München
Migration und Museum

Wie können Flucht und Heimat im Museum dargestellt werden? - Ausstellungen in München und Bremerhafen

24.10.2018 | Stand 23.09.2023, 4:46 Uhr
Rudi Dix: Italienische Gastarbeiter in Baracken, 1963, −Foto: Stadtarchiv München

München/Bremerhaven (DK) Das 20. Jahrhundert wird als "Jahrhundert der Flüchtlinge" bezeichnet.

Und Heimat ist "eher ein Lebensgefühl und weniger eine geografische Zuschreibung", erläutert Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter in dem Ausstellungskatalog "Migration bewegt die Stadt", der vom Stadtmuseum und vom Stadtarchiv der Landeshauptstadt erarbeitet wurde und jetzt eine gleichnamige Ausstellung im Münchner Stadtmuseum begleitet. Wie aber lässt sich Aufbruch aus der Heimat und Beheimatung in der Fremde im Museum darstellen?

Diese Frage stellte man sich auch in Bremerhaven, wo zwischen 1830 und 1974 mehr als sieben Millionen Auswanderer eine Schiffspassage in die USA, nach Kanada, Brasilien, Argentinien und Australien antraten. Deshalb eröffnete hier 2005 das "Deutsche Auswandererhaus", das 2012 erweitert wurde, um auch 300 Jahre Einwanderungsgeschichte nach Deutschland darstellen zu können. Die Besucher bekommen an der Museumskasse ihren persönlichen "Boarding Pass", und mit dieser elektronischen Eintrittskarte gehen sie in den Innenräumen eines Schiffes, in Kontor-Räumen und in der Halle des New Yorker Bahnhofs auf eine Spuren-Suche nach verbürgten Lebensgeschichten. Denn Geschichte wird immer nur konkret anhand von Menschen - mit ihren Namen, Gesichtern, Biografien.

Sobald man hier eintritt, erlebt man eine Präsentation, die unter die Haut geht: Wer im Halbdunkeln vor einer genieteten Schiffswand steht, die Geräusche des Hafens hört und zwischen Menschen-Puppen in der Kleidung ihrer Zeit deren Geschichten zuhört, der erlebt das Herzklopfen derjenigen, die in eine ungewisse Zukunft aufbrachen. Und im Erweiterungsbau befindet sich der Besucher in der Bundesrepublik des Jahres 1973, als der Anwerbestopp für ausländische Arbeitskräfte beschlossen wurde. In Eisdiele und im Kiosk, im Friseurladen und Reisebüro erhalten die Besucher Antworten auf die Fragen: Was ist Heimat? Was bewahren Zuwanderer von ihrer alten Heimat auf?

Hinter dem Deutschen Auswandererhaus, das zu den besten bundesdeutschen Museen zählt, steht ein Team rund um die Migrationsforscherin Simone Eick. Gesucht wurden in einer zweijähriger Forschungsarbeit die Geschichten von Menschen in ganz Deutschland und daraus entwickelte man ein museales Konzept, das die Herzen berührt und den Kopf zur Erkenntnis führt, "dass fast jeder einen Einwanderer, Flüchtling oder Vertriebenen unter seinen eigenen Vorfahren finden kann", so Eick.

In München leben heute 400000 Menschen mit ausländischem Pass, das sind 28,3 Prozent der Bürger. "München ist ? eine Einwanderungsstadt", konstatierte bereits 1972 der damalige Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel. Diese Migration zu erforschen forderte am 15. Dezember 2009 ein erster Antrag der Stadtratsfraktion Bündnis 90/Die Grünen - rosa Liste, dann ein zweiter Antrag 2012, der die städtische Aufgabe beschreibt, "Migrationsgeschichte dauerhaft zu erforschen, zu sammeln und sichtbar zu machen". Offiziell startete das Projekt von Stadtmuseum und Stadtarchiv im Februar 2015. Seither hat das mehrköpfige Kuratoren-Team um Ursula Eymold vom Stadtmuseum und Andreas Heusler vom Stadtarchiv eine Fülle an Material zusammengetragen, das nun in dem Katalog unter dem Titel "Migration bewegt die Stadt" gebündelt wird. In den Blick genommen werden sowohl die Gastarbeiter, also Türken, Italiener und Jugoslawen mit ihren Beiträgen zur Stadtentwicklung, als auch die Flüchtlinge der Gegenwart. Darüber hinaus hat man sich entschieden, in der Dauerausstellung "Typisch München" sogenannte "Interventionen" einzurichten. Dafür wurden zwischen den Exponaten zur Stadtgeschichte gelbe Baugerüste installiert, die den "Prozess der Erneuerung" in der Gesellschaft symbolisieren sollen. Dort werden dann in Vitrinen ausgewählte Objekte präsentiert, wobei Texttafeln, Video-Interviews und Tablets Hintergrund-Informationen liefern.
Ausgestellt ist zum Beispiel eine "blaue Einmal-Decke", wie sie Obdachlose und Flüchtlinge in Unterkünften erhalten, oder eine Plastikbox mit dem "Essen vom Amt" - Konserven, Nudeln und Getränke, die an Geflüchtete ausgegeben wurde, bis man 2014 auf Bestellscheine mit Wahlmöglichkeiten umstellte. Gezeigt werden also überwiegend Dinge. Das gilt auch für das Brautkleid, das Mithat Sönmezeler seiner türkischen Braut 1968 aus München mitbrachte - ausgestellt ist das Objekt, aber es fehlt ein Foto der Braut, es fehlen die Gesichter der Menschen.
Unterschwellig ist ein anklagender Ton an vielen Stationen spürbar. So führt ein Film von 1972 vor Augen, dass am Münchner Hauptbahnhof jugoslawische Arbeiterinnen und Arbeiter direkt aus ihren Sonderzügen in einen unterirdischen Raum, einen ehemaligen Luftschutzbunker, geleitet wurde, wo sie nach den Nummern ihres Arbeitsvertrages zur Weiterfahrt in Münchner Betriebe aufgerufen wurden. Von dem Privileg eines Arbeitsvertrages würden heute manche Bulgaren und Rumänen träumen, die im Münchner Bahnhofsviertel auf Arbeit warten.

Was zu kurz kommt in diesen "eingebauten" Stationen sind konkrete Biografien von Menschen, mit allen Auf- und Abstiegen des Lebens. Wer kam als Hilfsarbeiter am Bahnhof an und hat später seine eigene Eisdiele eröffnet? Wer wurde Vorarbeiter bei BMW - und brachte dann seinen Sohn dort unter? Wer hat aufgegeben und ist in die Heimat zurückgekehrt? Die Lebensgeschichten hinter den Objekten könnten berühren und den Gedanken aufkommen lassen: "Das hätte auch ich sein können. "

Bis zum 29. Dezember im Münchner Stadtmuseum, St.-Jakobs-Platz 1, geöffnet täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr. Deutsches Auswandererhaus Bremerhaven, Columbusstraße 65, täglich 10 bis 17 Uhr.

Annette Krauß