München
Schlechte Schankmoral: Wenn die Maß nicht voll ist

27.09.2013 | Stand 02.12.2020, 23:37 Uhr

Jeder Millimeter zählt: Jan-Ulrich Bittlinger, Präsident des Vereins gegen betrügerisches Einschenken, prüft den Pegelstand in seinem Maßkrug. In mehreren Wiesnzelten bekommen die Gäste durchschnittlich weniger als 0,9 Liter Bier, stellten die Freizeitkontrolleure fest - Foto: Huber

München (DK) Und wieder nur 0,9 Liter: Längst nicht jede Maß auf der Wiesn wird voll serviert. Der Verein gegen betrügerisches Einschenken wirft der Stadt deswegen Versagen vor und führt „Volksschankkontrollen“ durch. Münchens Ordnungsbehörde findet das anmaßend – gibt aber Mängel zu.

Später Nachmittag im Bierzelt „Winzerer Fähndl“ – Jan-Ulrich Bittlinger legt sein rotes Maßband an den Maßkrug, senkt den Kopf auf Bierpegelniveau. Ein paar Sekunden ruht sein Blick auf der Eichmarke – ein paar Millimeter Restschaum schwimmen noch auf dem Bier. Bittlinger zieht die Augenbrauen hoch, auf der Stirn bilden sich Konzentrationsfalten. „Im Toleranzbereich“, sagt er. „Zumindest laut Schummelbehörde.“

Bittlinger ist Präsident des Vereins gegen betrügerisches Einschenken. Eine Organisation mit langer Geschichte – und eine Art inoffizielle Bierpolizei auf der Wiesn. Die „Schummelbehörde“, das ist nach seiner Meinung das Münchner Kreisverwaltungsreferat (KVR). Sie ist dafür zuständig, den Pegelstand in den Krügen zu kontrollieren. Bittlinger wirft dem KVR Versagen vor. Die Verachtung beruht auf Gegenseitigkeit: In der Behörde hält man ihn für einen Wichtigtuer.

Während der Vereinspräsident im Bierzelt sitzt, sind draußen auch die städtischen Kontrolleure unterwegs. Begleiten darf man sie nicht. Zu viele Presseanfragen, heißt es im KVR. Acht Kontrolleure sind im Einsatz. Ihr Vorgehen beschreibt man in der Behörde so: Sie kommen zu zweit. In der Tasche haben die Kontrolleure einen Zollstock aus Aluminium und einen Notizblock. Sie gehen ins Zelt, suchen sich einen Schankkellner aus. Sobald er einer Bedienung einen Maßkrug in die Hand drückt, schreiten sie ein. Mit ihrem Zollstock messen sie, ob das Bier die Ein-Liter-Eichmarke erreicht.

Bis zu 15 Millimeter Unterschank toleriert das KVR. Das sind rund 0,1 Liter Bier. Wird die Grenze unterschritten, gibt es eine Verwarnung für den Kellner. Bei der dritten Verwarnung bekommt er ein Jahr Wiesnsperre. KVR-Chef Wilfried Blume-Beyerle hat dem Unterschank offiziell den Kampf angesagt. Nicht einmal jeder fünfte Krug sei zuletzt voll eingeschenkt gewesen, sagt er. Das müsse besser werden.

Jan-Ulrich Bittlinger traut der Sache nicht. Alles Lippenbekenntnisse, meint er. Die Stadtspitze wolle sich wegen der 2014 anstehenden Kommunalwahl profilieren. In Wahrheit wolle weder das KVR noch der Stadtrat richtig kontrollieren. „Im Stadtrat sitzt die Freibierfraktion“, sagt er. Die Stadträte würden vor der Wiesn üppig mit Bier- und Händlmarken versorgt – und so ruhig gestellt.

Dem KVR wirft Bittlinger Intransparenz vor. „Die wollen nicht Ross und Reiter nennen“, sagt er. Wo es Mängel gebe, werde nie veröffentlicht. Bis zum Jahr 2003 hätten sich die Kontrolleure gar vor ihren Besuchen bei den Wirten angemeldet. Beim KVR bestreitet man das. Bittlinger glaubt, dass die Toleranzgrenze der Behörde jedenfalls dazu geführt habe, dass die Wirte heute 0,9 Liter Bier als volle Maß betrachteten – und nicht mehr einen ganzen Liter.

Tatsächlich ist die Lobby der Oktoberfestwirte groß. Oberbürgermeister Christian Ude hat selbst mal – wohl nur halb im Spaß – gesagt, es gebe in München keine mächtigere Position als die des Wiesnwirts.

Bittlingers Verein hat am Montag eine „Volksschankkontrolle“ durchgeführt. Seine Mannschaft schwärmte aus und kontrollierte in allen 13 Festzelten. Fazit: Die Schankmoral habe sich im Vergleich zum vergangenen Jahr „nur minimal verbessert“. In einigen Zelten habe sogar der Durchschnitt bei unter 0,9 Liter gelegen. Die Offensive des Kreisverwaltungsreferats werde offensichtlich nicht ernst genommen.

Bei der Behörde weist man das zurück. Was Bittlinger verbreite, erübrige eigentlich jeden Kommentar, heißt es dort. Blume-Beyerle hatte den Verein schon in der vergangenen Woche kritisiert. „Es ist fragwürdig, wenn sich Privatpersonen Kontrollen anmaßen“, sagte der KVR-Chef.

Am Sonntag will die Behörde eigene Kontrollergebnisse vorlegen, hat eine Sprecherin angekündigt. Nicht nur Bittlinger dürfte gespannt sein.

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