Schwanstetten
"Schreiben kann eine Heilkraft entwickeln"

Literaturpreisträgerin Ingeborg Höverkamp über Corona, Schreibwerkstatt und Rucksäcke mit Altlasten

06.08.2020 | Stand 02.12.2020, 10:49 Uhr
Ingrid Höverkamp arbeitete mit den Teilnehmern der autobiografischen Schreibwerkstatt "Blaue Feder" die Erfahrungen in der aktuellen Corona-Pandemie auf. −Foto: Unterburger

Schwanstetten - Die Schriftstellerin Ingeborg Höverkamp aus Schwanstetten wurde durch ihre Biografie über Elisabeth Engelhardt in der Region und weit darüber hinaus bekannt.

 

1997 erhielt sie den ersten Elisabeth-Engelhardt-Literaturpreis des Landkreises Roth. Zuvor war sie mit einem Lyrikpreis vom Freien Deutschen Autorenverband ausgezeichnet worden. Der Weltbildverlag verlieh ihr die "Goldene Meisterfeder" und die Stadt Nürnberg den ersten Preis im Genre Prosa für ihren Text "Paradies".

Gegenwärtig arbeitet sie an ihrem zehnten Buch, einer Biografie über den ehemaligen Studioleiter des BR-Franken, Journalisten, Autor und Professor für Publizistik, Wolfgang Buhl. Vor 18 Jahren gründete sie an der Caritas-Pirckheimer-Akademie die autobiografische Schreibwerkstatt "Blaue Feder". Wir sprachen mit Ingeborg Höverkamp.

Was hat Sie bewogen, diese Schreibwerkstatt zu gründen? 

Ingrid Höverkamp: Nachdem ich mich fachlich und sachlich weitergebildet hatte, fasste ich den Plan, meine Kenntnisse für autobiografisches Schreiben weiterzugeben. Im Verlauf meiner Fortbildungen wurde mir bewusst, dass autobiografisches Schreiben eine Heilkraft entwickeln kann. Schöne Erlebnisse bewirken, dass der Mut zum Leben gestärkt wird und traurige Erlebnisse machen den Teilnehmern klar, dass sie in der Lage waren, frühere Schicksalsschläge zu überwinden.

Im Sommersemester 2020 setzten sich die Mitglieder Ihrer Schreibwerkstatt unter anderem mit der Corona-Krise auseinander. Welche Gründe hatten Sie für diese Wahl?


Höverkamp: Die Corona-Krise hat uns alle mit einer Wucht getroffen, die mit keinem anderen Infektionsgeschehen vergleichbar ist. Die Teilnehmer meiner Schreibwerkstatt arbeiten an ihrer Familiengeschichte. Wenn später einmal Enkel und Urenkel in den Aufzeichnungen von dieser Corona-Krise lesen, die sie selbst nicht, oder nur unbewusst, weil sie zu jung waren, erlebt haben, können sie die Auswirkungen auf die Familie nachlesen und nachvollziehen.

Wie unterschiedlich wurde dieses Thema angegangen?


Höverkamp: Wir haben die Texte geschrieben, als bereits der strenge Lockdown verordnet worden war. Das Thema lautete "Mein Frühling in der Corona-Krise". In allen Texten wurde der Kontrast zwischen dem Frühling mit seiner Blütenfülle und dem Sonnenschein und den Sorgen und Ängsten, die die Corona-Krise heraufbeschwor, gut herausgearbeitet. Immer wieder kann man lesen, dass die erwachende Natur ein Trost in dieser Zeit war. Plötzlich drehte sich alles um Corona und man erfuhr, dass es weder Medikament noch Impfstoff gab und gibt. Die Kontaktbeschränkungen und die Stilllegung des öffentlichen Lebens wurden unterschiedlich erlebt, besonders schwierig war es für Alleinlebende, denen nur Telefon und Mails zur Kontaktpflege offenstanden. Ängste und Befürchtungen sind in den Aufsätzen verschieden stark ausgeprägt. Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren, Angst um alte Angehörige und wie lange man mit dem Infektionsgeschehen leben müsse, Befürchtungen, ob die Kapazitäten in den Kliniken ausreichen würden. Heute wissen wir, dass die Annahme, alles sei in ein paar Monaten vorbei, falsch war. Eine Teilnehmerin hat dem Virus ein Schnippchen geschlagen. Ihre Tochter kam mit den beiden kleinen Kindern zu Besuch. Wie man Abstand halten könne, war minutiös besprochen worden. Die Tochter ließ sich mit den Kindern auf der Terrasse nieder, während die Großeltern auf dem Balkon saßen. Den mitgebrachten Kuchen band sie an ein Seil und hievte ihn auf den Balkon. Auf diese Weise konnte ein Kaffeekränzchen ohne jegliche Gefahr der Ansteckung stattfinden.

War in der Corona-Krise Home-Office hilfreich?


Höverkamp: Ja, es war die einzige Möglichkeit, den Kurs "Die Heilkraft der Erinnerung" durchzuführen. Allerdings gab es einige Tücken. Am Anfang war gelegentlich das System überlastet, wenn alle Texte an alle Teilnehmer per Mail verschickt wurden. Bei einem Teilnehmer hat ein Hacker den PC lahmgelegt, ein anderer konnte einige Wochen nicht auf seinen PC zugreifen - wegen seines Umzugs. Da erhielt ich die Texte - stets verspätet - per Post. Im Präsenzunterricht werden die Texte stets mündlich besprochen. Jetzt musste jeder seine Beurteilungen aufschreiben. Ich habe erfreulicherweise viele gut durchdachte und fundierte Beurteilungen erhalten, wie es mündlich nicht möglich war.

Kann man durch Schreiben Probleme und seelische Krisen lösen?


Höverkamp: Es gibt viele Wege, seelische Krisen zu lösen. Wenn Traumata die Ursache sind, kann Schreiben nicht die einzige Option sein, es bedarf einer zusätzlichen Psychotherapie. Einige Teilnehmer sagten, dass sie in Behandlung seien und der Arzt habe sie angeregt, meinen Kurs zu besuchen. Probleme allgemeiner Art, wie sie jeder Mensch im Laufe seines Lebens erlebt, können durch Schreiben transparent gemacht werden, man kann beim Schreiben auf Ursachen stoßen, bei der Besprechung des Textes erfahren, dass es Lösungsmöglichkeiten gibt. Bei der dritten Form, bei den seelischen Altlasten, die man schon Jahrzehnte mit sich herumträgt, kann der jahrelange Abstand zu einem schmerzlichen Ereignis helfen, dass man die Situation neu bewertet und das Verhalten der Person, die einen verletzt hat, mit der jetzigen Reife und Erfahrung beurteilen kann. Ein Beispiel: Man hat die strengen Verbote der Eltern als sehr ungerecht empfunden. Heute, nachdem man selbst Kinder erzogen hat, kann man so manches Verbot leichter verstehen. Wenn man einen schweren Rucksack mit Altlasten mit sich herumgetragen hat, empfindet man ihn allein durch das Niederschreiben der Last, als abgelegt. Man hat herausgefunden, dass nur das Schreiben so effektiv wirkt, während das Erzählen von traurigen Erlebnissen dazu führt, dass man sie immer wieder erzählt, sie konnten durch Erzählen nicht verarbeitet werden.

Denken Sie daran, die Texte der Öffentlichkeit zugänglich zu machen?


Höverkamp: Wir haben bereits drei Sammelbände mit den Geschichten der Mitglieder meiner Schreibwerkstatt und professionellen Autorinnen und Autoren, wie Fitzgerald Kusz, Klaus Schamberger, Hermann Glaser, Elisabeth Engelhardt, Wolfgang Buhl, Rainer Lindenmann und andere publiziert. Die Titel lauten: "Nie wieder Krieg! ", "Von der Trümmerstadt zur Frankenmetropole - Nürnberg 1945 bis heute" und "Weihnachten - Vom Wintermärchen zum Stall von Bethlehem". Wir werden seit vielen Jahren zu Lesungen aus diesen Büchern eingeladen. Diese positive Rückmeldung ist für die Autorinnen und Autoren sehr motivierend, weiterzuschreiben, bis sie ihre Familiengeschichte einmal als Buch in der Hand haben werden.

HK 

Interview: Robert Unterburger