Mayrs Germanien-Oper für Rom

Weltersteinspielung von Simon Mayrs "I Cherusci" bei einer konzertanten Aufführung in Neuburg an der Donau

04.08.2020 | Stand 02.12.2020, 10:50 Uhr

Neuburg - Mit Heinrich von Kleists Schauspiel "Die Hermannschlacht" hat die am Teatro Argentina in Rom uraufgeführte Oper "I Cherusci" (Die Cherusker) nur das Entstehungsjahr 1808 gemeinsam.

In letzterer gibt es zwar auch eine T(h)usnelda, aber keinen Cherusker Hermann und erst recht keine Varus-Schlacht. Stattdessen entkommt die vermeintliche Cheruskerin Tusnelda ihrer Opferung durch den markomannischen Fürsten Treuta, weil dieser in ihr seine an die Feinde verlorene Tochter erkennt. Also findet Tusneldas Herzensbund mit dem als Held und Harfenspieler unvergleichlichen Tamaro am Ende doch noch beseligende Erfüllung.

In der immer eindrucksvolleren Reihe von Weltersteinspielungen aus dem Oeuvre des in Mendorf geborenen Simon Mayr (1763-1845) durch den Ingolstädter Dirigenten Franz Hauk ist dieses "dramma per musica"-Werk als Vertonung des während Napoleons Europa-Feldzügen beliebten Sujets eine besondere Station. Vor Kurzem wurde die bei der konzertanten Aufführung im Neuburger Kongregationssaal 2016 entstandene Aufnahme des melodisch und harmonisch üppigen Werkes bei Naxos als CD veröffentlicht: Concerto de Bassus und der Simon-Mayr-Chor meistern alle Anforderungen beglückend, das Solisten-Ensemble überstrahlt den Eindruck einiger in den Ensembles zu vorsichtig genommenen Höhentorpedos mit rühmenswertem Gestaltungsvermögen. Die zweieinhalb Stunden sind auch für Hörer, die mit dem Opernschaffen dieser von Beethoven überstrahlten Komponisten-Generation wenig vertraut sind, spannend.

Bei der Vertonung des Librettos von Gaëtano Rossi hatte sich Mayr von der italienischen Musikdramaturgie des 18. Jahrhunderts gelöst und die oft mehrsätzigen Nummern mit formalem Variantenreichtum in Reihe gebracht. Gewiss lassen sich einige seiner Opern bis "Medea in Corinto" und "Le due duchesse" wie ein roter Faden durchziehende Melodien erkennen. Das ist angesichts der damaligen Produktionsgepflogenheiten und des Zwangs zu erhöhtem Arbeits- und Probentempo nicht verwunderlich. Wohl aber begeistern die brillante orchestrale Umhüllung mitsamt wirkungsvoller Flöten- und Violinsoli. Mayr behandelte seine Musiker mit ebenso vielseitiger Kreativität wie neben ihm Rossini.

Weniger die mit einem Primadonnen-Part bedachte Tusnelda (Yvonne Prentki) als ihr von Mayr zum heroischen Tenor gemachter Vater Treuta (Markus Schäfer) und ihr Liebhaber Tamaro (Andrea Lauren Brown) sind die bemerkenswerten Figuren, auch weil Mayr den Part des Tamaro für eine Sopranistin in vergleichbar hoher Lage komponierte wie Tusnelda für die Sängerin Charlotte Henriette Häser aus Leipzig.

Für seine Hauptcharaktere fand Mayr musikalische Gestaltungsmittel, die lange Zeit Rossini zugesprochen wurden. Tatsächlich wirft diese Partitur ihre lange Schatten bis zu anderen nördlich der Alpen spielenden Belcanto-Opern. An den mit Harfenvorspiel eingeleiteten Schlussgesang muss sich Rossini bei der Komposition der Barden-Hymne in "La donna del lago" (1819) erinnert haben, und noch Bellini verwendete in seiner im heidnischen Gallien spielenden "Norma" (1831) von Mayr inspirierte Begleitfiguren. All das zeigt die Einspielung nach der kritischen Notenausgabe mit konzertierender Agilität und gewinnender Ensemble-Dynamik.

DK/Foto: Naxos


Johann Simon Mayr (1763-1845): I Cherusci. Dramma per musica in due atti (1808), Naxos 8.660399-400. Kritische Edition von Franz Hauk und Manfred Hößl.