Augsburg (DK) Sie sei eine "mosaische Arbeit" heißt es in Heinrich von Kleists "Das Käthchen von Heilbronn" über Kunigunde von Thurneck.
Die Passage - in der Augsburger Inszenierung von Christian von Treskow gestrichen - meint, dass die Gegenfigur des Käthchens wie ein Mosaik aus verschiedensten Teilen zusammengesetzt ist. Das gleiche trifft auf das gesamte Stück zu, das eine Collage aus romantischen Versatzstücken ist: geheime Gerichte in unterirdischen Höhlen, Träume, die sich als Vorhersagen erweisen, brennende Burgen, Gewitter im Wald, Ritterfehden, Bäder in einer Grotte, vertauschte Briefe und vereitelte Giftanschläge. Kleist hat ganz bewusst die Mittelalterbegeisterung der Romantik aufgegriffen, wohl wissend, dass es sich da um eine imaginierte, konstruierte Kunstwelt handelt. Womöglich hat er sich über den Mittelalterkult sogar ein bisschen lustig gemacht.
In Augsburg wird der künstliche Charakter der Dramenwelt aufgegriffen, überzeichnet und dadurch noch deutlicher: Die Ritter springen auf Hoppe-Reiter-Pferden in knallbunten, neonfarbenen Fantasierüstungen herum (Bühne und Kostüme Oliver Kostecka), die Damen könnten aus allen Zeiten und Orten stammen, die Kulisse verhehlt nicht, dass sie genau das und nur das sein will: Kulisse. Wie Raum und Zeit sind dabei auch die Geschlechterrollen nicht genau verortbar, Frauen- und Männerrollen werden ausgetauscht, es gibt tuntige Ritter und lesbische Dienerinnen, und auch die soziale Hierarchie gerät durcheinander: Die hohen Herren machen sich eher zum Hanswurst als Knecht Gottschalk (Daniel Schmidt), eine Figur, die das eher nahelegen würde. Diese ironische, witzige, überdrehte, nur manchmal mit etwas zu dicken, klamaukigen Strichen hingepinselte Lust am Spiel und der Staffage hat aber ihren Sinn: Umso deutlicher tritt Käthchen als Kontrast dazu hervor. Sie ruht in sich, hat einen Mittelpunkt, wie die Puppe in Kleists berühmten Aufsatz über das Marionettentheater, sie ist das Gegenteil von "mosaisch", sie ist ganz.
In schlichtem Kleid, mit Strickpulli und Sneakers trippelt Karoline Stegemann girliehaft herum, schaut verschreckt, murmelt scheinbar unsicher vor sich hin, aber das täuscht: Wie eine Somnambule folgt sie unbeirrbar dem Grafen vom Stahl, seit ihr ein Engel im Traum verkündet hat, dass er einmal ihr Gemahl werden wird. Der Graf (Patrick Rupar) ist von dieser Konsequenz ebenso überfordert wie ihr Vater. Der - Klaus Müller, zeigt ihn in faschistoidem Schlägeroutfit - kann sich das nur mit Zauberei erklären und bringt den Grafen vor Gericht; der springt mit Schnauzer, Muskelshirt und weißer Hose herum wie Freddie Mercury und fällt, wie so viele Ritter vor ihm, erst einmal auf Kunigunde herein.
Keine Figur wechselt in Augsburg so oft das Kostüm wie sie, Hinweis auf ihre mosaikhafte Zusammengesetztheit. Ute Fiedler ist aber weniger Hexe noch romantische Automatenfigur oder künstliche Kreatur - was alles im Text angelegt wäre -, sondern eher die wendige und skrupellose Opportunistin, die sich blitzschnell auf neue Gegebenheiten einstellt und vor keinem Mittel zurückschreckt, um ihr Ziel zu erreichen. Sie und ihre Schönheit sind Fake, der Traum Käthchens erweist sich dagegen als Wahrheit. Um das zu erkennen, braucht der Graf aber lange und muss auf vielen Umwegen erst von Käthchen dahin geführt werden. Denn den Traum in der Silvesternacht hat auch der Graf gehabt, aber erst als er das im Schlaf sprechende Käthchen "verhört", wird ihm das bewusst. Und in dem Stück, in dem so vieles dem Geschmack geschuldet ist - Kleist hat das nicht verhehlt -, gibt es natürlich auch ein Happy End.
Die Unterscheidung von Sein und Schein, das Illusionäre der vermeintlichen Wirklichkeit, die Unfähigkeit, das zu erkennen, die Auflösung von Geschlechterrollen und ihrer sozialen Rollen: Es hat schon seinen Grund, warum Kleist immer als "moderner", aus seiner Zeit weit voraus weisender Autor verstanden wird. Die Augsburger Inszenierung zeigt das auf manchmal etwas grelle und laute Weise, aber das hat nichts Aufgesetztes und bloß Gewolltes, sondern führt mitten in den Kern des "Käthchens". Dabei profitiert sie von einem Ensemble, das nicht zuletzt auch bei den Nebenfiguren Akzente setzt: etwa Marlene Hoffmann als Kammerzofe, Katharina Rehn als Haushälterin im Schloss oder Gerald Fiedler als Mutter des Grafen und als Kaiser.
Letztendlich ist diese Inszenierung auch mosaisch, zusammengesetzt aus vielen Teilen, in diesem Sinne also erzromantisch oder auch postmodern, ist doch die Romantik der Urgroßmutter der Postmoderne. Aber sie hat auch eine Seele und eine - trotz aller äußerer Bewegung - in sich ruhende Mitte wie das Käthchen.
ZUM STÜCK
Theater:
Staatstheater Augsburg
Regie:
Christian von Treskow
Ausstattung:
Oliver Kostecka
Spieldauer:
Drei Stunden
Läuft bis:
14. Juni
Kartentelefon:
(0821) 3244900.
Berndt Herrmann
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