Ingolstadt
Schöner scheitern

Großer Jubel: Jochen Schölch zeigt Anthoney Neilsons schwarze Komödie "Frohes Fest" in Ingolstadt

30.11.2018 | Stand 23.09.2023, 5:15 Uhr
Ein seltsames Paar: Sascha Römisch als Gobbel (links) und Ulrich Kielhorn als Blunt. −Foto: Klenk

Ingolstadt (DK) Es gibt einen Moment, der Abend ist schon fortgeschritten, der Pfarrer liegt bewusstlos im Schrank, das Mädchen wurde samt Vorhang in die Truhe gezerrt, der Hund ist tot und durch das Wohnzimmer zieht sich eine Schneise der Verwüstung, da sitzen Gobbel und Blunt am Ende ihrer Kräfte in eben diesem Wohnzimmer und Blunt sagt in seiner trockenen Art: "Gut - wir müssen die Kontrolle über die Situation zurückgewinnen.

" In diesem Moment tobt der ganze Saal. Denn nie lagen Anspruch und Wirklichkeit weiter auseinander. Aber Blunt hat einen Plan: "Die Ziele, ohne bestimmte Reihenfolge: das Kind wiederbeleben, den Pfarrer beseitigen, den Hund entsorgen - hab ich was vergessen? "

Vergessen hat er, warum sie beide eigentlich an diesem Heiligabend an der Tür der Conners läuteten: Eine Todesnachricht sollte überbracht werden. Es gab einen Verkehrsunfall - und das Opfer ist Carol, die Tochter der Conners. Aber die beiden Polizisten Gobbel und Blunt fürchten sich vor dem Moment der Wahrheit. Also gibt es vor der Tür noch ein langes Geplänkel, wer klingeln soll und was passieren könnte und ob man die alten Eltern nicht besser verschonen sollte. Mitten in die Diskussion um die Gnade des Nichtwissens platzt eine Bürgerwehraktivistin auf der Suche nach einem Pädophilen, den man am Weihnachtsabend noch kurz lynchen könnte. Und als schließlich doch geklingelt wird, gerät der zuvor sorgsam vorbereitete Polizeieinsatz komplett aus den Fugen. Ein Missverständnis zieht das andere nach sich, die besten Absichten verursachen fatale Folgen. Und im Bestreben, das Schlimmste zu verhindern, geraten die beiden in immer absonderlichere Verstrickungen.

"Frohes Fest" hat Anthony Neilson seine schwarze Komödie genannt, die unter der Regie von Jochen Schölch am Donnerstagabend umjubelte Premiere im Stadttheater Ingolstadt feierte. Neilson treibt mit dem Entsetzen Scherz, packt sämtliche Tabuthemen wie Kindesmissbrauch, Gewalt, Tod, Lügen, Heuchelei in eine tadellose Slapstickkomödie mit rasanten Dialogen und aberwitzigen Situationen und lässt sie ausgerechnet an Weihnachten spielen, dem emotionalsten aller Familienfesttage. Ins Zentrum stellt er das Clowns-Duo Gobbel und Blunt, das das Publikum mit tollkühnen Pirouetten des Scheiterns immer wieder aufs Neue unterhält. Traumwandlerisch sicher bewegt sich Regisseur Jochen Schölch auf dem schmalen Grat dieser anarchischen Komik, geht mit perfektem Timing und erfrischender Leichtigkeit in diesen pointenreichen Schlagabtausch und führt seine exzellenten Schauspieler zuverlässig von alltäglichen Konstellationen in mittlere Katastrophen.

Sascha Römisch und Ulrich Kielhorn sind Gobbel und Blunt, zwei Einfaltspinsel in der Tradition von Stan & Olli. Sie hadern mit sich selbst und den Tücken der Welt. Im Bestreben, alles richtig zu machen, verursachen sie allerorts beträchtlichen Materialschaden. Dabei pflegen sie ein kompliziertes Abhängigkeitsverhältnis, in dem sich der eine - Blunt - überlegen fühlt und den anderen gern zurechtweist, während dieser - Gobbel - vollkommen naiv seiner eigenen absurden Logik folgend unausweichlich ins Chaos stürzt. Herrlich ist es, wenn Sascha Römisch sich auf die Tee-Zeremonie der dementen Garson (wunderbar facettenreich: Ingrid Cannonier) einlässt, mehr Zucker fordert und später huldvoll als Vizekönig grüßt. Herrlich auch, wenn Ulrich Kielhorn zu seinen Welterklärungsversuchen ansetzt. Und grandios ihr Zusammenspiel des immer schöneren Scheiterns. Wolfgang Jaroschka bildet da als Balthasar Conner einen spannenden Kontrast. Sarah Horak darf als militante Pädophilen-Jägerin Gronya wüten. Péter Polgár gibt einen zwielichtigen Pfarrer und Sarah Schulze-Tenberge ein psychisch labiles Mädchen.

Fabian Lüdicke hat eine hübsch weihnachtlich dekorierte Brownstone-Reihenhaus-Fassade ins Große Haus gezaubert, vor denen die ersten absurden Wortgefechte ihren Lauf nehmen. Später werden die Häuserfronten zur Seite geschoben und geben den Blick frei auf das Wohnzimmer der Conners mit Kaminsims und Tannenbaum. Noch strahlt es weihnachtliche Behaglichkeit aus. Doch weil Gobbel und Blunt mit beiläufig Mr.-Bean-hafter, destruktiver Kraft am Werk sind, sind bald schon die Uhr kaputt, der Sesselfuß abgebrochen, der Vorhang gerissen und die Geschenke beschädigt. Und weil Andrea Fisser die Figuren allesamt in unauffällige Kostüme kleidet, wirkt der Kontrast zum immer bizarrer werdenden Schlachtfeld umso größer.

Unglaublich gut gemacht ist das alles - und unglaublich witzig dazu. Nach einer Stunde, 38 Minuten und 40 Sekunden ist man überzeugt: Jetzt ist man fürs frohe Fest gerüstet.

ZUM STÜCK
Theater:
Stadttheater Ingolstadt
Regisseur:
Jochen Schölch
Bühnenbild:
Fabian Lüdicke
Kostüme:
Andrea Fisser
Läuft bis:
15. Februar 2019
Kartentelefon:
(0841) 30547200

Anja Witzke