Ingolstadt
Ritter der Moderne: 100 Jahre Ingoldia

Die Ingolstädter Schlaraffen feiern ihr Jubiläum an diesem Wochenende mit einem Stiftungsfest im Stadttheater

12.04.2018 | Stand 23.09.2023, 2:54 Uhr
Einem Rittersaal nachempfunden ist das Domizil der "Ingoldia" im Kavalier Hepp, einem "Reych" der weltweit vertretenen "Schlaraffia". −Foto: Foto: Steininger

Ingolstadt (DK) Seit 100 Jahren hat in Ingolstadt eine Vereinigung ihren Sitz, die bisher weitgehend im Verborgenen blühte: Die "Ingoldia", der örtliche Ableger eines weltweiten Männerbundes, lädt ihre Mitglieder an diesem Wocheennde zum intern begangenen Stiftungsfest anlässlich ihrer mittlerweile 100-jährigen Geschichte.

Die steht in engsten Zusammenhang mit der "Schlaraffia", einer im Jahre 1859 von Schauspielern des Prager Theaters gegründeten deutschsprachigen Vereinigung zur Pflege von Kunst, Freundschaft und Humor.

Der Schlaraffen Leitspruch heißt "In arte voluptas", was so viel bedeutet wie "in der Kunst liegt Vergnügen". Und dieses Motto pflegen weltweit rund 260 örtliche Vereine, "Reyche" genannt, die untereinander engen Kontakt haben und in denen sich jeder Schlaraffe sofort zu Hause fühlt, führt ihn sein Weg in die "Burgen" anderer Städte. Denn die Schlaraffen bezeichnen ihr örtliches Domizil als ihre Burg, wie sie überhaupt ihr "Schlaraffenlatein" pflegen, das sich humorvoller Ausdrücke für alltägliche Bezeichnungen bedient.

Beispielsweise heißt die Ehefrau "Burgfrau", das Bier ist der "Quell", der Wein ist weiße oder rote "Lethe" und Schnaps heißt "Brandlethe". Das und noch viel mehr schafft eine ganz eigene Welt, in die man zur Entspannung vom grauen Alltag treten kann, um sich dort einem festen Reglement, dem Ritterspiel, zu unterwerfen. Aber andererseits auch einem bunten Kaleidoskop an Humor, Musik und Sprache, das jede Woche neue Aspekte erfährt, wenn Schlaraffenfreunde aus anderen Reychen den Ingolden einen Besuch abstatten.
Themen wie Politik oder Religionen aber sind ein absolutes Tabu, und einfach nur Witze zu erzählen, ist schlichtweg verpönt. Wer ein Instrument beherrscht, findet im "Reychsorchester" der Ingolden auch musikalisch ein harmonisches Zuhause.
Die schlaraffische Karriereleiter endet mit dem Ritterschlag, der feierlich zelebriert wird. Vorher aber hat ein jeder, ohne Ansehen seines privaten Standes in der Gesellschaft, einen Werdegang als Knappe und später als Junker zu durchlaufen. Ob Direktor oder Chefarzt, Elektromeister oder Gerichtsvollzieher: In der Burg sind alle gleich, Standesunterschiede bleiben außen vor. Nur die Namen der Ritter lassen manchmal deren Beruf in der "Profanei" erahnen: Ein Ritter "Clavi-Dent" ist ein Klavier spielender Zahnarzt, ein Ritter "Kritzlgraph" von Beruf Grafiker, oder ein Ritter "Contractus" Notar, um nur einige der Ingolden zu nennen.
Die Schlaraffia ist nicht etwa ein Geheimbund, sondern Aufnahme finden kann jeder, der sich "in einer gesicherten Position" befindet und einfach menschlich passt. Davon fühlten sich viele namhafte Kulturschaffende angezogen, darunter Komponisten wie Nico Dostal, Franz Lehár oder Gustav Mahler, Schauspieler wie Gustl Bayrhammer oder Attila und Paul Hörbiger, Schriftsteller wie Ludwig Ganghofer, Peter Rosegger und viele andere mehr.
Auch etliche Ingolstädter Persönlichkeiten konnten sich mit der Schlaraffia anfreunden, darunter der Verleger der vormaligen "Ingolstädter Zeitung" August Baumer, Gründungsmitglied der Ingoldia, dessen Portrait die Burg in einem Flügel des Stadtmuseums ziert. Oder auch einige Oberamtsrichter am Amtsgericht Ingolstadt, die wegen ihrer manchmal unkonventionellen Prozessführung eine große Popularität innerhalb der Bürger erlangt hatten.
Heute verzeichnet die Ingoldia rund 60 "Sassen", wie die Vereinsmitglieder genannt werden, ihre Burg auf der Schanz 45 im Kavalier Hepp in direktem Anschluss an das Stadtmuseum ähnelt einer mittelalterlichen Veste mit Waffenkammer, Ritterrüstungen, einem Thron und sogar einem Verließ, in das unbotmäßige Sassen schon mal vorübergehend verbannt werden. Im Mitgliedsbeitrag enthalten ist ein Obulus, mit dem die Ingolden das Stadtmuseum und so die eine oder andere Anschaffung unterstützen.
Die erste Burg der Ingolden befand sich im Jahr 1918 im Keller des damaligen "Schäffbräu"- Gasthauses. Da war die Ingoldia gerade als "Colonie", gegründet worden, die Vorstufe zu einem Reych. Im Jahr 1933 wurde auch die Ingoldia, der politischen Umstände halber, aufgelöst. Den braunen Machthabern war die Schlaraffia, obwohl politisch ein völlig unbeschriebenes Blatt, nicht geheuer.

Erst im Jahr 1947 erhielt der Ingolstädter Amtsgerichtsdirektor Karl Haunsperger alias Ritter "Haunsch" von der amerikanischen Militärregierung die Lizenz zur Wiedergründung der Ingoldia. Die fand ihre Unterkunft in der als "Notburg" gedachten Kegelbahn des Bürgerlichen Brauhauses, die dann bis zu deren Abriss 26 Jahre lang die lieb gewonnene Burg blieb.

Darauf folgte eine zweijährige Notburg im Ruderclub, bis man im Jahre 1976 die Burg auf der Schanz unter großem persönlichen Einsatz und finanziellen Opfern einweihen konnte. Aber die könnte die rund 450 Schlaraffen inklusive Burgfrauen oder -wonnen gar nicht fassen, die zum Stiftungsfest anreisen.

Deshalb wird der Festsaal des Stadttheaters als Ersatzburg genutzt mit einer eigenen Dekoration, die der Burg auf der Schanz ähnelt. Am Mittag vor der Festsitzung findet im Münster ein Orgelkonzert statt, danach folgt eine Stadtführung unter fachkundiger Leitung. Am Sonntagvormittag lädt die Burg auf der Schanz zu einem Weißwurstfrühstück, um Übernachtungsgäste für den "Heimritt" zu stärken. Denn die schlaraffischen Gäste aus etlichen Ländern sollen zwei Eindrücke mit nach Hause nehmen: Eine schöne Erinnerung an Ingolstadt im Allgemeinen und an die Ingoldia im Besonderen.
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Hans Steininger