Nach Eichstätt verschleppt

In den 1940er Jahren unterhielt die SS in der Bischofsstadt ein Umsiedlungslager - für Kärtner Slowenen

17.08.2012 | Stand 03.12.2020, 1:10 Uhr
Trotz aller Widrigkeiten hatten die Kinder auch ihren Spaß. −Foto: Schaschl

Eichstätt (dk) Es war am 14. und 15. April 1942. Die Nationalsozialisten drangen im österreichischen Kärnten in die Häuser von 1075 Kärntner Slowenen ein, holten sie heraus und brachten die Menschen in ein großes Sammellager in Ebenthal. Für 917 von ihnen sollte es ein erzwungener Abschied von der Heimat werden, viele sollten sie nicht wiedersehen.

Nach Hesselberg bei Wassertrüdingen, Frauenaurach, Hagenbüchach, Renice bei Stettin oder auch Eichstätt sollte es gehen. „Volksfeinde“ waren die slowenischsprachigen Kärntner für die Machthaber des NS-Regimes. Sie hielten sich nicht an die ausgegebene Parole „Der Kärntner spricht Deutsch!“. Sie wollten es nicht.

Unter den Zwangs-Ausgesiedelten waren auch Katja Sturm, damals sechs Jahre alt, ihre drei Geschwister und die Familie von Johann Schaschl. Sie waren nur einige der rund 500 slowenisch sprechenden Kärntner Kinder, die ihre Heimat verlassen mussten – ohne nachdenken oder sich verabschieden zu können. Mit Erkennungsmarken ausgestattet brachen sie aus der Heimat auf, eine liegende Acht eingeprägt – politisch verdächtig.

Renice (Polen) und schließlich Eichstätt waren die Stationen der beiden Familien. Im November 1940 hatte das Provinzialat des Instituts der Englischen Fräulein die Niederlassung am Eichstätter Residenzplatz an die der SS angegliederte Volksdeutsche Mittelstelle vermietet – mit einer „Belegstärke von 200 Absiedlern“, wie es im Übergabeprotokoll zum Mietvertrag heißt. 460 Reichsmark hat der Orden Miete verlangt. Im August 1942 kam Johann Schaschl hier an. Der heute 80-Jährige hat noch ein genaues Bild vor Augen, als der Zug am Stadtbahnhof anhielt. „Wir setzten uns in Bewegung. Frauen, Kinder, ältere Männer, begleitet von bewaffneten Soldaten.“ Da hatten die Nationalsozialisten keine Rücksicht genommen: Der jüngste Vertriebene war 17 Tage, der älteste 88 Jahre alt.

Vor einem großen Klostertor habe der Zug angehalten – das Institut der Englischen Fräulein. Aber die Ordensfrauen hatten nicht das Sagen. „Ein junger SS-Mann gab uns laut zu verstehen, wie und was zu tun wäre.“ Nach Geschlechtern getrennt, wurden die Vertriebenen in Sälen untergebracht. Die „Schlabaken-Sprache“, wie der Lagerführer die Muttersprache der Kärntner bezeichnete, war fortan verboten. „Wir Kinder hatten nichts zu tun“, sagt Johann Schaschl.

Im Gegensatz zu den Erwachsenen: Sie wurden zur Zwangsarbeit herangezogen, etwa im Steinbruch. Geld gab es dafür keines, und besitzen durften die Vertriebenen es sowieso nicht: „Das war verboten.“ Auch den Bitten um Kleidung wurde nicht entsprochen: Zwei Jahre lang trugen die Kinder die Sachen, in denen sie aus ihren Häuser vertrieben worden waren. Bis zu jenem Tag, als Kleiderhaufen im Institut lagen. „Jedes Stück war blutig und mit dem Judenstern versehen.“ Kleidung von im KZ ermordeten jüdischen Männern und Frauen. Man habe gewusst, woher diese Kleider kamen, „auch als Zwölfjähriger“.

Die Mutter von Johann Schaschl, Maria, hat davon nicht viel mitbekommen: Lungentuberkulose. Sie war viel im Krankenhaus, wo sie am 12. Januar 1944 gestorben ist. Beerdigt wurde sie auf dem Eichstätter Ostenfriedhof – wo ihr Grab noch heute besteht. Kontakt zur einheimischen Bevölkerung hatten die slowenischsprachigen Kärntner wenig – auch wenn sie die Schwestern des Instituts immer wieder zum Gottesdienstbesuch nach draußen gelassen haben. „Diese Nonnen waren sehr gute Menschen“, erinnert sich Johann Schaschl. Im Gegensatz zum Lagerführer, den die Kinder schon von Anfang an als äußerst brutal erlebt haben. Im April 1945 war damit Schluss: Die Amerikaner zogen in Eichstätt ein. „Die SS-Gefolgschaften waren verschwunden“, weiß Johann Schaschl. Ende Mai, Anfang Juni schließlich war es für die Familie Schaschl soweit: Der Zug Richtung Kärnten setzte sich in Bewegung.

Eichstätt war aber fortan nicht vergessen: Das Brüderpaar Johann und Josef kam bis heute immer und immer wieder nach Eichstätt. „Die Erinnerungen an diese Stadt ist in unserer Familie sehr positiv besetzt“, unterstreicht Johann Schaschl.