Ingolstadt
Lulu, allerseits!

"Wir spinnen auf hohem Niveau": Schlaraffia Ingoldia feierte das Hundertjährige

15.04.2018 | Stand 02.12.2020, 16:33 Uhr
Zeremonien als große Gaudi: Die Schlaraffen schritten am Samstagabend im Festsaal gewohnt fröhlich und selbstironisch zur Tat. −Foto: Eberl

Ingolstadt (DK) Diese Ritter der Freundschaft kennen wahrlich keine Furcht. Weder vor fragenden Blicken Uneingeweihter, noch vor Spott. Hunderte Herren, meist reiferen Alters, setzen sich auf das Kommando "Das Reych rüste sich. " bunte Kappen auf, an denen Orden, Wappen oder auch mal edle Fuchsschwänze baumeln.

 Die Kopfbedeckungen - Helme genannt - sind farblich wie thematisch perfekt auf die langen Umhänge abgestimmt. Mit Standarten marschieren die Männer zur Musik des "Reychsorchesters" ein - begrüßt von ihren Freunden, die immerfort "Lulu. " rufen. Was man halt so macht als humorbegabter gesetzter Herr.

Zumindest, wenn man bei der Schlaraffia ist. Eine Gesellschaft mit Mitgliedern auf der ganzen Welt, die in nie nachlassender jugendlicher Begeisterung drei Werte pflegen: Freundschaft, Humor und Kunst. Gespräche über Politik, Geld und Berufe im bürgerlichen Leben sind verboten, die geselligen Sitzungen, Sippungen genannt, sollen ja eine Gaudi werden. Die Rituale, Symbole und Titel der Schlaraffen (vom Pilger über Junker und Knappen bis zum Ritter) sind der idealisierten höfischen Welt des Hochmittelalters entlehnt. Der schlaraffische Begrüßungs- und Begeisterungsruf "Lulu. " ist in der Literatur der Neidharts, Wolframs oder Walthers von der Vogelweide um 1200 zwar nicht belegt, kommt aber dennoch von Herzen (mit dem gleichnamigen Drama von Frank Wedekind, das derzeit im Stadttheater gegeben wird, darf man den Entzückungsschrei "Lulu. " auf keinen Fall verwechseln. Wedekind war fürchterlich humorlos).

Der oberste Zeremonienmeister nennt sich Ritter So-is-recht (bürgerlich heißt er Heinz Stoss und ist Familienrichter von Beruf, aber das tut nichts zur Sache). Er begrüßt Freunde aus 74 Reychen, wie die Stadtverbände der Schlaraffia heißen. "Die Colonia. " Da erheben sich sieben fröhliche Herren aus Köln und grüßen mit lautem "Lulu. ". "Die Augusta. " - "Lulu. " "Die Berolina. " - "Lulu. ". Ritter So-is-recht vergisst auch nicht, die "viel liebe Frau Dr. Schönewald" zu begrüßen, denn die Leiterin des Stadtmuseums ist die Vermieterin der vor 100 Jahren gegründeten Ingoldia. So heißen die (derzeit 60) Ingolstädter Schlaraffen, die jeden Dienstag im nach ihnen benannten Saal im Kavalier Hepp ihren Spaß haben. "Danke für Ihr Verständnis. Man muss es nicht haben, aber Ihr habt es. " Und jetzt alle: "Lulu. "

Fragende bis irritierte Blicke sind Hans Steininger vertraut. Der leidenschaftliche Schlaraffe nennt sich Ritter Kriti-Kuss der schreybenden Zünfte, denn er ist ein vielgelesener Kritiker des "Pfaffenhofener Kurier". "Ja, wir spinnen schon ein bisschen", erzählt er strahlend. "Aber das auf hohem Niveau. " Er liebt seine Schlaraffen, weil sie auf so fröhlich-unbeschwerte Art Freundschaft, Kunst und Toleranz ehren. "Wir haben auch überhaupt keine Dünkel", sagt Steininger. "Bei uns räumen die Knappen nach jeder Sippung auf, auch wenn sie im Berufsleben General sind. " Entscheidend sei, dass man nichts wirklich ernst nehme, am wenigsten sich selber.

Das gelingt OB Christian Lösel nur bedingt, aber er ist auch kein Schlaraffe. Sein Grußwort, das er teils amüsierten, teils befremdeten Blicks vorträgt, wirkt fast wie eine Spaßbremse, weil er an die Gründung der Ingoldia erinnert: "Im vierten Jahr des Ersten Weltkriegs liegen Not und Elend wie ein graues Tuch über der Stadt. " Und: "Was müssen das für Männer gewesen sein, die ausgerechnet in dieser Zeit so einen Verein gegründet haben?"

Berechtigte Frage. Auf jeden Fall hatten sie Humor. Viel Humor. Darauf ein dreifaches Lulu.