Ingolstadt (DK) Seinem ihm vorauseilenden Ruf als international gefeierter "Rising Star" der jungen Klavierszene machte der erst 24-jährige Pianist Aaron Pilsan mit seinem Soloabend im Theaterfestsaal alle Ehre - und setzte damit gleichzeitig einen brillanten Schlusspunkt unter die diesjährige Saison des Konzertvereins.
Sobald er die Bühne betritt, sprüht der gebürtige Vorarlberger vor Esprit. Das tut er zum Auftakt in der letzten aus Haydns späten Londoner Sonaten: Geradezu spitzbübisch-verschmitzt fasst er hier die eröffnenden Dreiklangsbrechungen an, kleidet dieses zunächst fast humoristisch trockene Motivgerüst mehr und mehr aus mit einem schier unerschöpflichen Spektrum an harmonischer Farbigkeit, filigraner Phrasierungskunst und üppigem Variationsreichtum. Hin und wieder schaut er verzückt nach oben, lächelt in sich hinein, lehnt sich genießerisch zurück, um sich doch gleich wieder hingebungsvoll über die Tasten zu beugen.
Noch während der Pausen schwingt seine linke Hand rhythmisch im Takt über der Klaviatur nach. Die Musik strömt nicht nur aus seinen Fingern, sondern spiegelt sich auch bis ins kleinste Detail auf seinem Gesicht wider. Im zartesten Piano tupft er die fragilen Wendungen des Adagio hin, ziert in äußerst lyrisch ornamentierter Artikulation die kantilenenhaften Passagen aus, lässt im Finalsatz den verblüffend subversiv daherkommenden Phrasen, den schroffen Kanten, wuchtigen Sprüngen, stürmischen Finten und koketten Täuschungen freien Lauf, bis hin zur schalkhaft-zurückgenommen aufblitzenden Schlusspointe.
Seine ganze expressive Tragweite stellt Pilsan bei Beethovens Klaviersonate op. 10/3 unter Beweis. Alle Dramatik und Melancholie düster ausschöpfend, schürft er im Largo statisch verharrend bis intensiv ausdeutend in substanzielle Tiefen, verschärft dadurch umso stärker den Kontrast zum vorausgegangenen Presto. Wie er das mit schier improvisatorisch anmutender Spielfreude, mit ungestümer Frische, mit pianistischer Extrovertiertheit zu nehmen versteht, ist einfach mitreißend.
Die schlichte Schönheit wie auch den polternden Witz des Menuetts treibt der charismatische Österreicher danach zum Rondo in einem wahren Katz- und Mausspiel auf die Spitze: Mit geistreich-kapriziösem Anschlag lockt er die Zuhörer gleich einem feinst nuancierten Frage-Antwort-Rätsel immer wieder auf "falsche" Fährten, ehe diese wie im Sande verlaufenden Spuren in einer lakonischen Geste voll purer Innerlichkeit verklingen.
Ganz anders bei den Tongedichten "Métopes" des polnischen Komponisten Karol Szymanowski: Nun lässt Aaron Pilsan sich und das Publikum forttragen von den impressionistisch durchtränkten Schwingungen der drei hypnotisch-launischen Poem-Miniaturen. Nahezu durchsichtig, dann wieder ganz dicht gesponnen experimentiert er mit den Klangschattierungen, in denen verschiedene mythologische Frauenfiguren aus der Odysseus-Sage schillernd charakterisiert werden.
So verleiht er anhand von feinen Melismen- und Arabesken-Ketten, umspielt von wellenartig verebbenden Trillern und Tremoli, den lockenden Sirenen lebendige Gestalt, webt mit atmosphärischem Einsatz des Pedals einen subtilen Klangschleier. Das Bild der Nymphe Calypso zeichnet er im metaphorisch gespiegelten Changieren zwischen suggestiver Erotik und träumerischer Nostalgie, wohingegen der schmeichelnd-verführerische Tanz von Königstochter Nausicaa [sic] ihn selbst zum eskalierenden Stampfen mit dem Fuß verleitet. Ätherisch leuchtende Schwerelosigkeit, gepaart mit flirrend figurierter Transparenz.
Die gesamte schwärmerisch-schwelgende, sich bis ins Leidenschaftliche steigernde Gefühlspalette fächert Pilsan an Franz Liszts romantisch koloriertem "Sonetto 47 del Petrarca" auf, einem synkopisch-schwebend vertonten Liebesgedicht des Renaissance-Poeten.
Als krönender Abschluss dann - ebenfalls von "Hexenmeister" Liszt - der erste Mephisto-Walzer. Freilich setzt auch Aron Pilsan dabei ganz auf dessen immanent rauschhafte Virtuosität - durchdringt sie jedoch zugleich mit rasender Diabolik, aufgeheizter Sinnlichkeit, die er sogar in innige Zärtlichkeit oder teuflisch drohendes Unheil zu verwandeln weiß. Nicht nur ihm treibt dieser Parforceritt zwischen ungezügelten Presto-Oktaven und weit ausgreifenden Arpeggi die Schweißperlen auf die Stirn.
Nahtlos stimmig entfesselt er anhand der Zugabe sogar noch eine weitere Lisztsche "Wilde Jagd" an den Tasten, bevor er sich mit einem beruhigenden Gute-Nacht-Gruß in Form eines intimen Schubert-Impromptus endgültig verabschieden kann. Immer wieder frenetisch aufbrausender Beifall für einen der vielversprechendsten Klavierkünstler seiner Generation, der bereits jetzt die musikalische Ästhetik der Emotionen meisterhaft beherrscht.
Heike Haberl
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