Eichstätt
"Neue, geistige Sphäre der Liebe"

68er-Ikone Rainer Langhans diskutiert an der KU über Liebe in Zeiten des Internets

20.07.2012 | Stand 03.12.2020, 1:15 Uhr |

 

Eichstätt (EK) Eins ist klar: Eine gewöhnliche Vorlesung ist das nicht. Rund 500 Zuhörer drängen sich in die Aula. Der Grund für den Rummel sitzt auf der Bühne, trägt eine runde Brille, schlichte weiße Kleidung und wallende graue Locken: Rainer Langhans, ehemaliges Mitglied der legendären „Kommune 1“.

Die Podiumsdiskussion mit Langhans zum Thema „Wozu braucht die Generation Internet die Liebe“ am Donnerstagabend bildete den Abschluss des Seminars „Liebe und Sexualität im historischen Wandel“ des Lehrstuhls für Neuere und Neueste Geschichte. Ein Semester lang hatten sich Dozent Markus Raasch und seine Studenten mit dem menschlichen Miteinander im 19. und 20. Jahrhundert beschäftigt, die Bibel ebenso rezipiert wie Lessing, Goethe und die Beatles. An diesem Abend folgte der Sprung in die heutige Zeit.

Neben dem prominenten Ex-Kommunarden waren als Diskutanten Gerhard Nechwatal, Ehe-, Familien- und Lebensberater der Diözese Eichstätt, der evangelische Stadtpfarrer Sieghart Schneider sowie Bernd Zengerle vom Haus der Jugend eingeladen. Die Moderation übernahmen die Geschichtsstudentinnen Lisa Margraf und Natalie Schlirf.

Bereits im ersten Themenblock zu Geschichte und Zukunft der Ehe machte Liebesprediger Langhans klar, dass er für diese Institution nur wenig übrig hat. Dank dem Kommunenleben habe er „verstanden, wie wenig Liebe in herkömmlichen Zweierbeziehungen passiert. Das ist jämmerliches Getue und hat mit wirklicher Liebe nichts zu tun“. Für ihn seien solche „Besitzbeziehungen“ nichts, so der 72-Jährige. „Wirkliche Liebe ist eine geistige Sache.“ Die Kommune 1 sei der Versuch gewesen, in liebevollerer Form zu leben: „Uns ging es um das wahre Menschsein, ein Liebesgefühl über mehrere Leute hinaus – nicht um Sex.“

Seit fast 40 Jahren lebt Langhans mittlerweile in einer Lebensgemeinschaft mit fünf Frauen. Ein gesellschaftliches Vorbild? „Na klar!“, rief Langhans und sorgte beim Publikum für lautes Gelächter.

Für seine Diskussionspartner ist der Langhans’sche Harem keine Alternative. „Die Ehe hat Zukunft, weil sie die menschliche Würde und Gottesebenbildlichkeit am meisten schätzt, birgt und ermöglicht“, sagte Pfarrer Schneider, selbst verheiratet und Vater von vier Kindern. Auch Pädagoge Bernd Zengerle glaubt an die Institution Ehe, meinte aber: „Das Modell ändert sich, die Ehe bleibt der Fixpunkt, aber sie öffnet sich für gewisse Freiheiten.“ Natürlich gehören Freiheiten zur Partnerschaft, bekräftigte Eheberater Gerhard Nechwatal, schloss aber an: „Eine gewisse Verbindlichkeit ist dennoch wichtig.“

In den folgenden Diskussionsblöcken zu „Liebe und Sex“ sowie „sexuelle Minderheiten“ wurden von Homosexualität, über masochistische Neigungen bis hin zur Liebe im Internet verschiedenste Themenbereiche angeschnitten. Jedoch mangelte es an Zeit, die durchaus interessanten Standpunkte zu vertiefen. Besonders Langhans verblüffte mit einer Lobeshymne auf Internetcommunities: „Durch Facebook bildet sich eine neue geistige Sphäre der Liebe, über das Netz ist das wirkliche Lieben und Menschsein möglich.“ Dafür erntete er Widerspruch von Pfarrer Schneider: „In Facebook empfinde ich keine wahre Freundschaft!“ Solche Momente der echten Diskussion blieben rar an diesem Abend. Für die größte Provokation sorgte ein Zuhörer: Ober er bei all der Verachtung für Zweierbeziehungen nicht Angst habe, im Alter allein zu sein, fragte er Langhans. „Das wird sehr viel besser laufen für mich! Ihr glaubt das nur nicht, weil ihr es nicht anders erlebt habt“, entgegnete die 68er-Ikone.

„Haben wir es mit einer Generation Porno zu tun“, wollten die Moderatorinnen zum Abschluss der Gesprächsrunde wissen. Falscher Umgang mit Sex sei ein Hilfeschrei Einzelner, aber auf keinen Fall ein allgemeines Merkmal der heutigen Jugend, meinte Zengerle, und Pfarrer Schneider stimmte zu: „Wir leben in einer Gesellschaft, in der Pornographie allgegenwärtig ist, doch die Jugendlichen sind nach wie vor offen und fragend.“

Dass die „Generation Porno“ zumindest an der KU nicht die Regel ist, zeigten die Geschichtsstudenten schon zu Beginn der Veranstaltung, als sie die Ergebnisse einer Umfrage unter 90 Studenten vorstellten. Für zwei Drittel der Befragten ist demnach lebenslange Treue wichtig, für mehr als 60 Prozent ist die Ehe ein erstrebenswertes Ziel. Fazit: Auch die Generation Internet sucht trotz Kommunen und Communities offenbar die klassische Liebe.

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