Post aus München kurz vor dem Schlagabtausch

20.11.2019 | Stand 23.09.2023, 9:33 Uhr

Es gibt derzeit kein anderes Thema, das in Allersberg so tiefe Gräben aufreißt wie die beiden geplanten Industriegebiete West I und West II. Obwohl der Marktrat diese Gebiete über alle Fraktionen hinweg beschlossen hat, regt sich Widerstand. Die Bürgerinitiative "Lebenswertes Allersberg" lehnt ein Industriegebiet ab und strebt einen Bürgerentscheid an. Auf der anderen Seite stehen die Befürworter der beiden Industriegebiete, die sich vor allem eine Sanierung des maroden Gemeindehaushalts erhoffen. Bei einer außerplanmäßigen Bürgerversammlung wurde nun dreieinhalb Stunden lang kontrovers diskutiert. Der Saal war derart überfüllt, dass viele Zuhörerinnen und Zuhörer stehen mussten. Bekannt wurden in der Versammlung nicht nur die ersten konkreten Interessenten, die sich ansiedeln wollen, sondern auch die Vorgabe des Wirtschaftsministeriums, dass das Areal West I ein Sondergebiet Logistik werden muss.

"Chance oder Risiko? Alle Fakten zum Gewerbe-/Industriegebiet West I und II" hatte Bürgermeister Daniel Horndasch die Veranstaltung überschrieben. Er berichtete zunächst von Befürchtungen, Ängsten und Beschuldigungen, die an ihn, die Verwaltung und den Marktrat herangetragen worden waren: "Sie haben das Gemeinwohl nicht im Blick." "Das gibt ein Verkehrschaos." "Die Natur wird zerstört." Und so weiter. "Manche der Vorwürfe haben mich getroffen", bekannte der Bürgermeister.

Ob es ein Gewerbe- oder ein Industriegebiet werden soll, wollte zunächst Margit Böhmer-Böckeler wissen. "Der erste Schritt ist nur eine Willenserklärung", antwortete der Bürgermeister, "wir haben ein Beteiligungsverfahren und 30 Stellungnahmen." Die Abwägung finde im Gemeinderat statt, dann ändere man eventuell die Pläne. Erst ganz am Ende des Verfahrens entscheide der Gemeinderat, ob das Ganze ein Gewerbe-, ein Industrie- oder ein Sondergebiet werde.

Dann ging Horndasch auf die angespannte Haushaltssituation Allersbergs ein. An Pflichtaufgaben habe man Ausgaben von etwa 20 Millionen Euro, an freiwilligen Aufgaben rund 15 Millionen Euro. Das laufende Ausgabendefizit betrage etwa drei Millionen Euro. "Die Haushaltslage ist sehr angespannt", sagte Horndasch, "wir haben eine Verschuldung von elf Millionen Euro." Man habe deshalb einen Haushaltsnotstand. Dies habe man von der Rechtsaufsicht bescheinigt bekommen. "Die Rechtsaufsicht verlangt von uns, einen Plan zu entwickeln, wie wir aus der prekären Situation herauskommen", so der Bürgermeister.

Lösungsmöglichkeiten sieht Horndasch im Sparen, in der Erhöhung der Steuern und Beiträge, in der Erschließung von Fördermitteln und Spenden sowie in der Kreditaufnahme. Letzteres würde aber das Problem nur verschieben. "Wir brauchen Wachstum", forderte der Bürgermeister. "Wir müssen die Einnahmen erhöhen." Von der Ansiedlung von neuen Unternehmen erhoffe sich die Gemeinde mehr Gewerbe- und Grundsteuer, mehr Gebühreneinnahmen und eine Einkommenssteuerbeteiligung sowie neue Arbeitsplätze.

Ob die beiden geplanten Industriegebiete ein "überdimensionierter Gigantismus" seien, wie die Bürgerinitiative behauptet, verneinte der Bürgermeister. "Die geplanten 33 Hektar ermöglichen uns eine wirtschaftlich sinnvolle Entwicklung", erklärte Horndasch, "der Vergleich mit anderen Gemeinden zeigt, dass es kein überdimensionaler Gigantismus ist."

Kräftiger Gegenwind kam hier von Georg Decker und von Maria Holland. "Mir wird Angst und Bange, denn mir liegt die Natur sehr am Herzen", sagte Holland. "Das läppische Dahingerede von Ihnen, Herr Horndasch, macht mich zornig", sagte Decker. Es sei nicht angebracht, dass so viele Flächen zubetoniert würden.

Horndasch ging anschließend auf die Gründe ein, die seiner Ansicht nach für die Ausweisung der Fläche als Industriegebiet sprechen. "Ein Industriegebiet bietet einen größeren Spielraum, aber besonders belästigende Betriebe können durch einen Gemeinderatsbeschluss ausgeschlossen werden", sagte er. Die gesetzlichen Auflagen im Bereich Umweltschutz, Wasserschutz, Versiegelung und Verdichtung seien im Vergleich zu einem Gewerbegebiet gleich hoch. "Ob ein Gewerbegebiet oder ein Industriegebiet herauskommt, entscheidet am Ende der Gemeinderat", wiederholte Horndasch.

Was den Standort bei Altenfelden betrifft, verwies der Bürgermeister darauf, dass es schon ein altes Thema sei, Industrie westlich der Autobahn anzusiedeln. "Die Diskussion um Alternativstandorte ist genauso alt." Als Alternativstandorte habe man zunächst ein Gewerbegebiet in der Rother Straße in Betracht gezogen. Dies sei aber wegen einer drohenden Verschandelung des Ortsbildes abgelehnt worden. "Auch die Lampersdorfer Höhe ist als Industrie- und Gewerbegebiet nicht passabel", sagte Horndasch. "So ist das Gebiet an der Autobahn der sinnvollste Standort." Die Industriegebiete West I und II böten insgesamt gesehen eine optimale Anbindung an die Autobahn, an die Bahn, an den öffentlichen Personennahverkehr sowie an die Lände Roth und brächten eine Reduzierung des Verkehrs im Kernort und den Ortsteilen.

Eine Zuhörerin wollte wissen, welche Betriebe bei Altenfelden angesiedelt werden. "Wir haben noch keine Flächen verkauft und keine Flächen vergeben", antwortete Horndasch. "Kommt auf Allersberg eine zusätzliche Lärmbelastung und ein zusätzliches Verkehrsaufkommen zu?", lautete die nächste Frage. "Tatsächliche Zahlen zum Verkehrsaufkommen lassen sich erst dann ermitteln, wenn die Nutzer feststehen", sagte Horndasch. Derzeit rechne man aber von 1900 Arbeitsplätzen und von 8000 Fahrzeugbewegungen täglich.

"Sind auch die Orte Guggenmühle und Brunnau von dem Industriegebiet betroffen?", wollte ein anderer Zuhörer wissen. "Die Straße soll so erschlossen werden, dass Guggenmühle nicht vom Lkw-Verkehr belastet wird", erklärte der Bürgermeister, "wir gehen davon aus, dass die Lastwagen vorwiegend auf die A9 fahren." Durch die Lage des Industrie- beziehungsweise Gewerbegebiets am Autobahnanschluss und am Bahnhof entstehe deutlich weniger Verkehr als anderswo.

"Seit heute ist auch die Stellungnahme der Staatsregierung zum geplanten Industriegebiet West I und West II da", sagte Horndasch und verlas den Brief des bayerischen Wirtschaftsministers Hubert Aiwanger an die Marktgemeinde Allersberg. Aiwanger schreibt demnach, dass einer Realisierung von West I nichts im Wege stehe. Die Vorgabe lautet allerdings, dass ein Sondergebiet Logistik ausgewiesen werden muss.

Was West II betrifft, gibt es die Auflage, dass dieses Areal dem Ort Altenfelden untergeordnet und damit flächenmäßig kleiner werden muss. Ist in der bisherigen Planung von West II von 14 Hektar die Rede, wird dieses Areal nun ein Stück kleiner werden, wie Horndasch auf Nachfrage unserer Zeitung erklärte. Konkrete Angaben könne er dazu aber zum jetzigen Zeitpunkt nicht machen.

Öffentlich machen konnte der Bürgermeister dagegen in der Versammlung, dass es inzwischen bereits rund 30 Interessenten gebe, die nach Flächen nachgefragt hätten. "Wir versuchen auch lokale Interessenten zu berücksichtigen", versicherte Horndasch, "ich weise deshalb die Unterstellung zurück, dass wir uns nicht um die Allersberger Unternehmer kümmern."

Zum Thema Gewerbesteuer sagte der geschäftsleitende Beamte der Marktgemeinde, Michael Langner: "Das Kriterium für uns ist die Anzahl der Arbeitsplätze, die zu erwarten sind. Unser Ansinnen ist nicht nur die Gewinnmaximierung, sondern auch die Frage: Was bringt uns der Betrieb?"

Die Behauptung, dass kleine Betriebe vergleichsweise mehr Gewerbesteuer zahlen müssten als große, sei falsch, sagte der Bürgermeister. In Allersberg gebe es insgesamt 900 Unternehmen, 200 davon zahlten Gewerbesteuer, denn Gewerbesteuer zahle nur, wer Gewinn macht. Fünf Allersberger Unternehmen zahlen zwischen 60000 und 100000 Euro Gewerbesteuer im Jahr. Weitere 15 Unternehmen zahlen zwischen 20000 und 30000 Euro Gewerbesteuer im Jahr.

Dass die geplanten Allersberger Flächen bei Unternehmen begehrt sind, daran ließ Horndasch keinen Zweifel. "Jede Woche kriegen wir eine neue Anfrage." Die Frage des Grundstücksverkaufs werde letztlich in den Fachgremien entschieden. "Wir leben hier nicht in einer Bürgermeister-Diktatur", rief Horndasch und erteilte dem Vorschlag eines Zuhörers eine Abfuhr, der die Flächen lieber verpachten statt verkaufen würde. "Da erschließt sich mir die Logik nicht", erwiderte der Bürgermeister und merkte ironisch an: "Wenn ich mir die Finanzsituation der Marktgemeinde Allersberg anschaue, könnte ich auf die Idee kommen: Wir brauchen Geld."

Drei Unternehmer und Unternehmensvertreter, die bereits ihr Interesse an einer Ansiedlung in einem Industriegebiet angemeldet haben, hatten anschließend Gelegenheit sich zu äußern. So erklärte Christoph Führer von Allersberger Unternehmen Leitner- Touristik, dass man sich vergrößern und weiter wachsen wolle. Mit dem Industriegebiet West I und II könne man mehr Arbeitsplätze schaffen. "Es geht uns um die Anbindung an die Autobahn und an den Bahnhof. Die Gewerbesteuer zahlen wir weiter in Allersberg", so Führer.

Sich in Allersberg neu ansiedeln will sich das Erlanger Energieunternehmen Covalion. Auch Firmenvertreter Jochen Lorz schätzt "die ideale Lage des Industriegebiets an der Autobahn". Als dritter Unternehmer stellte Andreas Zeitner, der extra aus Hamburg angereist war, die Handelsgesellschaft Citti vor, die vor 40 Jahren in Kiel gegründet wurde. Die Firma hat sich auf Lebensmittelversorgung spezialisiert und beliefert Großkunden wie Altenheime, Restaurants und Schulen. Bei einer Ansiedlung in Altenfelden würde es "der größte Gewerbesteuerzahler Allersbergs sein", erklärte Bürgermeister Horndasch.

Danach meldete sich noch Norbert Reeg zu Wort. "Ich will für den Bürgermeister eine Lanze brechen", sagte er, "er hat bisher mehr bewegt als alle Bürgermeister zuvor. Lasst ihn nicht ins Abseits laufen. Das Gewerbe- und Industriegebiet muss verwirklicht werden zum Wohle Allersbergs."

Am Ende der langen Versammlung kam es aber zu keiner Annäherung zwischen den Befürwortern und den Gegnern der beiden Industriegebiete. "Sollte es zum Bürgerentscheid kommen, wird das Ganze erst mal gestoppt", so Horndasch.

Robert Unterburger