mit uns reden und sich uns anvertrauen können, kommen sie von sich aus mit ihren Problemen und Sorgen zu uns." Diese seien auch so unterschiedlich, wie der Soldat selbst: von Querelen mit dem Chef oder dem Team in der Truppe über privaten Krach mit der Frau bis hin zu finanziellen Nöten. "Die ganze Palette des Lebens ist dabei", sagt Wiendl. "Und das Wichtigste ist, dass wir dem Beichtgeheimnis unterliegen und die Soldaten wissen, dass sie bei uns die Möglichkeit haben, über Dinge zu sprechen, über die sie mit anderen nicht reden können." Auch sei die Hürde, einen Militärseelsorger aufzusuchen, geringer als zu einem Psychologen zu gehen.
Passiert im Einsatz etwas Schlimmes, ist der Militärseelsorger ebenfalls eine wichtige Stütze. "Wenn etwa ein Soldat ums Leben kommt, müssen wir uns um die Kameraden kümmern, das Geschehene mit ihnen verarbeiten, die nötigen Riten gestalten und einfach da sein", so Wiendl. Schneider ergänzt: "An dieser Stelle wird auch deutlich, warum man einen Militärpfarrer braucht: Es macht keinen Sinn, einen Pfarrer einfliegen zu lassen, der vom Militär sowie einem Auslandseinsatz keine Ahnung hat." Auch wenn ein Familienangehöriger eines Soldaten während des Einsatzes stirbt, redet der jeweilige Seelsorger mit dem Betroffenen und auch dem Vorgesetzten, ob es einer Heimreise bedarf oder nicht.
Wenngleich ein Militärseelsorger eine spezielle Ausbildung durchlaufen muss, um einen Einsatz begleiten zu können oder generell bei der Bundeswehr tätig zu sein, ist er nicht nur für den Ernstfall oder als Ansprechpartner für Soldaten, die Sorgen und Nöte haben, da. Er versucht auch, etwas in die Freizeitgestaltung der Soldaten einzubringen. "Das können Brettspiele sein, ein Filmabend oder auch ein musikalischer Themenabend", sagt Schneider. Dabei tausche man sich auch mit den Vorgängern aus, die bereits an dem jeweiligen Ort im Einsatz waren und von ihren Erfahrungen erzählen.
Obwohl sich Militärseelsorger in erster Linie um die Sorgen und Nöte der Soldaten kümmern, gibt es auch Situationen, in denen sie selbst einen Rat brauchen, oder Ereignisse erleben, die sie nicht so einfach vergessen können. "Da tauschen wir uns dann mit den anderen sozialen Diensten vor Ort aus, das hilft", sagt Schneider. Auch der Einsatzdekan stehe Tag und Nacht zur Verfügung, ebenso wie Familie und Freunde - "alles Bausteine, die dann auch uns helfen, Dinge zu verarbeiten".
Katrin Kretzmann
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