Unterhausen
Offensive gegen sexuellen Missbrauch

Selbsthilfegruppe will Opfern helfen und präventiv wirken

16.02.2018 | Stand 02.12.2020, 16:48 Uhr
Karin Steinherr und Frank Böhm leiten den Verein "Gemeinsam gegen Missbrauch", der Steinherr in ihrer Aufklärungs- und Präventionsarbeit unterstützen soll. −Foto: Hammerl

Unterhausen (DK) Karin Steinherr hat Schlimmes erlebt. Sie wurde jahrelang vom Stiefvater, später auch von dessen Freund, missbraucht, seit sie neun Jahre alt war. Ein Thema, das meist von den Betroffenen ganz tief vergraben wird.

Auch sie hat das viele Jahre getan, abgeschaltet, dissoziiert, wie der Fachbegriff lautet, wenn Probleme aus dem Alltagsbewusstsein abgespalten werden. Eine Überlebensstrategie, wie sie in der Therapie sehr viel später erfahren hat.

 

Seitdem hat die 43-Jährige einen anderen Weg gewählt. Sie geht in die Offensive, um anderen Opfern zu helfen, klärt auf, berät Betroffene, vermittelt an professionelle Stellen und hält Vorträge an Schulen, um Lehrer, Eltern und Kinder zu sensibilisieren, Betroffene zu ermutigen, sich aus dem Teufelskreis aus Schuldgefühlen und Druck zu befreien, aber auch, um Missbrauch vorzubeugen. Einen Täter anzuzeigen sei nicht immer einfach. Steinherr kennt Fälle, in denen dem Opfer nicht geglaubt wurde. "Es gibt auch andere Anlaufstellen", sagt sie, "in der Region zum Beispiel das Neuburger Frauenhaus, in Eichstätt die Weiche, in Ingolstadt den Verein Wirbelwind, in München den Frauennotruf Wildwasser."

Sie selbst hat 2015 eine Selbsthilfegruppe in Neuburg gegründet, vergangenes Jahr wurde daraus der Verein "Gemeinsam gegen Missbrauch", dessen Vorsitzende sie ist. Los ging es mit acht Gründungsmitgliedern, derzeit sind es zehn. Als stellvertretender Vorsitzender steht ihr Frank Böhm zur Seite. Die beiden kennen sich seit mehr als 20 Jahren, irgendwann tauschten sie sich über Privates aus, Steinherr vertraute sich ihm an und aus dem ehemaligen Nachbarn wurde der beste Freund. "Anfangs wusste ich noch nicht, wie viel dahintersteckt", erinnert er sich. Damals hat er ihr zunächst gesagt: "So was gibt es in meinem Umfeld nicht." Doch als er tiefer in das Thema einstieg, erzählten ihm plötzlich Frauen auch aus seinem Umfeld "Dinge, die ich nie für möglich gehalten hätte".

Er hörte zu, bot Hilfe an. Sein Motiv? "Ich habe sehr viel Glück im Leben gehabt, ich will etwas zurückgeben", erklärt er. Der 49-Jährige hat Steinherr zu diversen Vorträgen und Preisverleihungen begleitet, beispielsweise zur Gala "Helden des Alltags" nach Hamburg, wo sie einen Sonderpreis der Redaktion einer Fernsehzeitung erhielt. Denn nur sehr wenige Missbrauchsopfer sprechen offen über ihre Erfahrungen. Dabei können nur sie wirklich authentisch berichten. "Ich versuche ehrlich zu sein, nur das bringt uns weiter", sagt sie. "Wenn man das Thema nicht anspricht, dann wird geschwiegen", ergänzt Böhm. "In jeder zweiten Schulklasse, in der ich meinen Vortrag gehalten habe, gab es einen bekannten Missbrauchsfall", macht Steinherr deutlich, wie verbreitet sexueller Missbrauch ist. Einmal sei es sogar passiert, dass eine Schülerin während ihres Vortrags aufgestanden ist und sagte, sie wurde auch missbraucht.

Zwei Schulstunden sind meist zu kurz, um das Thema umfassend zu behandeln, daher bietet sie an, anschließend noch für Fragen oder Einzelgespräche da zu sein. Natürlich hat sie jede Menge Tipps für Kinder und Jugendliche, denen sie das Thema jeweils auf die Altersgruppe zugeschnitten näherbringt. Die meisten Hinweise beziehen sich auf Fremdtäter. In sozialen Medien sollten Kinder sich beispielsweise keine informativen Namen wie "Sandra12" geben - dann wisse jeder den Vornamen und das Alter. Aber auch wenn sie sich älter machten, könne das gefährlich sein. Treffen mit Internetbekannten sollten möglichst tagsüber und an öffentlichen Orten erfolgen, am besten begleitet von einer Freundin. Es gelte genau zu überlegen, welche Fotos gepostet werden - dieser Appell geht auch ganz besonders an Eltern. Wenn die Täter - wie häufig - aus dem engen familiären Umfeld stammen, ist es für Missbrauchsopfer besonders schwer. Meist kommt es erst auf, wenn Außenstehende einen Verdacht haben und tätig werden, ob nun Lehrer, Nachbarn oder Verwandte. Nur selten vertrauen sich die Opfer von sich aus jemandem an, weiß Steinherr. Dass es ein hehres Ziel ist, sexuellen Missbrauch zu beenden oder noch besser präventiv verhindern zu wollen, ist ihr klar. "Aber für jeden einzelnen Betroffenen lohnt es sich zu kämpfen", findet sie.

Momentan ist das Thema dank der Me-Too-Kampagne sehr präsent in den Medien, was Steinherr mit gemischten Gefühlen sieht. "Grundsätzlich finde ich es gut, wenn sexuelle Gewalt thematisiert wird", sagt die Unterhausenerin, "aber es passiert dabei auch eine gewisse Verharmlosung." Männer müssten heute schon Angst haben, es könne falsch verstanden werden, wenn sie einer Frau ein Kompliment machten. Mit Blick auf Schweden und Finnland, wo das Einverständnis zum Sex nun förmlich eingeholt werden muss, schüttelt sie nur den Kopf. "Das macht alles kaputt, es geht doch um Gefühle", meint sie.

 

Nähere Informationen zu Verein und Selbsthilfegruppe gibt es im Internet, http://verein-gegen-missbrauch.de. Karin Steinherr ist für persönliche Kontaktaufnahme per E-Mail unter karin@verein-gegen-missbrauch.de oder unter der Handynummer (0176) 72 75 31 22 erreichbar.