Gaimersheim
Musikalische Erinnerungen

Weihnachtskonzert der evangelischen Kantorei in Gaimersheim mit etwa 120 Jahre altem Harmonium

08.12.2017 | Stand 02.12.2020, 17:06 Uhr
Günther Bernhardt präsentiert das Harmonium, das normalerweise im Vorraum der evangelischen Friedenskirche in Gaimersheim steht, beim Weihnachtskonzert aber zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder zum Einsatz kommt. −Foto: Stephan, Tanja, KÃ?¶sching

Gaimersheim (DK) Zum ersten Mal seit 46 Jahren erklingt das Harmonium wieder in der evangelischen Friedenskirche in Gaimersheim. Leiter Günther Bernhardt hat es für das Weihnachtskonzert der Kantorei an diesem Sonntag reaktiviert.

Das Harmonium wird nur eine kleine Rolle als eines von vielen Instrumenten im Orchester einnehmen - und doch ist es für Günther Bernhardt eine "Riesenfreude, dass wir es behalten haben und jetzt wieder einsetzen können". Der Kantor schwelgt ein wenig in Erinnerungen, als er den Deckel des Harmoniums im Vorraum der evangelischen Friedenskirche aufklappt und über die Tastatur streicht. Schließlich hat Bernhardt, der am zweiten Weihnachtsfeiertag seinen 73. Geburtstag feiert, lange Zeit selbst darauf musiziert. "Jetzt dient es eigentlich nur noch als Erinnerung an die alte Kirche."

Mit der alten Kirche meint Bernhardt das 1957 eröffnete evangelische Gotteshaus am Kraiberg. "Vor 60 Jahren war das Harmonium zur Einweihung als erstes Instrument hier im Einsatz", erzählt Bernhardt. "Es gab ja keine Orgel." Es sei damals dort gestanden, wo heute das Pfarrbüro im Pfarrhaus der 1999 erweiterten Friedenskirche zu finden ist. Johanna Kißling sei die Erste gewesen, die darauf die Gottesdienste musikalisch begleitete, "doch bald konnte sie das nicht mehr".

Denn laut Bernhardt ist es körperlich anstrengend, ein Harmonium zu spielen. Es zählt zu den sogenannten Aerophonen, bei denen wie bei einer Orgel Luftdruck über Tretá ?schemel in einer Art Blasebalg erzeugt wird, der wiederum für die Tonentstehung notwendig ist. "Da muss man wie bei einer Nähmaschine und unabhängig vom Rhythmus kräftig in die Pedale treten, damit Wind in den Blasebalg kommt", erklärt der Kantor.

Bernhardt hatte wohl schon als junger Bursche ein Talent dafür, denn 1958 - im Alter von 14 Jahren - übernahm er das Harmonium am Kraiberg. "Ich war damals Konfirmand, und jeder hat eine Aufgabe bekommen", erinnert er sich. Seiner sei eben der musikalische Auftrag gewesen. "Mein Religionslehrer an der Mittelschule in Ingolstadt, der gleichzeitig Vikar in Gaimersheim war, hat das so gelenkt, dass ich Weihnachten 1958 zum ersten Mal hier gespielt habe."

Dieser Posten blieb dem jungen Bernhardt bis Silvester 1971. "Seither hat kaum einer mehr darauf gespielt", sagt der Kantor, der das Harmonium als Mitglied des Kirchenvorstands damals durch eine elektrische Lipp-Orgel mit einer Pfeifenattrappe ersetzte. "Das Harmonium ist aus Holz, und wenn zum Beispiel an Weihnachten viele Menschen in die Kirche kamen, sind die Töne wegen der Luftfeuchtigkeit ständig hängengeblieben", berichtet Bernhardt. Oft habe er sich spontan mit einer Organetta - einer kleinen Tischorgel - beholfen, doch das Lipp-Fabrikat sei letztlich eine witterungs- und temperaturunabhängige Alternative gewesen. 1983 wurde diese laut Bernhardt wiederum durch die "erste richtige Orgel" ausgetauscht. "Das war eine Walcker-Orgel, und zur Einweihung hat Reinhold Meiser als junger Bua zum ersten Mal darauf gespielt", erinnert sich der Kantor an den Auftritt des heutigen Kirchenmusikdirektors. Im Zuge des Kirchenneubaus sei schließlich eine Jann-Orgel eingebaut worden. "Aber das Harmonium ist immer noch da", freut sich Bernhardt.

Und das dürfte etwa 120 Jahre alt sein. Vor Kurzem hat der Kantor die Rückseite des Insá ?truments entfernt, sodass er einen Blick auf die im Inneren angebrachte Seriennummer werfen konnte. Diese - sowie die Aussage eines Orgelbauers - verrieten ihm, dass das Mannborg-Harmonium etwa um die Jahrhundertwende angefertigt worden sein muss. "Von dieser Art gibt es viele im Internet zu kaufen, aber die meisten davon sind kaputt", sagt er.

Nicht so das Gaimersheimer Exemplar. Als Bernhardt die "Hirtenmusik" aus Heinrich von Herzogenbergs Oratorium "Die Geburt Christi" von 1894 entdeckt und festgestellt hatte, dass die Orchesterpartitur unüblicherweise ein Harmonium statt einer Orgel oder eines Cembalos vorsieht, hatte er nur einen Gedanken: "Das machen wir auch." Er habe sich sofort hingesetzt und getestet, ob das Harmonium nach all den Jahren noch funktioniert. "Es sind vor allem lange Akkorde zu halten", sagt Bernhardt. "Das geht schon."

Nun wird das hölzerne Insá ?trument ausgerechnet im Jubiläumsjahr des einstigen Neubaus der evangelischen Kirche am Kraiberg aus seinem langen Schlaf geweckt. Für dieses außergewöhnliche Ereignis im Zuge des Weihnachtskonzerts der Kantorei wird das Harmonium in den Altarraum gebracht, wo es - zwischen den Liedern des Chors - als Teil des Orchesters von Frank Fischer gespielt wird. Bernhardt erhofft sich davon vor allem einen Moment der Nostalgie: "Vielleicht gibt es Leute, die noch die Kircheneinweihung erlebt haben und sagen werden: ,Schau an, das war das erste Instrument.'"

W E I H N A C H T S K O N Z E R T

Das Weihnachtskonzert der evangelischen Kantorei in Gaimersheim findet an diesem Sonntag um 19 Uhr in der Friedenskirche statt. Mitwirkende sind der Gesamt- und Männerchor sowie der Projektchor Piccantus. Neben Musikern aus der Region spielt außerdem das Orchester der Kantorei, das aus Mitgliedern des Ingolstädter Kammerorchesters besteht.

Auf dem Programm steht eine Mischung aus weihnachtlicher Volksmusik, Chorälen, Stücken aus der Jazz-, Gospel- und Popmusik, geistlichen Werken sowie Auszügen aus Kantaten und Oratorien. Hans-Christoph Oelker, Mitglied der Landessynode, liest Texte von Hanns Dieter Hüsch. Einlass ist um 18.30 Uhr. Der Eintritt ist frei, Spenden für die Kirchenmusik werden erbeten. | DK