Riedenburg
Riedenburger Steinbildhauer "upcycelt" Grabsteine

Neues Leben für alte Grabsteine

30.10.2020 | Stand 23.09.2023, 15:08 Uhr
Betende Hände und eine Rose: Das Relief dieses Grabsteins wird Steinmetz Günter Schinn in einem neuen Grabzeichen wiederverwenden. −Foto: Schmied

Wenn ein Grab aufgelöst wird, weicht ein sichtbares Zeichen der Erinnerung an einen gestorbenen Menschen. Manchmal verschwindet diese Stätte des Andenkens für immer, manchmal aber nur aus den Gräberreihen eines Friedhofs. Geht es nach Steinbildhauer Günter Schinn aus Riedenburg, muss der Grabstein dabei nicht entsorgt werden. Durch Upcycling kann das Material eine andere Nutzung, einen neuen Wert bekommen.

Riedenburg - Was schon da ist, muss nicht schlecht sein. Vielleicht passt die Form nur einfach nicht mehr so richtig in die Zeit. Oder zu den eigenen Vorstellungen. Entsorgen? Kann man, könnte man sich aber noch einmal überlegen. Vor etwa 15 Jahren stieß Günter Schinn auf einen Grabstein, den der Riedenburger Steinmetz Pohl einst gearbeitet hatte. "Der hatte vorher sein Geschäft, wo wir jetzt unseres haben. Seine Werkstatt war hinter dem Bahnhofswirtshaus", sagt der 37-Jährige. Dieser Grabstein beeindruckte ihn wegen seiner handwerklich gearbeiteten Ornamente. "Ich habe mir gedacht, eigentlich ist das wertvoll für die Riedenburger Kulturlandschaft und dass man die Arbeit von Pohl nicht in die Tonne treten kann." Also habe er mit den Besitzern der Grabstelle gesprochen, die für diese einen neuen Stein anfertigen lassen wollten. Er habe gefragt, ob sie sich vorstellen könnten, die Ornamente des alten mit einem neuen Stein, einer neuen Form zu kombinieren. Das Fundstück sah den Schredder nicht: "Die Leute haben mitgemacht."

Das ist einer der ersten Fälle für Schinn, dem viele folgten. "Es gibt immer mehr Grabsteine, die umgestaltet werden", weiß der Steinmetz. Das finde er gut, denn: "Die Wegwerf-Gesellschaft macht auch vor diesem Bereich nicht Halt." Upcycling heißt, dass ein vorhandenes Material, das keine Nutzung mehr hat, eine neue bekommen soll. Das beste Beispiel sind für ihn hier eben die Grabsteine. "Weil die bestehende Stätte, die vom Urgroßvater gekauft wurde, neu gedacht werden muss. Und weil die jüngere Generation die Stätte weiter pflegen will, der Stein aber nicht mehr dem Zeitgeist entspricht." Zum einen gehe es also darum, den Ort des Andenkens zu erhalten. Zum anderen schließt sich für Schinn die Frage an, wieso man nicht das vorhandene, gute Material verwertet für die Aufgabe, die es am Ende haben soll. "Es kann ein Grabstein bleiben - muss es aber nicht." Gerade jetzt wartet ein Exemplar darauf, ein stückweit weiterzuexistieren. Die betenden Hände vor einer Rose werden sich im neuen Grabmal, das Schinn anfertigt, wiederfinden.

 

Klar, nicht alle alten Grabmale eignen sich fürs Upcycling. "Manches muss man leider entsorgen", weiß Schinn aus Erfahrung. "Ich frage die Leute aber immer, ob sie etwas Neues daraus machen wollen." Die Bandbreite an Möglichkeiten ist groß. So hat Schinn schon einige Bänke für den Hof oder den Garten gefertigt, zwei Stück stehen auf dem Gelände des Tennisclubs Riedenburg. Für Privatleute kann so ein Bankerl statt des Grabes eine neue Art der Erinnerungskultur an den gestorbenen Angehörigen sein. "Das ist doch ein schöner Gedanke, dass Menschen, die einem wichtig waren, so doch irgendwie da bleiben können. Wenn sich die Leute vorstellen, dass man das Gedenkzeichen beim Entsorgen packt und brutal schreddert, dann macht das etwas mit ihnen", ist sich der Riedenburger sicher. Durch Upcycling lässt sich das Ausgangsobjekt zwar komplett verändern. "Trotzdem denken die Leute vielleicht an den Verstorbenen, wenn sie im Sommer auf der Bank sitzen und mit der Hand über den Stein streichen. Das neue Objekt kann also einen sentimentalen Wert haben."

In gewisser Hinsicht ist Upcycling auch Kunst. Ein Projekt, das er in diese Kategorie einordnen würde, ist das Bildhauer-Symposium in Mühlhausen an der Sulz (Kreis Neumarkt). An der Schleuse 25 des Ludwig-Donau-Main-Kanals ist so inzwischen ein Skulpturenpfad entstanden, in den sich auch Werke des Riedenburgers einreihen. "Alle Skulpturen sind aus alten Schleusensteinen", benennt er hier den Gedanken, Vorhandenem einen anderen Charakter zu geben. Gerade diese Facette fasziniert ihn. "Ich finde es spannend, dass man einem Stein so einen anderen Sinn, eine neue Wertigkeit geben kann." Und noch etwas anderes reizt den Steinbildhauer an der Arbeit mit bereits behauenem Material: "Es ist schwieriger, aus dem Bestand etwas Neues zu schaffen."

 

In einer Zeit, in der man über das Klima diskutiert und sensibler über Nachhaltigkeit nachdenkt, sollte seiner Meinung nach hier ein Umdenken stattfinden. "Wir sind eine konsumorientierte Gesellschaft, die viel zu viel wegwirft. Wenn es darum geht, Steine wieder herzurichten und man den Leuten Beispiele zeigt, dann sind sie zunächst schon angetan. Wenn sie aber dann hören, dass das Gezeigte aus einem alten Stein gemacht wurde, sagen sie oft, dass sie etwas Altes nicht wollen - was ich natürlich auch verstehe. Ich finde es nur wichtig, zu zeigen, dass alte Steine auch etwas zu bieten haben." Und letztlich könne auch bei Neuem der ökologische Gedanke eine Rolle spielen. Auch hierzulande, gar gleich in der Nachbarschaft gibt es schönes Material, das keine weiten Wege zurücklegen muss und von dem man weiß, unter welchen Umständen es abgebaut wurde.

Die Friedhofskultur verändert sich. Das zeigt sich laut Schinn nicht nur daran, dass immer mehr Ruhestätten verschwinden, weil die Angehörigen woanders wohnen und sie nicht mehr pflegen können oder wollen. Das zeigt sich nicht nur daran, dass statt einer Bepflanzung oft Platten als Abdeckung dienen oder daran, dass es immer mehr Urnenbestattungen gibt. Das offenbart sich auch an Konzepten wie Friedwäldern, Orten für anonyme letzte Ruhestätten oder daran, dass die Hinterbliebenen, wenn sie sich für ein Grabmal entscheiden, doch gerne auf den Stein von der Stange verzichten und die Individualität des gegangenen Menschen betont wissen wollen. Was alles geht, ist auf dem Gelände der Landesgartenschau in Ingolstadt zu sehen - die wegen Corona heuer nicht stattfinden konnte. Upcycling spielt auf der Anlage eine zentrale Rolle: "Die Vorstellung des Architekten war, dass man das Grabmusterfeld ausschließlich mit upgecycelten Grabsteinen versieht", erklärt Schinn. Das beginnt bei einem Blatt mit oder ohne Namensschriftzug für Friedwälder und geht bis hin zu Urnen- oder Doppelgräbern.

 

Auch Schinn hat unterschiedlichste Arbeiten in die Ausstellung eingebracht. Eine geschwungene Linienführung lässt den einen Stein nach der Neugestaltung aussehen wie eine Blüte. Wenn es regnet, sammelt sich in den Mulden der zartweißen Blütenblätter Wasser, an dem Vögel trinken. Leben auf dem Grabstein. Wie Wellengang präsentiert sich der andere Stein für ein Urnengrab. Mit der eingeschlossenen Schnecke erinnert er an das vorzeitliche Jurameer, offenbart einen Hauch von Ewigkeit. Gearbeitet ist dieses Objekt aus einer Blockstufe der Schambacher Kirche, wie Schinn verrät. "Die alten Stufen waren aufgefroren, wir haben neue hingebaut. Was vom alten Stein noch gesund war, haben wir aufgehoben. Und in einem habe ich diese Schnecke entdeckt." Ein schon von der Witterung gezeichnetes Grabzeichen mit einem keltischen Kreuz ist auf dem Musterfeld in Ingolstadt kaum mehr wiederzuerkennen. Schinn hat daraus einen Sitzgrabstein geschaffen. Warum? "Für mich ist er ein Zeichen für die künftige Art, wie der Bestattungskult sein könnte", beschreibt er.

Ein Sitzgrabstein. Das kann man sich im ersten Moment auf einem üblicherweise in klar abgegrenzten Reihen und Feldern eingeteilten Friedhof nicht so recht vorstellen. Schinn kann sich hier künftig gut Konzepte vorstellen, die diesen starren Rahmen aufbrechen, gerade, wenn es um Urnengrabanlagen geht. Hier ist auch der Sitzgrabstein einzuordnen. Vom keltischen Kreuz hat der Steinbildhauer die Kreiselemente verwendet, eine Hälfte trägt den Namen des Gestorbenen, die andere ein Gefäß für Weihwasser. Aus dem großen Block wurde eine Bank, ein Eisenkreuz daneben nimmt das keltische Symbol wieder auf.

Wäre die Positionierung von Gräbern freier, könnte man laut Schinn "eine ganz andere Atmosphäre auf dem doch tristen Ort Friedhof schaffen". Mehr Lockerheit. Befreitheit vielleicht auch im Umgang mit Trauer. Der Riedenburger hat da gerade die älteren Leute im Sinn. Ein Sitzgrabstein lässt womöglich Zeiten aufleben, in denen man zusammen mit dem Gestorbenen im Garten oder auf der Terrasse saß, zusammen geweint und gelacht hat, sich gestritten und sich geliebt hat. "Vielleicht kann man sich zurückversetzen in diese Zeit und so dem anderen ganz nah sein", sagt Günter Schinn. Die schönsten Zeiten verbringt man auf einem Bankerl, ist er sich sicher. Und so spielt hier nicht nur die Erinnerung an den Gestorbenen, sondern auch der Austausch mit anderen Trauernden eine Rolle. Auf einem Friedhof ist man nicht allein mit seinem Schmerz, hier trifft man Menschen, denen es ähnlich geht. Schade, wenn es irgendwann keine Friedhöfe mehr geben würde, sagt Schinn. Denn trotz der Konfrontation mit dem Tod ist er vor allem eines: Eine Begegnungsstätte mit dem Leben in seinen Facetten.

DK

Kathrin Schmied