"Schach ohne Schnörkel"

Der Riedenburger Reinhard Blodig trainiert ugandische Slumkinder im Spiel der Könige

15.06.2018 | Stand 23.09.2023, 3:48 Uhr
Gebannt folgen die ugandischen Kinder Reinhard Blodigs Zügen auf dem Schachbrett. −Foto: Rast

Der Riedenburger Reinhard Blodig trainiert ugandische Slumkinder im Spiel der Könige. Er ist überrascht von den Fähigkeiten der jungen Leute und zieht am Ende seines Aufenthalts in der Hauptstadt Kampala ein verblüffendes Fazit.

Riedenburg/Kampala (DK) Seine lebenslange Leidenschaft ist das Schachspiel. Der Riedenburger Reinhard Blodig ist seit mehr als fünf Jahrzehnten im Turnierschach aktiv, hat in die 1.Bundesliga hineingeschnuppert, war für Fortuna Regensburg in der 2. Bundesliga aktiv und zweimal Oberpfälzer Einzelmeister. Sogar während einer Kreuzfahrt von Schachfans durch Südostasien frönte der 66-Jährige dem Spiel der Könige. In der FIDE-Rangliste des Weltschachverbands rangiert der Riedenburger immerhin noch auf Rang 2067, unter mehr als 51000 gelisteten Spielern. Nun suchte Blodig die ultimative Herausforderung: Schach im Slum.

Dazu fliegt der studierte Diplomkaufmann nach Kampala. Im Schlepptau hat er einen 23 Kilogramm schweren Koffer vollgepackt mich Schachutensilien und einigen Geschenken: Lehrbücher, Schachuhren, Kugelschreiber, blaue Shirts bedruckt mit den Insignien der von ihm gegründeten Schachabteilung des TV Riedenburg und einige Exemplaren von Rubiks Zauberwürfel zur Förderung des logischen Denkens. Begleitet wird Blodig von DK-Redakteur Harald Rast. Zuvor hatten die beiden Riedenburger ihren außergewöhnlichen Besuch per E-Mail bei Robert Katende, dem Gründer des Som Chess Project, in der ugandischen Hauptstadt, angekündigt.

Blodig führt während der Reise ein Laptop mit sich und wann immer es möglich ist, spielt er gegen das integrierte Schachprogramm. Dass er gegen den Computer inzwischen keine Chance mehr hat, ist er gewohnt, er steckt die Niederlagen gegen die Maschine wie ein fairer Sportsmann weg. Dabei tröstet ihn die Tatsache, dass sogar der amtierende Weltmeister Magnus Carlsen gegen einen modernen Großrechner den Kürzeren zieht.

Aber Blodig zieht den Wettkampf Mensch gegen Mensch eindeutig vor. Das wird unmittelbar nach seiner Ankunft im Elendsviertel Katwe deutlich. Nur wenige Minuten, nachdem er das kleine Haus betreten hat, in dem Dutzende Kinder aus bettelarmen Familien sich im Schachspiel üben, sitzt er schon am Brett und spielt mit voller Konzentration eine Partie gegen den jungen Schachlehrer Richard Buyinza. Rasch in die Defensive geraten, reißt er die Partie im Endspiel noch herum und freut sich über diesen gelungenen Coup. "Ich hätte eigentlich klar gewinnen müssen, aber zwischendurch war ich in einer bedrohlichen Lage. Ich habe nur mit Ach und Krach gesiegt." Blodig ist nach dieser Auftaktbegegnung angenehm überrascht von den Fähigkeiten der ugandischen Mentoren am Schachbrett, die vor vier Jahren noch selbst als Slumkinder die Schüler von Robert Katende waren. "Die haben jetzt meine Spielstärke", meint er.

Natürlich kommt es auch zum Duell zwischen den Kontinenten: Blodig gegen Katende. Der sympathische frühere ugandische Spitzenfußballer wird immerhin offiziell als "FIDE-Instructor" und Schiedsrichter geführt. Auch in diesem hart geführten Kampf setzt sich der Riedenburger am Ende knapp durch. Gerne hätte Blodig die bekannteste Schülerin von Katende getroffen und gegen sie eine Partie Schach gespielt. Phiona Mutesi war als abgemagertes Slumkind im Jahr 2005 durch Zufall bei Katende gestrandet und hatte sich als Naturtalent entpuppt. Obwohl sie anfangs weder lesen noch schreiben konnte, gelang es ihr dank ihrer Erfolge im Schach, ihre Bildung nachzuholen. Ein amerikanischer Journalist wurde auf das Wunderkind aufmerksam. Sein Buch "Das Schachmädchen" geriet zum weltweiten Bestseller und Hollywood verfilmte den Stoff unter dem Titel "Queen of Katwe".

Kurz vor Blodigs Ankunft in Kampala hat Phiona Mutesi ein Stipendium in den USA erhalten. Die heute 22-Jährige will Ärztin werden und Uganda weiterhin auf internationalen Schachturnieren vertreten. Natürlich bedauert Blodig, dass er sich nicht mit der in Uganda sehr bekannten Schachspielerin messen kann. "Aber die Ausbildung in den USA ist natürlich eine einmalige Chance für sie", sagt der Vater von fünf erwachsenen Kindern verständnisvoll.

Am zweiten Tag seines Aufenthalts im Som Chess Project in Katwe hält Blodig auf Englisch einen Kurs für die dort tätigen Instruktoren. Auch einige der schwarzen Schüler lauschen gebannt und konzentriert, was der weiße Mann aus dem zehn Flugstunden entfernten Bayern ihnen zum Schachsport zu sagen hat. Die Lektion lautet: "Entfernter Freibauer". Das sei ein griffiges Thema bei dem sich "ein schneller Aha-Effekt" einstelle. Laut Blodig bewegt man sich hier bereits in der "mittelhohen Kunst" des Schachspiels, aber für geübte Spieler sei dieser Kniff leicht zu verstehen. Sein Fazit nach einigen Stunden lautet: "Die haben das kapiert."

Generell freut sich der Riedenburger Schachexperte über die kreative Spielweise, die im Som Chess Project gepflegt wird. "Man frönt hier in Uganda einem freiheitlichen System", stellt er fest. Dass es anders als in Deutschland keine schönen Figuren und noch nicht einmal Tische gibt, imponiert Blodig: "Das ist hier Basisschach ohne Schnörkel." Die jungen Spieler würden gezielt ausgebildet und seien mit Herz bei der Sache. Die Kinder kämen wegen des Schachspiels - und nicht nur wegen des kostenlos verteilten Maisbreis. Dass ein derartiges Schachprojekt im schlimmsten Slum von Kampala von Erfolg gekrönt ist, interpretiert Blodig als einen "hoffnungsvollen Ansatz für das Weltschach".

Der Riedenburger hat im wohlhabenden Bayern vielen Kindern das Spiel der Könige nahegebracht. Doch während seiner zwei Tage im bettelarmen Slum Katwe ist er zu einer interessanten Einsicht gelangt: "Spielerische Intelligenz und die Freude am Schach hängen nicht mit dem Wohlstandsniveau zusammen."
 

Harald Rast