München
Richtungsstreit bei den Sudetendeutschen

Konservative gegen Reformer: Kurz vor dem Pfingsttreffen ist die Organisation gespalten

15.05.2015 | Stand 02.12.2020, 21:18 Uhr

München (DK) Klagen, Unterschriftensammlungen, Rücktrittsforderungen: Vor dem Pfingsttreffen der Sudetendeutschen machen nationalkonservative Vertriebene Stimmung gegen den Modernisierungskurs der Verbandsspitze.

Johann Slezak ist wütend – seine Worte verheißen nichts Gutes für die Organisatoren des Sudetendeutschen Tags in Augsburg (23. und 24. Mai). „Die Stimmung in meiner Bezirksgruppe und in allen Kreisgruppen ist katastrophal“, sagt der Bezirkschef der Sudetendeutschen Landsmannschaft (SL) in Oberbayern. „Ich rechne mit einem unruhigen Sudetendeutschen Tag.“

Vor dem 66. Pfingsttreffen der Sudetendeutschen, bei dem an die Vertreibung aus der Tschechoslowakei vor genau 70 Jahren erinnert wird, tobt in der Landsmannschaft ein Richtungsstreit. Insbesondere der nationalkonservative Witikobund lehnt sich gegen eine Satzungsänderung auf, die von der SL-Bundesversammlung Ende Februar mit 71,8 Prozent beschlossen wurde. Danach sollen die Abschnitte gestrichen werden, in denen von der „Wiedergewinnung“ der Heimat und dem „Recht auf Rückgabe (...) des konfiszierten Eigentums“ die Rede ist.

Die Satzungsänderung brachte den Sudetendeutschen und ihrem obersten Repräsentanten, Bernd Posselt, viel Zustimmung in Deutschland und in Tschechien ein. In Teilen der Landsmannschaft aber löste der Beschluss Unmut aus. „Besonders die Erlebnisgeneration nimmt das nicht hin“, sagt Slezak, der auch Vizevorsitzender des Witikobunds ist. Zur Seite steht ihm der schwäbische SL-Bezirkschef Felix Vogt-Gruber, zugleich Vorsitzender des Witikobunds. Unterschriften wurden gesammelt, Klagen bei Gerichten eingereicht, Rücktrittsforderungen an Posselt formuliert.

Der Streit droht das Anliegen des Sudetendeutschen Tags zu überlagern: das Thema Vertreibung in die Öffentlichkeit zu bringen. „Für uns ist ‚70 Jahre Vertreibung’ nicht nur Rückschau, sondern eine Verpflichtung, uns intensiv mit dem Ungeist der Vertreibungen heute zu beschäftigen“, sagt Posselt. Es gebe derzeit mehr Kriege und mehr Vertriebene als jemals seit dem Zweiten Weltkrieg.

Mit Posselt steht erstmals ein Volksgruppensprecher an der Spitze der Sudetendeutschen, der die Vertreibung persönlich nicht erlebt hat. Der 58-Jährige arbeitet daran, das Image der SL aufzupolieren und den Verband für eine Zukunft ohne Erlebnisgeneration aufzustellen. So will er auch die neue Satzung verstanden wissen. Die Formulierung „Wiedergewinnung der Heimat“ stamme aus den 50er Jahren und könne missverstanden werden „als Grenzänderung oder als kollektive Rücksiedlung“, sagt Posselt. „Das hält sowieso kein vernünftiger Mensch für möglich oder anstrebenswert.“

Eingeschossen haben sich die Modernisierungsgegner auch auf Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU). Weil er in einem Interview den „Verzicht der Sudetendeutschen auf Restitution und Entschädigung“ gelobt hatte, ging in der Staatskanzlei ein Anwaltsschreiben ein, in dem Seehofer eine unwahre Tatsachenbehauptung vorgeworfen und von ihm eine Unterlassungserklärung verlangt wird. Die Argumentation: Die Mehrheit der Sudetendeutschen verzichte keineswegs auf Restitution.

Die Staatskanzlei zeigt sich gelassen. Ein Unterlassungsanspruch sei nicht gegeben, sagt Staatskanzleisprecher Rainer Riedl. Zugleich versichert er, der Ministerpräsident werde sich weiter für die Belange der Sudetendeutschen einsetzen. Seehofer wird am Pfingstsonntag als Hauptredner auf dem Vertriebenentreffen erwartet.

Der Witikobund dagegen wird ausgesperrt: „Dieses Jahr hat der Bundesvorstand beschlossen, dem Witikobund weder einen Raum noch einen Stand auf dem Messegelände zu geben“, sagt Posselt. Als Grund nennt er mangelnde Abgrenzung des Vereins von Rechtsextremisten.

Die Ober-Witikonen Vogt-Gruber und Slezak werden trotzdem nach Augsburg reisen – und den Widerstand gegen die Satzungsänderung an den Ständen ihrer SL-Bezirksgruppen Schwaben und Oberbayern vorantreiben. Posselt aber will sich vom Erneuerungskurs auf keinen Fall abbringen lassen – schon gar nicht durch „bewusste Krawallmacher“.