"Mich interessiert mein Blutbild, nicht das Ortsbild"

09.11.2006 | Stand 03.12.2020, 7:21 Uhr

Neuburg (DK) Ängste vor den gesundheitlichen Folgen des Mobilfunks standen am Mittwochabend bei der Neuburger Bürgerversammlung im Vordergrund. Die Anwesenden forderten Oberbürgermeister und Stadträte auf, zu handeln.

Die Handys sind allgegenwärtig, die Sendeanlagen auch. 50 Milliarden Euro hat der Staat am Verkauf der UMTS-Lizenzen verdient, nun wollen die Mobilfunkbetreiber die Früchte ihrer Arbeit einfahren. Doch in der Bevölkerung mehren sich Ängste vor der gepulsten Strahlung. Der Bund Naturschutz hatte am 17. Oktober mit Siegfried Zwerenz einen profunden Mobilfunkgegner zu Gast. Die Nachwirkungen bekamen Oberbürgermeister Bernhard Gmehling und die Stadtverwaltung am Mittwochabend bei der Bürgerversammlung im Kolpingsaal zu hören. Von mehreren Seiten wurde die Forderung erhoben, die Stadt müsse die Errichtung von Sendeanlagen verhindern. Doch das ist nicht einfach, nachdem die Kommunen kaum Einwirkungsmöglichkeiten haben. Unterschreiten die Anlagen eine Höhe von zehn Metern, sind sie genehmigungsfrei. Höhere können aber von der Stadtverwaltung nicht einfach abgelehnt werden. Obendrein sind die Mobilfunkbetreiber nicht auf öffentliche Grundstücke angewiesen, sondern können mit jedem Privatmann Verträge abschließen. Sendeanlagen über eine Gestaltungssatzung zu verhindern, ist nicht immer möglich, wie Stadtjurist Ralf Rick den Anwesenden erläuterte. "Die Gestaltungssatzung ist nur dazu da, ein herausgehobenes Ortsbild zu schützen. In einem Gewerbegebiet kann man nicht das Ortsbild schützen", erklärte er. "Mich interessiert mein Blutbild, nicht das Ortsbild" stellte Walter Schäpe unter dem Applaus der Zuhörer fest. Ulrich Mayer vom Bund Naturschutz hat nach eigenen Worten "weit über 1000 Euro" ausgegeben, um in seinen Wohnräumen Schutzmaßnahmen gegen die Mobilfunkstrahlung zu ergreifen. "Über den Gemeindetag können Sie etwas erreichen. Die Strahlenbelastung in fast jedem Haus wird uns künftig ein wahnsinniges Geld kosten", sagte Mayer an die Adresse des Oberbürgermeisters.

Bernhard Gmehling zeigte durchaus Verständnis für die Sorgen der Mobilfunkgegner. Immerhin hat die Stadt Neuburg 40 000 Euro für ein Gutachten ausgegeben, mit dem Standorte für Sendeanlagen außerhalb der Wohngebiete gesucht wurden. Gutachter Johannes Kamp, Geschäftsführer der enorm GmbH München, erklärte im Rahmen der Versammlung die einzelnen Standorte: Am Gleis nördlich von Bruck, an der B 16 zwischen Sehensand und Bittenbrunn, an der Kläranlage in der Grünauer Straße, im Wald zwischen Bergen und Neuburg und andere mehr. Aber: "Ganz allein von außen lässt sich eine Stadt wie Neuburg nicht versorgen", betonte Kamp. Ein weiterer Standort ist mithin auf dem Neuburger Schloss, ein anderer auf der Firma Sonax. Hinzu könnten noch etliche andere kommen, wenn es den Mobilfunkbetreibern gelingt, mit Privatleuten ins Geschäft zu kommen.

Zum Teil sind Bürger von Sendeanlagen umgeben, deren Strahlungsintensität sie nicht kennen. In der Gustav-Philipp-Straße wurde eine Strahlung gemessen, die zwei Prozent des deutschen Grenzwertes erreicht. Der ist allerdings deutlich höher als im benachbarten Ausland und überschreitet den Salzburger Grenzwert um 130 Prozent. Was sagt das also aus? "Ich kann nicht mit Grenzwerten daherkommen, die außerhalb von allem sind", ereiferte sich Ulrich Mayer, der sich beim Bund Naturschutz in die Materie hineingekniet hat. Der Neuburger Naturschutz-Vorsitzende Roland Keller forderte, keine kommunalen Grundstücke für Sendemasten zur Verfügung zu stellen. Was wäre damit gewonnen? Kommunale Grundstücke können nach Darstellung des OB im Vergleich mit privaten Hausdächern das kleinere Übel sein. Um gezielter auswählen zu können, wurde das enorm-Gutachten erstellt. Gmehling räumte ein, man hätte über den umstrittenen BayWa-Sendemasten im Vorfeld informieren sollen. Geändert hätte dies aber laut OB nichts.

Mehrfach verwies Gmehling an die Adresse Berlin. Dort würden die Gesetze gemacht. "Wir müssen uns an die Bundesregierung wenden und versuchen, die Grenzwerte zu senken. Wir sind nicht das gesetzgebende Organ." Der OB appellierte auch an die Verbraucher selbst. "Je mehr telefoniert wird, um so höher ist der Bedarf an Sendeleistung." Ihn selbst störe der Sender an der Augsburger Straße furchtbar. "Ich unterschreibe ihnen eine Resolution sofort. Geben Sie sie her und ich unterschreibe", versicherte Gmehling den Mobilfunkgegnern. Möglicherweise wird der OB bald beim Wort genommen, denn eine Zuhörerin beantragte, die Stadtverwaltung solle eine Resolution an die Bundesregierung ausarbeiten.