Meeresraubtier als Showstar - Orca-Expertin will die Auswilderung des Weibchens Morgan erreichen

14.08.2016 | Stand 12.09.2016, 4:33 Uhr

Orcas sind mit bis zu neun Metern Körperlänge die größten Raubtiere. Die neuseeländische Orca-Expertin Ingrid N. Visser setzt sich dafür ein, dass die Zahnwale nicht in Freizeitparks gehalten werden. Ein Beispielsfall dafür ist das Orca-Weibchen Morgan.

Im Englischen heißt der Orca killer whale, Killerwal. Fischer hatten beobachtet, wie Orcas Robben und Delfine auf eine spielerisch anmutende Weise jagten und töteten. Auch Katzen spielen mit ihrer Beute. Aber würde man deshalb seinen Stubentiger als Killer bezeichnen? Doch im Gegensatz zum kleinen Haustier ist ein Orca, als dominantes Meeresraubtier, theoretisch für Schwimmer und Surfer durchaus gefährlich. Die Neuseeländerin Ingrid N. Visser, promovierte Biologin, Orca-Expertin und Mitbegründerin der Free Morgan Foundation, hat für Forschungszwecke eine entsprechende Erlaubnis und schwamm bereits häufig mit wilden Orcas im Meer. Sie muss es wissen. Stellen diese Tiere für Menschen eine Bedrohung dar oder kann man sie anfassen und sogar auf ihnen reiten, wie das in den Shows in Meeres-Themenparks häufig suggeriert wird?

„Jedem muss klar sein, dass Orcas die größten Raubtiere sind.“ Die Biologin lacht. „Sie fressen Haie zum Frühstück.“ Dann wird ihr Gesichtsausdruck ernst. „Man muss Orcas mit Respekt behandeln. Es gibt keinen Beleg dafür, dass jemals ein Orca in freier Natur einen Menschen angegriffen hat. Doch durch Orcas in Freizeitparks bei SeaWorld (USA) und im Loro Parque (Spanien) wurden insgesamt bereits vier Menschen getötet.“

Die Erklärung liegt für Visser auf der Hand. Die Lebensbedingungen im Meer und die in Gefangenschaft hätten praktisch keine Übereinstimmungen.

Denkt man an das grenzenlose Meer, die Artenvielfalt, an die unterschiedlichen Umgebungen, Wellen und Strömungen, kann man das Argument der Forscherin leicht nachvollziehen. Ein unnatürliches Leben führe zu einem unnatürlichen Verhalten, schlussfolgert sie und bezeichnet Orcas, die man in zirkusähnlichen Shows in Freizeitparks sieht, als Marionetten.

Für manche Wildtiere scheint ein Eingreifen des Menschen die letzte Rettung zu sein. 2010 entdeckte man in der niederländischen Nordsee ein geschwächtes Orca-Weibchen. Man taufte das Tier Morgan, es wurde mit einer Sondererlaubnis gefangen und man brachte es zur Rehabilitation ins Delfinarium nach Harderwijk in Holland. Morgan war zu jung, um ohne fremde Hilfe zu überleben. „Nein“, unterbricht die Wissenschaftlerin, „das ist nicht korrekt. Das war nur eine Ausrede.“ Überraschenderweise zog das Team aus Harderwijk nicht die Expertin zur Beratung hinzu. Trotzdem stellte Ingrid Visser seinerzeit dem Delfinarium diverse wissenschaftliche Unterlagen zur Verfügung. Tabellen von Größe und Alter widerlegten die Schätzung des Delfinariums. „Sie war damals niemals erst 18 Monate alt, wie von den Delfinarienbetreibern, behauptet wurde, eher drei oder vier Jahre, vielleicht sogar schon fünf.“ Man behauptete, dass sie von Muttermilch abhängig sei, versuchte jedoch nie, dem Tier Milch zu geben. Stattdessen fütterte man Morgan von Beginn an über Wasser mit totem Fisch. Morgan erholte sich schnell. „Trotzdem sperrte man sie weiterhin in ein winziges Becken und lehrte sie Tricks. Bei dem Gerichtsverfahren, das über ihr Schicksal entschied, heuchelte man dann Bedauern, weil sie sich angeblich nicht mehr natürlich verhalte.“ Weiterhin wurde behauptet, dass Morgans Familie nicht gefunden werden konnte.

Den weiteren Ausschlag für die Entscheidung gegen Morgans Freilassung gab ein kurzfristig bekannt gegebenes Untersuchungsergebnis der Delfinarienbetreiber, wonach Morgan eine Hörschwäche habe oder sogar taub sei. Eine Untersuchung des Tieres durch unabhängige Experten wurde indessen mehrfach beantragt. Jedoch wurden diese Anträge stets abgewiesen oder blieben unbeantwortet, obwohl sich viele namhafte Orca-Experten und Tierschutzorganisationen für Morgan einsetzten.
 
Inzwischen lebt das Orca-Weibchen im Loro-Park (Loro Parque) auf Teneriffa und ist Bestandteil der zirkusähnlichen Unterhaltungsshow. „Jetzt, wo die Betreiber Morgan zur Zucht verwenden möchten, räumen sie ein, dass sie doch viel älter sei als zunächst angenommen. Man verdreht die Fakten, immer zum Nachteil von Morgan“, beklagt Visser. „Man hätte sie nie in ein Becken sperren dürfen. Selbst falls Morgan komplett taub wäre, könnte sie im Meer in der Gemeinschaft durchaus überleben“, erklärt Ingrid Visser und nennt mehrere Beispiele, bei denen wilde Meeressäuger mit Behinderung durch die Hilfe von Artgenossen gut zurechtkommen.

Ein Meeresgehege sei nach wie vor eine Option, zumal man tatsächlich Morgans Familie in Norwegen anhand der spezifischen Rufe ausfindig gemacht hat. Bei Tagestouren könnte Morgan Kontakt zu ihnen aufnehmen. Ingrid Visser beendet das Thema mit einem Vorwurf: „Von Anfang an hat man eigentlich alles getan, um Morgans Wiederauswilderung zu verhindern.“ Bedenkt man, dass der Marktwert des Tieres bei seiner Gerichtsverhandlung auf 15 Millionen Euro geschätzt wurde, könnte die Biologin mit ihrer Einschätzung womöglich recht haben.

Angesprochen auf die zunehmende Verschlechterung des natürlichen Lebensraumes der Meeressäuger appelliert die Biologin an die Verbraucher: „Verzichten Sie auf Plastiktüten und essen Sie weniger Fisch.“ Damit verweist sie auf die Verschmutzung der Meere und die gnadenlose Überfischung.

Auf die abschließende Frage, was Orcas für sie selber bedeuten, antwortet Ingrid Visser mit einem schelmischen Lächeln: „Einfach alles! Sie sind mein Leben!“