Wolfsburg (dpa
Rettungsteam für VW steht

Pötsch und Müller sollen Autokonzern aus Krise führen – Audi-Aufsichtsratssitzung ohne Winterkorn

07.10.2015 | Stand 02.12.2020, 20:43 Uhr

Wolfsburg (dpa/AFP/DK) Mit dem Führungstandem Hans Dieter Pötsch und Matthias Müller will VW die Affäre um manipulierte Abgas-Messwerte hinter sich bringen. Der 20-köpfige Aufsichtsrat wählte den Österreicher Pötsch gestern in Wolfsburg zu seinem neuen Vorsitzenden.

Der bisherige VW-Finanzvorstand Pötsch löst den übergangsweise amtierenden Berthold Huber ab. Der frühere IG-Metall-Chef hatte den Posten im Frühjahr von Ferdinand Piëch übernommen. Der VW-Patriarch war nach dem verlorenen Machtpoker mit dem damaligen Vorstandschef Martin Winterkorn zurückgetreten. Bereits in der vergangenen Woche hatte das VW-Kontrollgremium den früheren Porsche-Vorstandsvorsitzenden Müller zum Konzernchef und Nachfolger von Winterkorn berufen.

„Es ist mir ein persönliches Anliegen, alles zu tun, damit die Vorgänge restlos ausgeklärt werden“, sagte Pötsch nach der Sitzung in Wolfsburg. Er sei sich der besonderen Verantwortung dabei bewusst. Seinen Posten als VW-Finanzchef übernimmt ab sofort der bisherige Vorstandsvorsitzende der VW-Finanztochter, Frank Witter.

Wie zuvor schon der neue VW-Chef Müller bat auch Pötsch bei der Aufklärung der Abgas-Affäre um Geduld: „Mit Mutmaßungen oder vagen vorläufigen Sachständen ist niemandem gedient. Deshalb wird es noch einige Zeit dauern, bis gesicherte und belastbare Ergebnisse vorliegen und wir umfassend informieren können.“

Der Wahl von Pötsch war ein Beschluss des Amtsgerichts Braunschweig vorausgegangen. Am Morgen hatte das Gericht Pötsch per Beschluss – befristet bis zur nächsten Hauptversammlung – zum Mitglied des Kontrollgremiums ernannt. Bei dem noch nicht bekannten Termin soll dann, wie bereits von Aktionärsvertretern verlangt, die offizielle Wahl durch die stimmberechtigten Anteilseigner nachgeholt werden. Für Pötsch muss auf der Kapitalseite des Aufsichtsrates Julia Kuhn-Piëch ihren Platz räumen.

Zum ersten Mal seit Bekanntwerden des Skandals tagte gestern der Audi-Aufsichtsrat, allerdings ohne seinen Chef Martin Winterkorn. Das erfuhr unsere Zeitung aus Konzernkreisen. Bei der Zusammenkunft wurde Dietmar Voggenreiter zum neuen Marketingvorstand ernannt.

Unterdessen wartete die Bundesregierung gestern auf die fristgerechte Vorlage des bei VW angeforderten Zeit- und Maßnahmenplans, mit dem der Abgas-Skandal bewältigt werden soll. „Er ist heute noch nicht eingegangen, aber wir erwarten ihn für heute“, sagte ein Ministeriumssprecher.

Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) werde die vorgeschlagenen Maßnahmen dann „auf Sinnhaftigkeit“ prüfen – und darauf, ob deutsche und europäische Gesetze eingehalten würden. Der Sprecher kündigte eine öffentliche Kommunikation durch KBA und Ministerium an, sobald der Brief von VW eingegangen sei. Zuvor hatte VW-Chef Müller gesagt, der Rückruf der betroffenen Fahrzeuge solle im Januar starten und bis Ende 2016 abgeschlossen sein.

In den USA wandte sich VW mit Entschuldigungsschreiben an enttäuschte Kunden. „Volkswagen hat Ihr Vertrauen verletzt. Ich kann Ihren Ärger und Frust voll und ganz verstehen und nachvollziehen“, heißt es in dem von Volkswagens US-Chef Michael Horn unterzeichneten Schreiben. Horn muss heute in einem Ausschuss des US-Kongresses zu der Affäre Rede und Antwort stehen.

Der US-Senat prüft im Zuge des Abgas-Skandals, ob in den Vereinigten Staaten zu Unrecht Steuervergünstigungen für VW-Diesel-Autos gezahlt worden sind. Der Finanzausschuss teilte mit, VW könnte mit Hilfe der Software zur Manipulation der Abgaswerte möglicherweise eine Bescheinigung für Steuervergünstigungen erhalten haben. Die Käufer von Autos mit geringem Spritverbrauch seien zeitweilig mit 1300 Dollar (1160 Euro) unterstützt worden. Insgesamt könnten Autokäufer und VW 50 Millionen Dollar an Subventionen erhalten haben.

In Deutschland reichte derweil erstmals auch eine VW-Kundin Klage gegen den Konzern ein. Das Landgericht Braunschweig bestätigte den Eingang. Die Besitzerin eines Autos der „Blue-Motion“-Reihe wolle den Wagen zurückgeben, weil sie sich in ihrer Erwartung, ökologisch unterwegs zu sein, enttäuscht sehe, so ihre Anwälte (siehe Interview).